Aegispanzer an, in dessen Mitte das Gorgonenhaupt mit den feurigen Schlangenhaaren starrte, und faßte eines der Geschosse des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es ausser dem großen Jupiter sonst kein Gott aufzuheben ver¬ mag. Dann ließ sie den Olymp von Donnerschlägen er¬ beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer und Land in Finsterniß. Hierauf schickte sie ihre Botin Iris zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den Abgründen der Erde die Höhle der Winde sich befindet, an welche die Wohnung des Aeolus stößt. Die Botschafterin Athene's traf den Fürsten der Stürme bei seiner Gemahlin und seinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl, und gehorchte auf der Stelle. Mit rüstigen Händen stieß er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬ sung der tosenden Winde ist, und riß den Hügel mit Ge¬ walt auf. Die Stürme stürzten, wie Jagdhunde, sogleich aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, sich sofort zu einem einzigen, finstern Orkane zu vereinen, und nach der Brandung der kapharischen Felsen zu fliegen, welche die Küste von Euböa umlagern. Noch ehe sie vollständig das Wort ihres Königes vernommen, machten sich die Winde auf den Weg; die Meerfluth stöhnte unter ihnen; wie Berge wälzten sich die Wogen einher, und den Argivern brach der Muth im Herzen zusammen, als sie den Meerschwall thurm¬ hoch gegen sich anrücken sahen. Bald war nicht mehr an das Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerrissen, daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft der Steuermänner; die finsterste Nacht brach ein, und mit ihr verschwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poseidon half seiner Bruderstochter Pallas, und diese raste ohne Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom
Aegispanzer an, in deſſen Mitte das Gorgonenhaupt mit den feurigen Schlangenhaaren ſtarrte, und faßte eines der Geſchoſſe des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es auſſer dem großen Jupiter ſonſt kein Gott aufzuheben ver¬ mag. Dann ließ ſie den Olymp von Donnerſchlägen er¬ beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer und Land in Finſterniß. Hierauf ſchickte ſie ihre Botin Iris zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den Abgründen der Erde die Höhle der Winde ſich befindet, an welche die Wohnung des Aeolus ſtößt. Die Botſchafterin Athene's traf den Fürſten der Stürme bei ſeiner Gemahlin und ſeinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl, und gehorchte auf der Stelle. Mit rüſtigen Händen ſtieß er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬ ſung der toſenden Winde iſt, und riß den Hügel mit Ge¬ walt auf. Die Stürme ſtürzten, wie Jagdhunde, ſogleich aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, ſich ſofort zu einem einzigen, finſtern Orkane zu vereinen, und nach der Brandung der kaphariſchen Felſen zu fliegen, welche die Küſte von Euböa umlagern. Noch ehe ſie vollſtändig das Wort ihres Königes vernommen, machten ſich die Winde auf den Weg; die Meerfluth ſtöhnte unter ihnen; wie Berge wälzten ſich die Wogen einher, und den Argivern brach der Muth im Herzen zuſammen, als ſie den Meerſchwall thurm¬ hoch gegen ſich anrücken ſahen. Bald war nicht mehr an das Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerriſſen, daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft der Steuermänner; die finſterſte Nacht brach ein, und mit ihr verſchwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poſeidon half ſeiner Bruderstochter Pallas, und dieſe raſte ohne Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0456"n="434"/>
Aegispanzer an, in deſſen Mitte das Gorgonenhaupt mit<lb/>
den feurigen Schlangenhaaren ſtarrte, und faßte eines der<lb/>
