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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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umschlang ihr Kind mit den Armen, küßte ihn auf
den Mund und weinte, daß der Boden naß wurde von
ihren Thränen. Die Danaer aber wichen mit ehrfurchts¬
vollem Grausen zurück vor den meerentstiegenen Göttinnen,
und nahten sich dem Leichname erst wieder, als jene sich
entfernt hatten und der Morgen anbrach. Da trugen sie
unzählige Bäume vom Berge Ida herab, thürmten sie
hoch auf, legten auf den Scheiterhaufen die Rüstungen
vieler Erschlagenen, geschlachtetes Opfervieh, Gold und
edle Metalle; die Helden der Griechen schnitten ihr Haar
ab und auch Briseis, die geliebte Sklavin des Todten
brachte die Locken als letztes Geschenk ihrem Gebieter
dar. Dann gossen sie viele Krüge Oeles über das auf¬
geschichtete Holz als Trankopfer, stellten Schalen mit
Honig und lieblichem Weine, welcher wie Nektar duftete,
auch mit edlen Gewürzen gefüllt, in das Gerüste; zu
oberst auf den Holzstoß wurde der Leichnam gelegt. Dar¬
auf machten sie in voller Waffenrüstung zu Roß und zu
Fuß die Runde um den düstern Holzstoß. Nun wurde der
Scheiterhaufen angezündet und die verzehrenden Flammen
schlugen unter dem Wehklagen der Krieger empor. Aeolus
aber sandte auf Jupiters Befehl seine schnellsten Winde,
die mit Sturmhauch in die aufgeschichteten knisternden
Bäume fuhren, daß die Gluth in wenigen Stunden den
Holzstoß mit sammt dem Leichnam in Asche verwandelte.
Die letzten Flammen löschten sie mit Weine. Da lagen
die Gebeine des Helden wie die Knochen eines Giganten,
getrennt von Allem, was zugleich mit ihnen verbrannt
worden war. Seine Genossen sammelten dieselben seuf¬
zend und legten sie in einen geräumigen aus Silber und
Gold gehämmerten Kasten, der auf der erhabensten Stelle

umſchlang ihr Kind mit den Armen, küßte ihn auf
den Mund und weinte, daß der Boden naß wurde von
ihren Thränen. Die Danaer aber wichen mit ehrfurchts¬
vollem Grauſen zurück vor den meerentſtiegenen Göttinnen,
und nahten ſich dem Leichname erſt wieder, als jene ſich
entfernt hatten und der Morgen anbrach. Da trugen ſie
unzählige Bäume vom Berge Ida herab, thürmten ſie
hoch auf, legten auf den Scheiterhaufen die Rüſtungen
vieler Erſchlagenen, geſchlachtetes Opfervieh, Gold und
edle Metalle; die Helden der Griechen ſchnitten ihr Haar
ab und auch Briſëis, die geliebte Sklavin des Todten
brachte die Locken als letztes Geſchenk ihrem Gebieter
dar. Dann goſſen ſie viele Krüge Oeles über das auf¬
geſchichtete Holz als Trankopfer, ſtellten Schalen mit
Honig und lieblichem Weine, welcher wie Nektar duftete,
auch mit edlen Gewürzen gefüllt, in das Gerüſte; zu
oberſt auf den Holzſtoß wurde der Leichnam gelegt. Dar¬
auf machten ſie in voller Waffenrüſtung zu Roß und zu
Fuß die Runde um den düſtern Holzſtoß. Nun wurde der
Scheiterhaufen angezündet und die verzehrenden Flammen
ſchlugen unter dem Wehklagen der Krieger empor. Aeolus
aber ſandte auf Jupiters Befehl ſeine ſchnellſten Winde,
die mit Sturmhauch in die aufgeſchichteten kniſternden
Bäume fuhren, daß die Gluth in wenigen Stunden den
Holzſtoß mit ſammt dem Leichnam in Aſche verwandelte.
Die letzten Flammen löſchten ſie mit Weine. Da lagen
die Gebeine des Helden wie die Knochen eines Giganten,
getrennt von Allem, was zugleich mit ihnen verbrannt
worden war. Seine Genoſſen ſammelten dieſelben ſeuf¬
zend und legten ſie in einen geräumigen aus Silber und
Gold gehämmerten Kaſten, der auf der erhabenſten Stelle

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[348/0370] umſchlang ihr Kind mit den Armen, küßte ihn auf den Mund und weinte, daß der Boden naß wurde von ihren Thränen. Die Danaer aber wichen mit ehrfurchts¬ vollem Grauſen zurück vor den meerentſtiegenen Göttinnen, und nahten ſich dem Leichname erſt wieder, als jene ſich entfernt hatten und der Morgen anbrach. Da trugen ſie unzählige Bäume vom Berge Ida herab, thürmten ſie hoch auf, legten auf den Scheiterhaufen die Rüſtungen vieler Erſchlagenen, geſchlachtetes Opfervieh, Gold und edle Metalle; die Helden der Griechen ſchnitten ihr Haar ab und auch Briſëis, die geliebte Sklavin des Todten brachte die Locken als letztes Geſchenk ihrem Gebieter dar. Dann goſſen ſie viele Krüge Oeles über das auf¬ geſchichtete Holz als Trankopfer, ſtellten Schalen mit Honig und lieblichem Weine, welcher wie Nektar duftete, auch mit edlen Gewürzen gefüllt, in das Gerüſte; zu oberſt auf den Holzſtoß wurde der Leichnam gelegt. Dar¬ auf machten ſie in voller Waffenrüſtung zu Roß und zu Fuß die Runde um den düſtern Holzſtoß. Nun wurde der Scheiterhaufen angezündet und die verzehrenden Flammen ſchlugen unter dem Wehklagen der Krieger empor. Aeolus aber ſandte auf Jupiters Befehl ſeine ſchnellſten Winde, die mit Sturmhauch in die aufgeſchichteten kniſternden Bäume fuhren, daß die Gluth in wenigen Stunden den Holzſtoß mit ſammt dem Leichnam in Aſche verwandelte. Die letzten Flammen löſchten ſie mit Weine. Da lagen die Gebeine des Helden wie die Knochen eines Giganten, getrennt von Allem, was zugleich mit ihnen verbrannt worden war. Seine Genoſſen ſammelten dieſelben ſeuf¬ zend und legten ſie in einen geräumigen aus Silber und Gold gehämmerten Kaſten, der auf der erhabenſten Stelle

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/370>, abgerufen am 22.11.2024.