an Feuer; wie lange währte es, bis ich den rechten Stein fand, der, an Eisen geschlagen, den Funken sprühte, welcher mich bis diese Stunde erhalten hat. Denn, als ich einmal dieß Bedürfniß hatte, fehlte mir nichts mehr, mein Leben zu fristen, als Gesundheit. Jetzt höre aber auch von der Insel etwas, lieber Sohn! Wisse, es ist der armseligste Fleck auf der Erde: niemals nahet sich ihr freiwillig ein Schiffer; es fehlt an Landungsplätzen, fehlt an Gelegenheit Waaren umzutauschen, fehlt an allem Umgange mit Sterblichen. Wen die Fahrt hierher treibt, der landet nur gezwungen. Solcherlei Schiffer beklagen mich dann zwar wohl, reichen mir auch wohl etwas Speise oder ein Kleid, aber heimgeleiten will mich keiner, und so schmachte ich denn hier in Noth und Hunger schon ins zehnte Jahr; und das Alles haben Odysseus und die Atriden mir zu Leide gethan, denen die Götter mit Glei¬ chem vergelten mögen!"
Neoptolemus gerieth bei dieser Erzählung in wilde Bewegung seines Innern; doch drängte er dieselbe zurück, der Ermahnung des Odysseus eingedenk. Er berichtete dem jammernden Helden den Tod seines Vaters und was er sonst über Landsleute und Freunde zu hören wünschte, und knüpfte daran mit aller Wahrscheinlichkeit die Lüge, die Odysseus ihn gelehrt. Philoktetes hörte unter lauten Bezeugungen der Theilnahme und Ueberraschung zu; dann faßte er den Sohn des Achilles bei der Hand, weinte bitterlich und sprach: "Nun, liebes Kind, beschwöre ich dich bei Vater und Mutter, laß mich nicht in diesen meinen Qualen zurück. Ich weiß wohl, daß ich eine lä¬ stige Ladung bin! dennoch entschließe dich, nimm mich mit, wirf mich wohin du willst: ans Steuerruder, an den
an Feuer; wie lange währte es, bis ich den rechten Stein fand, der, an Eiſen geſchlagen, den Funken ſprühte, welcher mich bis dieſe Stunde erhalten hat. Denn, als ich einmal dieß Bedürfniß hatte, fehlte mir nichts mehr, mein Leben zu friſten, als Geſundheit. Jetzt höre aber auch von der Inſel etwas, lieber Sohn! Wiſſe, es iſt der armſeligſte Fleck auf der Erde: niemals nahet ſich ihr freiwillig ein Schiffer; es fehlt an Landungsplätzen, fehlt an Gelegenheit Waaren umzutauſchen, fehlt an allem Umgange mit Sterblichen. Wen die Fahrt hierher treibt, der landet nur gezwungen. Solcherlei Schiffer beklagen mich dann zwar wohl, reichen mir auch wohl etwas Speiſe oder ein Kleid, aber heimgeleiten will mich keiner, und ſo ſchmachte ich denn hier in Noth und Hunger ſchon ins zehnte Jahr; und das Alles haben Odyſſeus und die Atriden mir zu Leide gethan, denen die Götter mit Glei¬ chem vergelten mögen!“
Neoptolemus gerieth bei dieſer Erzählung in wilde Bewegung ſeines Innern; doch drängte er dieſelbe zurück, der Ermahnung des Odyſſeus eingedenk. Er berichtete dem jammernden Helden den Tod ſeines Vaters und was er ſonſt über Landsleute und Freunde zu hören wünſchte, und knüpfte daran mit aller Wahrſcheinlichkeit die Lüge, die Odyſſeus ihn gelehrt. Philoktetes hörte unter lauten Bezeugungen der Theilnahme und Ueberraſchung zu; dann faßte er den Sohn des Achilles bei der Hand, weinte bitterlich und ſprach: „Nun, liebes Kind, beſchwöre ich dich bei Vater und Mutter, laß mich nicht in dieſen meinen Qualen zurück. Ich weiß wohl, daß ich eine lä¬ ſtige Ladung bin! dennoch entſchließe dich, nimm mich mit, wirf mich wohin du willſt: ans Steuerruder, an den
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an Feuer; wie lange währte es, bis ich den rechten
Stein fand, der, an Eiſen geſchlagen, den Funken ſprühte,
welcher mich bis dieſe Stunde erhalten hat. Denn, als
ich einmal dieß Bedürfniß hatte, fehlte mir nichts mehr,
mein Leben zu friſten, als Geſundheit. Jetzt höre aber
auch von der Inſel etwas, lieber Sohn! Wiſſe, es iſt
der armſeligſte Fleck auf der Erde: niemals nahet ſich ihr
freiwillig ein Schiffer; es fehlt an Landungsplätzen, fehlt
an Gelegenheit Waaren umzutauſchen, fehlt an allem
Umgange mit Sterblichen. Wen die Fahrt hierher treibt,
der landet nur gezwungen. Solcherlei Schiffer beklagen
mich dann zwar wohl, reichen mir auch wohl etwas
Speiſe oder ein Kleid, aber heimgeleiten will mich keiner,
und ſo ſchmachte ich denn hier in Noth und Hunger ſchon
ins zehnte Jahr; und das Alles haben Odyſſeus und die
Atriden mir zu Leide gethan, denen die Götter mit Glei¬
chem vergelten mögen!“
Neoptolemus gerieth bei dieſer Erzählung in wilde
Bewegung ſeines Innern; doch drängte er dieſelbe zurück,
der Ermahnung des Odyſſeus eingedenk. Er berichtete
dem jammernden Helden den Tod ſeines Vaters und was
er ſonſt über Landsleute und Freunde zu hören wünſchte,
und knüpfte daran mit aller Wahrſcheinlichkeit die Lüge,
die Odyſſeus ihn gelehrt. Philoktetes hörte unter lauten
Bezeugungen der Theilnahme und Ueberraſchung zu;
dann faßte er den Sohn des Achilles bei der Hand,
weinte bitterlich und ſprach: „Nun, liebes Kind, beſchwöre
ich dich bei Vater und Mutter, laß mich nicht in dieſen
meinen Qualen zurück. Ich weiß wohl, daß ich eine lä¬
ſtige Ladung bin! dennoch entſchließe dich, nimm mich mit,
wirf mich wohin du willſt: ans Steuerruder, an den
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/410>, abgerufen am 22.11.2024.
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