Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Menschen dich verachten, thörichte Schwätzerin? Kehre
zurück in dein Haus, daß dich nicht Schlimmes treffe!"


Die Zerstörung Troja's.

Die Trojaner überließen sich die halbe Nacht hindurch
der Freude bei Schmaus und Gelage; Syringen und
Flöten ertönten, Tanz und Gesang lärmten rings um her
und dazwischen die bunt durcheinander schallenden Stimmen
der Schmausenden. Die Becher wurden einmal über das
andere bis zum Rande mit Wein gefüllt, mit beiden Händen
erfaßt und leer getrunken, bis die Trinkenden zu stammeln
anfingen und ihr Geist in dumpfe Betäubung versank. Endlich
lagen sie Alle in tiefem Schlafe begraben, und die Mitternacht
war herangekommen. Jetzt erhub sich Sinon, der mit
andern Trojanern im Freien geschmaust und sich zuletzt
schlafend gestellt hatte, von seinem Polster, schlich hinaus
zu den Thoren, zündete eine Fackel an und ließ, dem
Strande und der Insel Tenedos zugekehrt, den Schiffen
der Griechen zum verabredeten Zeichen, ihren lodernden
Brand in die Lüfte wehen. Dann löschte er sie wieder,
schlich sich zu dem Pferde hin und pochte leise an den hohlen
Bauch, wie ihn Odysseus geheißen hatte. Die Helden
vernahmen den Laut; alle aber kehrten ihre Häupter lau¬
schend dem Odysseus zu: dieser ermahnte sie, leise und
mit aller möglichen Vorsicht auszusteigen; er hielt die Un¬
geduldigsten zurück, öffnete ganz leise, nach dem Rathe
des Epeus, den Riegel der Thüre, streckte den Kopf
ein wenig hinaus, und sandte seine spähenden Blicke

27
Schwab, das klass. Alterthum. ll.

Menſchen dich verachten, thörichte Schwätzerin? Kehre
zurück in dein Haus, daß dich nicht Schlimmes treffe!“


Die Zerſtörung Troja's.

Die Trojaner überließen ſich die halbe Nacht hindurch
der Freude bei Schmaus und Gelage; Syringen und
Flöten ertönten, Tanz und Geſang lärmten rings um her
und dazwiſchen die bunt durcheinander ſchallenden Stimmen
der Schmauſenden. Die Becher wurden einmal über das
andere bis zum Rande mit Wein gefüllt, mit beiden Händen
erfaßt und leer getrunken, bis die Trinkenden zu ſtammeln
anfingen und ihr Geiſt in dumpfe Betäubung verſank. Endlich
lagen ſie Alle in tiefem Schlafe begraben, und die Mitternacht
war herangekommen. Jetzt erhub ſich Sinon, der mit
andern Trojanern im Freien geſchmauſt und ſich zuletzt
ſchlafend geſtellt hatte, von ſeinem Polſter, ſchlich hinaus
zu den Thoren, zündete eine Fackel an und ließ, dem
Strande und der Inſel Tenedos zugekehrt, den Schiffen
der Griechen zum verabredeten Zeichen, ihren lodernden
Brand in die Lüfte wehen. Dann löſchte er ſie wieder,
ſchlich ſich zu dem Pferde hin und pochte leiſe an den hohlen
Bauch, wie ihn Odyſſeus geheißen hatte. Die Helden
vernahmen den Laut; alle aber kehrten ihre Häupter lau¬
ſchend dem Odyſſeus zu: dieſer ermahnte ſie, leiſe und
mit aller möglichen Vorſicht auszuſteigen; er hielt die Un¬
geduldigſten zurück, öffnete ganz leiſe, nach dem Rathe
des Epëus, den Riegel der Thüre, ſtreckte den Kopf
ein wenig hinaus, und ſandte ſeine ſpähenden Blicke

