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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Dienerinnen und Oenone selbst erfüllte der unerwartete
Anblick mit Staunen; er aber stürzte sich zu den Füßen
seines verschmähten Weibes und rief: "Ehrwürdige Frau,
o hasse mich jetzt nicht in meiner Bedrängniß, weil ich
dich einst unfreiwillig als Wittwe zurückließ. Denn sieh, es
waren die unerbittlichen Parzen, die mich Helena entge¬
gengeführt. O wäre ich doch gestorben, ehe ich sie in
den Pallast meines Vaters gebracht. Doch jetzt beschwöre
ich dich bei den Göttern und unserer früheren Liebe, habe
Mitleid mit mir und befreie mich von dem quälenden
Schmerz, indem du auf meine Wunde die Mittel auflegst,
die nach deiner eigenen Weissagung mich allein zu retten
vermögen!"

Aber seine Worte erweichten den harten Sinn der
Verstoßenen nicht. "Was kommst du zu der," sprach sie
scheltend, "die du verlassen und dem bitteren Jammer
preisgegeben hast, weil du an Helena's ewiger Jugend
dich zu erfreuen hofftest? So geh' nun, und wirf dich
ihr zu Füßen, ob sie dir helfen möge, meine Seele aber
hoffe nicht mit deinen Thränen und Klagen zum Mitleid
zu stimmen!" So schickte sie ihn wieder aus ihrer Be¬
hausung fort, ohne zu ahnen, daß ihr eigenes Schicksal
an das ihres Gatten gebunden sey. Paris schleppte sich,
von den Dienern gestützt und getragen, kummervoll über
die Höhen des waldigen Ida hin, und Juno vom Olymp
herab labte sich an dem Anblicke. Noch war er nicht an
den Abhang des Berges gelangt, als er der giftigen
Wunde erlag und seinen Geist noch auf den Gipfeln des
Ida selbst aushauchte, so daß seine Buhlin Helena ihn
nicht wieder erblickte.

Ein Hirte brachte seiner Mutter Hekuba die erste

Dienerinnen und Oenone ſelbſt erfüllte der unerwartete
Anblick mit Staunen; er aber ſtürzte ſich zu den Füßen
ſeines verſchmähten Weibes und rief: „Ehrwürdige Frau,
o haſſe mich jetzt nicht in meiner Bedrängniß, weil ich
dich einſt unfreiwillig als Wittwe zurückließ. Denn ſieh, es
waren die unerbittlichen Parzen, die mich Helena entge¬
gengeführt. O wäre ich doch geſtorben, ehe ich ſie in
den Pallaſt meines Vaters gebracht. Doch jetzt beſchwöre
ich dich bei den Göttern und unſerer früheren Liebe, habe
Mitleid mit mir und befreie mich von dem quälenden
Schmerz, indem du auf meine Wunde die Mittel auflegſt,
die nach deiner eigenen Weiſſagung mich allein zu retten
vermögen!“

Aber ſeine Worte erweichten den harten Sinn der
Verſtoßenen nicht. „Was kommſt du zu der,“ ſprach ſie
ſcheltend, „die du verlaſſen und dem bitteren Jammer
preisgegeben haſt, weil du an Helena's ewiger Jugend
dich zu erfreuen hoffteſt? So geh' nun, und wirf dich
ihr zu Füßen, ob ſie dir helfen möge, meine Seele aber
hoffe nicht mit deinen Thränen und Klagen zum Mitleid
zu ſtimmen!“ So ſchickte ſie ihn wieder aus ihrer Be¬
hauſung fort, ohne zu ahnen, daß ihr eigenes Schickſal
an das ihres Gatten gebunden ſey. Paris ſchleppte ſich,
von den Dienern geſtützt und getragen, kummervoll über
die Höhen des waldigen Ida hin, und Juno vom Olymp
herab labte ſich an dem Anblicke. Noch war er nicht an
den Abhang des Berges gelangt, als er der giftigen
Wunde erlag und ſeinen Geiſt noch auf den Gipfeln des
Ida ſelbſt aushauchte, ſo daß ſeine Buhlin Helena ihn
nicht wieder erblickte.

Ein Hirte brachte ſeiner Mutter Hekuba die erſte

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[396/0418] Dienerinnen und Oenone ſelbſt erfüllte der unerwartete Anblick mit Staunen; er aber ſtürzte ſich zu den Füßen ſeines verſchmähten Weibes und rief: „Ehrwürdige Frau, o haſſe mich jetzt nicht in meiner Bedrängniß, weil ich dich einſt unfreiwillig als Wittwe zurückließ. Denn ſieh, es waren die unerbittlichen Parzen, die mich Helena entge¬ gengeführt. O wäre ich doch geſtorben, ehe ich ſie in den Pallaſt meines Vaters gebracht. Doch jetzt beſchwöre ich dich bei den Göttern und unſerer früheren Liebe, habe Mitleid mit mir und befreie mich von dem quälenden Schmerz, indem du auf meine Wunde die Mittel auflegſt, die nach deiner eigenen Weiſſagung mich allein zu retten vermögen!“ Aber ſeine Worte erweichten den harten Sinn der Verſtoßenen nicht. „Was kommſt du zu der,“ ſprach ſie ſcheltend, „die du verlaſſen und dem bitteren Jammer preisgegeben haſt, weil du an Helena's ewiger Jugend dich zu erfreuen hoffteſt? So geh' nun, und wirf dich ihr zu Füßen, ob ſie dir helfen möge, meine Seele aber hoffe nicht mit deinen Thränen und Klagen zum Mitleid zu ſtimmen!“ So ſchickte ſie ihn wieder aus ihrer Be¬ hauſung fort, ohne zu ahnen, daß ihr eigenes Schickſal an das ihres Gatten gebunden ſey. Paris ſchleppte ſich, von den Dienern geſtützt und getragen, kummervoll über die Höhen des waldigen Ida hin, und Juno vom Olymp herab labte ſich an dem Anblicke. Noch war er nicht an den Abhang des Berges gelangt, als er der giftigen Wunde erlag und ſeinen Geiſt noch auf den Gipfeln des Ida ſelbſt aushauchte, ſo daß ſeine Buhlin Helena ihn nicht wieder erblickte. Ein Hirte brachte ſeiner Mutter Hekuba die erſte

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/418>, abgerufen am 22.11.2024.