hinweg, indem er den Sohn auf dem besseren Wege leitete; und Venus, seine Mutter, war mit ihm: denn wohin er seinen Fuß setzte, wichen ihm die Flammen aus, die Rauchwolken zertheilten sich, Pfeile und Wurfspieße, welche die Danaer gegen ihn schleuderten, fielen ohne zu treffen auf die Erde nieder.
An andern Stellen raste der Mord. Menelaus fand vor den Gemächern seiner treulosen Gemahlin Helena den Deiphobus, den Sohn des Priamus, der seit Hektors Tode die Stütze des Hauses und Volkes war, und welchem, nach dem Tode des Paris, Helena als Gemahlin zu Theile geworden war, noch in die Betäubung des nächt¬ lichen Freudengelages versenkt. Bei seiner Annäherung taumelte dieser vom Boden auf und flüchtete in die Gänge des Pallastes. Menelaus aber ereilte ihn, und stieß ihm den Speer in den Nacken. "Stirb du vor der Thüre meiner Gattin," rief er mit donnernder Stimme: "hätte doch meine Lanze den Unheilstifter, den Paris, also getroffen! Nun ist dieser schon längst geschlachtet; und du solltest dich meiner Gattin erfreuen, du Frevler? Wisse, daß kein Verbrecher dem Arme der Themis, der Göttin der Gerechtigkeit, entgeht!" So sprechend, stieß Menelaus den Leichnam auf die Seite, und ging hin, den Pallast zu durchforschen, denn sein Herz, von widerstreitenden Empfindungen bewegt, begehrte nach Helena, seiner Ge¬ mahlin. Diese hielt sich, vor dem Zorn ihres rechtmäßi¬ gen Gatten zitternd, in einem dunkeln Winkel des Hauses verborgen, und erst spät gelang es ihm, sie zu entdecken. Bei ihrem ersten Anblicke trieb ihn die Eifersucht, sie zu ermorden: aber Venus hatte sie mit holdem Liebreize ge¬ schmückt, stieß ihm das Schwert aus der Hand, verscheuchte
hinweg, indem er den Sohn auf dem beſſeren Wege leitete; und Venus, ſeine Mutter, war mit ihm: denn wohin er ſeinen Fuß ſetzte, wichen ihm die Flammen aus, die Rauchwolken zertheilten ſich, Pfeile und Wurfſpieße, welche die Danaer gegen ihn ſchleuderten, fielen ohne zu treffen auf die Erde nieder.
An andern Stellen raste der Mord. Menelaus fand vor den Gemächern ſeiner treuloſen Gemahlin Helena den Dëiphobus, den Sohn des Priamus, der ſeit Hektors Tode die Stütze des Hauſes und Volkes war, und welchem, nach dem Tode des Paris, Helena als Gemahlin zu Theile geworden war, noch in die Betäubung des nächt¬ lichen Freudengelages verſenkt. Bei ſeiner Annäherung taumelte dieſer vom Boden auf und flüchtete in die Gänge des Pallaſtes. Menelaus aber ereilte ihn, und ſtieß ihm den Speer in den Nacken. „Stirb du vor der Thüre meiner Gattin,“ rief er mit donnernder Stimme: „hätte doch meine Lanze den Unheilſtifter, den Paris, alſo getroffen! Nun iſt dieſer ſchon längſt geſchlachtet; und du ſollteſt dich meiner Gattin erfreuen, du Frevler? Wiſſe, daß kein Verbrecher dem Arme der Themis, der Göttin der Gerechtigkeit, entgeht!“ So ſprechend, ſtieß Menelaus den Leichnam auf die Seite, und ging hin, den Pallaſt zu durchforſchen, denn ſein Herz, von widerſtreitenden Empfindungen bewegt, begehrte nach Helena, ſeiner Ge¬ mahlin. Dieſe hielt ſich, vor dem Zorn ihres rechtmäßi¬ gen Gatten zitternd, in einem dunkeln Winkel des Hauſes verborgen, und erſt ſpät gelang es ihm, ſie zu entdecken. Bei ihrem erſten Anblicke trieb ihn die Eiferſucht, ſie zu ermorden: aber Venus hatte ſie mit holdem Liebreize ge¬ ſchmückt, ſtieß ihm das Schwert aus der Hand, verſcheuchte
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hinweg, indem er den Sohn auf dem beſſeren Wege leitete;
und Venus, ſeine Mutter, war mit ihm: denn wohin er
ſeinen Fuß ſetzte, wichen ihm die Flammen aus, die
Rauchwolken zertheilten ſich, Pfeile und Wurfſpieße, welche
die Danaer gegen ihn ſchleuderten, fielen ohne zu treffen
auf die Erde nieder.
An andern Stellen raste der Mord. Menelaus fand
vor den Gemächern ſeiner treuloſen Gemahlin Helena den
Dëiphobus, den Sohn des Priamus, der ſeit Hektors
Tode die Stütze des Hauſes und Volkes war, und welchem,
nach dem Tode des Paris, Helena als Gemahlin zu
Theile geworden war, noch in die Betäubung des nächt¬
lichen Freudengelages verſenkt. Bei ſeiner Annäherung
taumelte dieſer vom Boden auf und flüchtete in die
Gänge des Pallaſtes. Menelaus aber ereilte ihn, und
ſtieß ihm den Speer in den Nacken. „Stirb du vor der
Thüre meiner Gattin,“ rief er mit donnernder Stimme:
„hätte doch meine Lanze den Unheilſtifter, den Paris, alſo
getroffen! Nun iſt dieſer ſchon längſt geſchlachtet; und du
ſollteſt dich meiner Gattin erfreuen, du Frevler? Wiſſe,
daß kein Verbrecher dem Arme der Themis, der Göttin
der Gerechtigkeit, entgeht!“ So ſprechend, ſtieß Menelaus
den Leichnam auf die Seite, und ging hin, den Pallaſt
zu durchforſchen, denn ſein Herz, von widerſtreitenden
Empfindungen bewegt, begehrte nach Helena, ſeiner Ge¬
mahlin. Dieſe hielt ſich, vor dem Zorn ihres rechtmäßi¬
gen Gatten zitternd, in einem dunkeln Winkel des Hauſes
verborgen, und erſt ſpät gelang es ihm, ſie zu entdecken.
Bei ihrem erſten Anblicke trieb ihn die Eiferſucht, ſie zu
ermorden: aber Venus hatte ſie mit holdem Liebreize ge¬
ſchmückt, ſtieß ihm das Schwert aus der Hand, verſcheuchte
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/444>, abgerufen am 22.11.2024.
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