Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

Alle andern Helden gaben dem Sohne des Laertes
Beifall; nur Philoktetes stellte sich auf die Seite des
Neoptolemus, denn er lechzte noch immer nach Kampf
und Schlachtgetümmel und sein Heldenherz war noch nicht
gesättigt. Am Ende hatten die beiden auch den Rath der
Danaer zu sich herübergezogen. Aber Jupiter bewegte
den ganzen Luftkreis, schleuderte Blitz auf Blitz unter
krachendem Donner zu den Füßen der widerstrebenden
Helden herab, und gab so hinlänglich zu verstehen, daß
sein Wille sich mit den Vorschlägen des Sehers und des
Laertiaden vereinige. So verloren die beiden Helden den
Muth, sich länger zu widersetzen, und gehorchten, obgleich
mit innerlichem Widerwillen.

So kehrten denn alle mit einander zu den Schiffen
zurück, und ehe ans Werk gegangen wurde, überließen
sich die Helden dem wohlthätigen Schlaf. Da stellte sich
um Mitternacht im Traume Minerva an das Haupt des
griechischen Helden Epeus, und trug ihm als einem kunst¬
reichen Manne auf, das mächtige Roß aus Balken zu
zimmern, indem sie selbst ihm ihren Beistand zu schnellerer
Vollendung des Werkes versprach. Der Held hatte die
Göttin erkannt und sprang freudig vom Schlafe auf: alle
Gedanken wichen in seinem Geiste dem Einen Auftrag,
und der Geist seiner Kunst bewegte ihm die Seele. Mit
Tagesanbruch erzählte er die Göttererscheinung in der
Mitte alles Volkes, und nun schickten die Atriden in aller
Eile in die waldreichen Thäler des Idagebirges und lie¬
ßen daselbst die hochstämmigsten Tannen fällen. Diese
wurden eilig zum Hellespont hinabgetragen, und viele
Jünglinge gingen ans Werk und halfen dem Epeus: die
Einen zersägten die Balken, die Andern hieben die Aeste

Alle andern Helden gaben dem Sohne des Laertes
Beifall; nur Philoktetes ſtellte ſich auf die Seite des
Neoptolemus, denn er lechzte noch immer nach Kampf
und Schlachtgetümmel und ſein Heldenherz war noch nicht
geſättigt. Am Ende hatten die beiden auch den Rath der
Danaer zu ſich herübergezogen. Aber Jupiter bewegte
den ganzen Luftkreis, ſchleuderte Blitz auf Blitz unter
krachendem Donner zu den Füßen der widerſtrebenden
Helden herab, und gab ſo hinlänglich zu verſtehen, daß
ſein Wille ſich mit den Vorſchlägen des Sehers und des
Laertiaden vereinige. So verloren die beiden Helden den
Muth, ſich länger zu widerſetzen, und gehorchten, obgleich
mit innerlichem Widerwillen.

So kehrten denn alle mit einander zu den Schiffen
zurück, und ehe ans Werk gegangen wurde, überließen
ſich die Helden dem wohlthätigen Schlaf. Da ſtellte ſich
um Mitternacht im Traume Minerva an das Haupt des
griechiſchen Helden Epëus, und trug ihm als einem kunſt¬
reichen Manne auf, das mächtige Roß aus Balken zu
zimmern, indem ſie ſelbſt ihm ihren Beiſtand zu ſchnellerer
Vollendung des Werkes verſprach. Der Held hatte die
Göttin erkannt und ſprang freudig vom Schlafe auf: alle
Gedanken wichen in ſeinem Geiſte dem Einen Auftrag,
und der Geiſt ſeiner Kunſt bewegte ihm die Seele. Mit
Tagesanbruch erzählte er die Göttererſcheinung in der
Mitte alles Volkes, und nun ſchickten die Atriden in aller
Eile in die waldreichen Thäler des Idagebirges und lie¬
ßen daſelbſt die hochſtämmigſten Tannen fällen. Dieſe
wurden eilig zum Helleſpont hinabgetragen, und viele
Jünglinge gingen ans Werk und halfen dem Epëus: die
Einen zerſägten die Balken, die Andern hieben die Aeſte