Geſchoſſe des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es<lb/>
auſſer dem großen Jupiter ſonſt kein Gott aufzuheben ver¬<lb/>
mag. Dann ließ ſie den Olymp von Donnerſchlägen er¬<lb/>
beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer<lb/>
und Land in Finſterniß. Hierauf ſchickte ſie ihre Botin Iris<lb/>
zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den<lb/>
Abgründen der Erde die Höhle der Winde ſich befindet, an<lb/>
welche die Wohnung des Aeolus ſtößt. Die Botſchafterin<lb/>
Athene's traf den Fürſten der Stürme bei ſeiner Gemahlin<lb/>
und ſeinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl,<lb/>
und gehorchte auf der Stelle. Mit rüſtigen Händen ſtieß<lb/>
er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬<lb/>ſung der toſenden Winde iſt, und riß den Hügel mit Ge¬<lb/>
walt auf. Die Stürme ſtürzten, wie Jagdhunde, ſogleich<lb/>
aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, ſich ſofort<lb/>
zu einem einzigen, finſtern Orkane zu vereinen, und nach<lb/>
der Brandung der kaphariſchen Felſen zu fliegen, welche<lb/>
die Küſte von Euböa umlagern. Noch ehe ſie vollſtändig das<lb/>
Wort ihres Königes vernommen, machten ſich die Winde<lb/>
auf den Weg; die Meerfluth ſtöhnte unter ihnen; wie Berge<lb/>
wälzten ſich die Wogen einher, und den Argivern brach der<lb/>
Muth im Herzen zuſammen, als ſie den Meerſchwall thurm¬<lb/>
hoch gegen ſich anrücken ſahen. Bald war nicht mehr an das<lb/>
Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerriſſen,<lb/>
daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft<lb/>
der Steuermänner; die finſterſte Nacht brach ein, und mit<lb/>
ihr verſchwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poſeidon<lb/>
half ſeiner Bruderstochter Pallas, und dieſe raſte ohne<lb/>
Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[434/0456]
Aegispanzer an, in deſſen Mitte das Gorgonenhaupt mit
den feurigen Schlangenhaaren ſtarrte, und faßte eines der
Geſchoſſe des Vaters, die zu ihren Füßen lagen, wie es
auſſer dem großen Jupiter ſonſt kein Gott aufzuheben ver¬
mag. Dann ließ ſie den Olymp von Donnerſchlägen er¬
beben, goß Wolken rings um die Berge, und hüllte Meer
und Land in Finſterniß. Hierauf ſchickte ſie ihre Botin Iris
zu Aeolus, dem Gott der Winde, hinab, da, wo in den
Abgründen der Erde die Höhle der Winde ſich befindet, an
welche die Wohnung des Aeolus ſtößt. Die Botſchafterin
Athene's traf den Fürſten der Stürme bei ſeiner Gemahlin
und ſeinen zwölf Kindern daheim; er vernahm den Befehl,
und gehorchte auf der Stelle. Mit rüſtigen Händen ſtieß
er den großen Dreizack in den Berg ein, wo die Behau¬
ſung der toſenden Winde iſt, und riß den Hügel mit Ge¬
walt auf. Die Stürme ſtürzten, wie Jagdhunde, ſogleich
aus der Oeffnung hervor; er aber befahl ihnen, ſich ſofort
zu einem einzigen, finſtern Orkane zu vereinen, und nach
der Brandung der kaphariſchen Felſen zu fliegen, welche
die Küſte von Euböa umlagern. Noch ehe ſie vollſtändig das
Wort ihres Königes vernommen, machten ſich die Winde
auf den Weg; die Meerfluth ſtöhnte unter ihnen; wie Berge
wälzten ſich die Wogen einher, und den Argivern brach der
Muth im Herzen zuſammen, als ſie den Meerſchwall thurm¬
hoch gegen ſich anrücken ſahen. Bald war nicht mehr an das
Rudern zu denken; die Segel hatte der Sturm zerriſſen,
daß Fetzen herunter hingen; zuletzt erlahmte auch die Kraft
der Steuermänner; die finſterſte Nacht brach ein, und mit
ihr verſchwand jede Hoffnung der Rettung. Auch Poſeidon
half ſeiner Bruderstochter Pallas, und dieſe raſte ohne
Erbarmen vom Olymp mit Blitzen daher, die vom
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/456>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.