27
Schwab, das klaſſ. Alterthum. ll.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0439" n="417"/>
Men&#x017F;chen dich verachten, thörichte Schwätzerin? Kehre<lb/>
zurück in dein Haus, daß dich nicht Schlimmes treffe!&#x201C;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Die Zer&#x017F;törung Troja's.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Die Trojaner überließen &#x017F;ich die halbe Nacht hindurch<lb/>
der Freude bei Schmaus und Gelage; Syringen und<lb/>
Flöten ertönten, Tanz und Ge&#x017F;ang lärmten rings um her<lb/>
und dazwi&#x017F;chen die bunt durcheinander &#x017F;challenden Stimmen<lb/>
der Schmau&#x017F;enden. Die Becher wurden einmal über das<lb/>
andere bis zum Rande mit Wein gefüllt, mit beiden Händen<lb/>
erfaßt und leer getrunken, bis die Trinkenden zu &#x017F;tammeln<lb/>
anfingen und ihr Gei&#x017F;t in dumpfe Betäubung ver&#x017F;ank. Endlich<lb/>
lagen &#x017F;ie Alle in tiefem Schlafe begraben, und die Mitternacht<lb/>
war herangekommen. Jetzt erhub &#x017F;ich Sinon, der mit<lb/>
andern Trojanern im Freien ge&#x017F;chmau&#x017F;t und &#x017F;ich zuletzt<lb/>
&#x017F;chlafend ge&#x017F;tellt hatte, von &#x017F;einem Pol&#x017F;ter, &#x017F;chlich hinaus<lb/>
zu den Thoren, zündete eine Fackel an und ließ, dem<lb/>
Strande und der In&#x017F;el Tenedos zugekehrt, den Schiffen<lb/>
der Griechen zum verabredeten Zeichen, ihren lodernden<lb/>
Brand in die Lüfte wehen. Dann lö&#x017F;chte er &#x017F;ie wieder,<lb/>
&#x017F;chlich &#x017F;ich zu dem Pferde hin und pochte lei&#x017F;e an den hohlen<lb/>
Bauch, wie ihn Ody&#x017F;&#x017F;eus geheißen hatte. Die Helden<lb/>
vernahmen den Laut; alle aber kehrten ihre Häupter lau¬<lb/>
&#x017F;chend dem Ody&#x017F;&#x017F;eus zu: die&#x017F;er ermahnte &#x017F;ie, lei&#x017F;e und<lb/>
mit aller möglichen Vor&#x017F;icht auszu&#x017F;teigen; er hielt die Un¬<lb/>
geduldig&#x017F;ten zurück, öffnete ganz lei&#x017F;e, nach dem Rathe<lb/>
des Ep<hi rendition="#aq">ë</hi>us, den Riegel der Thüre, &#x017F;treckte den Kopf<lb/>
ein wenig hinaus, und &#x017F;andte &#x017F;eine &#x017F;pähenden Blicke<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">27<lb/><hi rendition="#g">Schwab</hi>, das kla&#x017F;&#x017F;. Alterthum. <hi rendition="#aq #b">ll</hi>.<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[417/0439] Menſchen dich verachten, thörichte Schwätzerin? Kehre zurück in dein Haus, daß dich nicht Schlimmes treffe!“ Die Zerſtörung Troja's. Die Trojaner überließen ſich die halbe Nacht hindurch der Freude bei Schmaus und Gelage; Syringen und Flöten ertönten, Tanz und Geſang lärmten rings um her und dazwiſchen die bunt durcheinander ſchallenden Stimmen der Schmauſenden. Die Becher wurden einmal über das andere bis zum Rande mit Wein gefüllt, mit beiden Händen erfaßt und leer getrunken, bis die Trinkenden zu ſtammeln anfingen und ihr Geiſt in dumpfe Betäubung verſank. Endlich lagen ſie Alle in tiefem Schlafe begraben, und die Mitternacht war herangekommen. Jetzt erhub ſich Sinon, der mit andern Trojanern im Freien geſchmauſt und ſich zuletzt ſchlafend geſtellt hatte, von ſeinem Polſter, ſchlich hinaus zu den Thoren, zündete eine Fackel an und ließ, dem Strande und der Inſel Tenedos zugekehrt, den Schiffen der Griechen zum verabredeten Zeichen, ihren lodernden Brand in die Lüfte wehen. Dann löſchte er ſie wieder, ſchlich ſich zu dem Pferde hin und pochte leiſe an den hohlen Bauch, wie ihn Odyſſeus geheißen hatte. Die Helden vernahmen den Laut; alle aber kehrten ihre Häupter lau¬ ſchend dem Odyſſeus zu: dieſer ermahnte ſie, leiſe und mit aller möglichen Vorſicht auszuſteigen; er hielt die Un¬ geduldigſten zurück, öffnete ganz leiſe, nach dem Rathe des Epëus, den Riegel der Thüre, ſtreckte den Kopf ein wenig hinaus, und ſandte ſeine ſpähenden Blicke 27 Schwab, das klaſſ. Alterthum. ll.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/439
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 417. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/439>, abgerufen am 19.12.2024.