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0427" n="405"/>
          <p>Alle andern Helden gaben dem Sohne des Laertes<lb/>
Beifall; nur Philoktetes &#x017F;tellte &#x017F;ich auf die Seite des<lb/>
Neoptolemus, denn er lechzte noch immer nach Kampf<lb/>
und Schlachtgetümmel und &#x017F;ein Heldenherz war noch nicht<lb/>
ge&#x017F;ättigt. Am Ende hatten die beiden auch den Rath der<lb/>
Danaer zu &#x017F;ich herübergezogen. Aber Jupiter bewegte<lb/>
den ganzen Luftkreis, &#x017F;chleuderte Blitz auf Blitz unter<lb/>
krachendem Donner zu den Füßen der wider&#x017F;trebenden<lb/>
Helden herab, und gab &#x017F;o hinlänglich zu ver&#x017F;tehen, daß<lb/>
&#x017F;ein Wille &#x017F;ich mit den Vor&#x017F;chlägen des Sehers und des<lb/>
Laertiaden vereinige. So verloren die beiden Helden den<lb/>
Muth, &#x017F;ich länger zu wider&#x017F;etzen, und gehorchten, obgleich<lb/>
mit innerlichem Widerwillen.</p><lb/>
          <p>So kehrten denn alle mit einander zu den Schiffen<lb/>
zurück, und ehe ans Werk gegangen wurde, überließen<lb/>
&#x017F;ich die Helden dem wohlthätigen Schlaf. Da &#x017F;tellte &#x017F;ich<lb/>
um Mitternacht im Traume Minerva an das Haupt des<lb/>
griechi&#x017F;chen Helden Ep<hi rendition="#aq">ë</hi>us, und trug ihm als einem kun&#x017F;<lb/>
reichen Manne auf, das mächtige Roß aus Balken zu<lb/>
zimmern, indem &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t ihm ihren Bei&#x017F;tand zu &#x017F;chnellerer<lb/>
Vollendung des Werkes ver&#x017F;prach. Der Held hatte die<lb/>
Göttin erkannt und &#x017F;prang freudig vom Schlafe auf: alle<lb/>
Gedanken wichen in &#x017F;einem Gei&#x017F;te dem Einen Auftrag,<lb/>
und der Gei&#x017F;t &#x017F;einer Kun&#x017F;t bewegte ihm die Seele. Mit<lb/>
Tagesanbruch erzählte er die Götterer&#x017F;cheinung in der<lb/>
Mitte alles Volkes, und nun &#x017F;chickten die Atriden in aller<lb/>
Eile in die waldreichen Thäler des Idagebirges und lie¬<lb/>
ßen da&#x017F;elb&#x017F;t die hoch&#x017F;tämmig&#x017F;ten Tannen fällen. Die&#x017F;e<lb/>
wurden eilig zum Helle&#x017F;pont hinabgetragen, und viele<lb/>
Jünglinge gingen ans Werk und halfen dem Ep<hi rendition="#aq">ë</hi>us: die<lb/>
Einen zer&#x017F;ägten die Balken, die Andern hieben die Ae&#x017F;te<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[405/0427] Alle andern Helden gaben dem Sohne des Laertes Beifall; nur Philoktetes ſtellte ſich auf die Seite des Neoptolemus, denn er lechzte noch immer nach Kampf und Schlachtgetümmel und ſein Heldenherz war noch nicht geſättigt. Am Ende hatten die beiden auch den Rath der Danaer zu ſich herübergezogen. Aber Jupiter bewegte den ganzen Luftkreis, ſchleuderte Blitz auf Blitz unter krachendem Donner zu den Füßen der widerſtrebenden Helden herab, und gab ſo hinlänglich zu verſtehen, daß ſein Wille ſich mit den Vorſchlägen des Sehers und des Laertiaden vereinige. So verloren die beiden Helden den Muth, ſich länger zu widerſetzen, und gehorchten, obgleich mit innerlichem Widerwillen. So kehrten denn alle mit einander zu den Schiffen zurück, und ehe ans Werk gegangen wurde, überließen ſich die Helden dem wohlthätigen Schlaf. Da ſtellte ſich um Mitternacht im Traume Minerva an das Haupt des griechiſchen Helden Epëus, und trug ihm als einem kunſt¬ reichen Manne auf, das mächtige Roß aus Balken zu zimmern, indem ſie ſelbſt ihm ihren Beiſtand zu ſchnellerer Vollendung des Werkes verſprach. Der Held hatte die Göttin erkannt und ſprang freudig vom Schlafe auf: alle Gedanken wichen in ſeinem Geiſte dem Einen Auftrag, und der Geiſt ſeiner Kunſt bewegte ihm die Seele. Mit Tagesanbruch erzählte er die Göttererſcheinung in der Mitte alles Volkes, und nun ſchickten die Atriden in aller Eile in die waldreichen Thäler des Idagebirges und lie¬ ßen daſelbſt die hochſtämmigſten Tannen fällen. Dieſe wurden eilig zum Helleſpont hinabgetragen, und viele Jünglinge gingen ans Werk und halfen dem Epëus: die Einen zerſägten die Balken, die Andern hieben die Aeſte

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/427
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 405. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/427>, abgerufen am 22.11.2024.