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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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es sind die Griechen, die Alle lieber sterben, als daß einem
Einzigen von ihnen durch einen Fremdling ungerächte
Kränkung widerfahre. Sie hoffen aber, indem sie dieses
Unrecht zu rächen kommen, nicht zu sterben, sondern zu
siegen, denn ihre Zahl ist wie der Sand am Meere und
Alle sind von Heldenmuth erfüllt und Alle brennen vor
Begierde, die Schmach, die ihrem Volke widerfahren ist,
in dem Urheber zu tilgen. Darum läßt euch unser ober¬
ster Feldherr, Agamemnon, König der mächtigen Landschaft
Argos und der erste Fürst Griechenlands, und mit ihm
lassen euch alle anderen Fürsten der Danaer sagen: Gebet
die Griechin, die ihr uns gestohlen habt, heraus, oder
seyd Alle des Untergangs gewärtig!"

Bei diesen trotzigen Worten ergrimmten die Söhne
des Königes und die Aeltesten von Troja, zogen ihre
Schwerter und schlugen streitlustig an ihre Schilde. Aber
König Priamus gebot ihnen Ruhe, erhob sich von seinem
Königssitze und sprach: "Ihr Fremdlinge, die ihr im Na¬
men eures Volkes so strafende Worte an uns richtet, gön¬
net mir erst, daß ich von meinem Staunen mich erhole.
Denn wessen ihr mich beschuldiget, davon ist uns Allen
nichts bewußt; vielmehr sind wir es, die wir bei euch uns
über das Unrecht zu beklagen haben, das ihr uns andichtet.
Unsre Stadt hat euer Landsmann Herkules mitten im
Frieden angefallen, aus unsrer Stadt hat er meine un¬
schuldige Schwester Hesione als Gefangene mit sich geführt
und sie seinem Freunde, dem Fürsten Telamon auf Sala¬
mis, als Sklavin geschenkt; und es ist der gute Wille die¬
ses Mannes, daß sie von ihm zu seiner ehrlichen Gemah¬
lin erhoben worden ist und nicht als Magd und Kebsweib
dient. Doch konnte dieß den unehrlichen Raub nicht wieder

es ſind die Griechen, die Alle lieber ſterben, als daß einem
Einzigen von ihnen durch einen Fremdling ungerächte
Kränkung widerfahre. Sie hoffen aber, indem ſie dieſes
Unrecht zu rächen kommen, nicht zu ſterben, ſondern zu
ſiegen, denn ihre Zahl iſt wie der Sand am Meere und
Alle ſind von Heldenmuth erfüllt und Alle brennen vor
Begierde, die Schmach, die ihrem Volke widerfahren iſt,
in dem Urheber zu tilgen. Darum läßt euch unſer ober¬
ſter Feldherr, Agamemnon, König der mächtigen Landſchaft
Argos und der erſte Fürſt Griechenlands, und mit ihm
laſſen euch alle anderen Fürſten der Danaer ſagen: Gebet
die Griechin, die ihr uns geſtohlen habt, heraus, oder
ſeyd Alle des Untergangs gewärtig!“

Bei dieſen trotzigen Worten ergrimmten die Söhne
des Königes und die Aelteſten von Troja, zogen ihre
Schwerter und ſchlugen ſtreitluſtig an ihre Schilde. Aber
König Priamus gebot ihnen Ruhe, erhob ſich von ſeinem
Königsſitze und ſprach: „Ihr Fremdlinge, die ihr im Na¬
men eures Volkes ſo ſtrafende Worte an uns richtet, gön¬
net mir erſt, daß ich von meinem Staunen mich erhole.
Denn weſſen ihr mich beſchuldiget, davon iſt uns Allen
nichts bewußt; vielmehr ſind wir es, die wir bei euch uns
über das Unrecht zu beklagen haben, das ihr uns andichtet.
Unſre Stadt hat euer Landsmann Herkules mitten im
Frieden angefallen, aus unſrer Stadt hat er meine un¬
ſchuldige Schweſter Heſione als Gefangene mit ſich geführt
und ſie ſeinem Freunde, dem Fürſten Telamon auf Sala¬
mis, als Sklavin geſchenkt; und es iſt der gute Wille die¬
ſes Mannes, daß ſie von ihm zu ſeiner ehrlichen Gemah¬
lin erhoben worden iſt und nicht als Magd und Kebsweib
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[27/0049] es ſind die Griechen, die Alle lieber ſterben, als daß einem Einzigen von ihnen durch einen Fremdling ungerächte Kränkung widerfahre. Sie hoffen aber, indem ſie dieſes Unrecht zu rächen kommen, nicht zu ſterben, ſondern zu ſiegen, denn ihre Zahl iſt wie der Sand am Meere und Alle ſind von Heldenmuth erfüllt und Alle brennen vor Begierde, die Schmach, die ihrem Volke widerfahren iſt, in dem Urheber zu tilgen. Darum läßt euch unſer ober¬ ſter Feldherr, Agamemnon, König der mächtigen Landſchaft Argos und der erſte Fürſt Griechenlands, und mit ihm laſſen euch alle anderen Fürſten der Danaer ſagen: Gebet die Griechin, die ihr uns geſtohlen habt, heraus, oder ſeyd Alle des Untergangs gewärtig!“ Bei dieſen trotzigen Worten ergrimmten die Söhne des Königes und die Aelteſten von Troja, zogen ihre Schwerter und ſchlugen ſtreitluſtig an ihre Schilde. Aber König Priamus gebot ihnen Ruhe, erhob ſich von ſeinem Königsſitze und ſprach: „Ihr Fremdlinge, die ihr im Na¬ men eures Volkes ſo ſtrafende Worte an uns richtet, gön¬ net mir erſt, daß ich von meinem Staunen mich erhole. Denn weſſen ihr mich beſchuldiget, davon iſt uns Allen nichts bewußt; vielmehr ſind wir es, die wir bei euch uns über das Unrecht zu beklagen haben, das ihr uns andichtet. Unſre Stadt hat euer Landsmann Herkules mitten im Frieden angefallen, aus unſrer Stadt hat er meine un¬ ſchuldige Schweſter Heſione als Gefangene mit ſich geführt und ſie ſeinem Freunde, dem Fürſten Telamon auf Sala¬ mis, als Sklavin geſchenkt; und es iſt der gute Wille die¬ ſes Mannes, daß ſie von ihm zu ſeiner ehrlichen Gemah¬ lin erhoben worden iſt und nicht als Magd und Kebsweib dient. Doch konnte dieß den unehrlichen Raub nicht wieder

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/49>, abgerufen am 23.11.2024.