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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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Penthesilea.

Nach Hektors Bestattung hielten sich die Trojaner
wieder hinter den Mauern ihrer Stadt, denn sie fürchteten
sich vor der Kraft des unbändigen Peleussohnes, und
scheuten sich in seine Nähe zu kommen, wie sich Stiere
sträuben, dem Lager eines entsetzlichen Waldlöwen zu na¬
hen. In der Stadt herrschte Trauer und Klage über den
Verlust ihres edelsten Bürgers und mächtigsten Beschützers,
und der Jammer war so groß, als wenn Troja schon
von den Flammen der Eroberer verzehrt würde.

In dieser trostlosen Lage erschien den Belagerten eine
Hülfe, von wannen sie nicht erwartet worden war. Vom
Thermodonstrome, in der kleinasiatischen Landschaft Pontus,
kam mit einem kleinen Haufen von Heldinnen die Amazo¬
nenkönigin Penthesilea herangezogen, die Trojaner zu unter¬
stützen. Es trieb sie zu dieser Unternehmung theils die
männliche Lust an Kriegsgefahren, die diesem Weibervolke
eigen ist, theils eine unfreiwillige Blutschuld, die ihr auf
dem Herzen lastete, und wegen der sie in ihrem Vater¬
lande übel angesehen war. Sie hatte nämlich auf einer
Jagd, als sie nach einem Hirsche mit ihrem Speere zielte,
ihre eigene geliebte Schwester Hippolyta mit dem Wurf¬
geschosse getödtet. Nun begleiteten sie die Rachegöttinnen
auf allen Pfaden und kein Opfer hatte dieselben bis auf
diese Stunde versöhnen können. Diesen Qualen hoffte sie
am ehesten durch einen den Göttern wohlgefälligen Kriegs¬
zug zu entgehen, und so brach sie mit zwölf auserlesenen
Genossinnen gen Troja auf, die alle, gleich ihr, nach

Pentheſiléa.

Nach Hektors Beſtattung hielten ſich die Trojaner
wieder hinter den Mauern ihrer Stadt, denn ſie fürchteten
ſich vor der Kraft des unbändigen Peleusſohnes, und
ſcheuten ſich in ſeine Nähe zu kommen, wie ſich Stiere
ſträuben, dem Lager eines entſetzlichen Waldlöwen zu na¬
hen. In der Stadt herrſchte Trauer und Klage über den
Verluſt ihres edelſten Bürgers und mächtigſten Beſchützers,
und der Jammer war ſo groß, als wenn Troja ſchon
von den Flammen der Eroberer verzehrt würde.

In dieſer troſtloſen Lage erſchien den Belagerten eine
Hülfe, von wannen ſie nicht erwartet worden war. Vom
Thermodonſtrome, in der kleinaſiatiſchen Landſchaft Pontus,
kam mit einem kleinen Haufen von Heldinnen die Amazo¬
nenkönigin Pentheſiléa herangezogen, die Trojaner zu unter¬
ſtützen. Es trieb ſie zu dieſer Unternehmung theils die
männliche Luſt an Kriegsgefahren, die dieſem Weibervolke
eigen iſt, theils eine unfreiwillige Blutſchuld, die ihr auf
dem Herzen laſtete, und wegen der ſie in ihrem Vater¬
lande übel angeſehen war. Sie hatte nämlich auf einer
Jagd, als ſie nach einem Hirſche mit ihrem Speere zielte,
ihre eigene geliebte Schweſter Hippolyta mit dem Wurf¬
geſchoſſe getödtet. Nun begleiteten ſie die Rachegöttinnen
auf allen Pfaden und kein Opfer hatte dieſelben bis auf
dieſe Stunde verſöhnen können. Dieſen Qualen hoffte ſie
am eheſten durch einen den Göttern wohlgefälligen Kriegs¬
zug zu entgehen, und ſo brach ſie mit zwölf auserleſenen
Genoſſinnen gen Troja auf, die alle, gleich ihr, nach

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[316/0338] Pentheſiléa. Nach Hektors Beſtattung hielten ſich die Trojaner wieder hinter den Mauern ihrer Stadt, denn ſie fürchteten ſich vor der Kraft des unbändigen Peleusſohnes, und ſcheuten ſich in ſeine Nähe zu kommen, wie ſich Stiere ſträuben, dem Lager eines entſetzlichen Waldlöwen zu na¬ hen. In der Stadt herrſchte Trauer und Klage über den Verluſt ihres edelſten Bürgers und mächtigſten Beſchützers, und der Jammer war ſo groß, als wenn Troja ſchon von den Flammen der Eroberer verzehrt würde. In dieſer troſtloſen Lage erſchien den Belagerten eine Hülfe, von wannen ſie nicht erwartet worden war. Vom Thermodonſtrome, in der kleinaſiatiſchen Landſchaft Pontus, kam mit einem kleinen Haufen von Heldinnen die Amazo¬ nenkönigin Pentheſiléa herangezogen, die Trojaner zu unter¬ ſtützen. Es trieb ſie zu dieſer Unternehmung theils die männliche Luſt an Kriegsgefahren, die dieſem Weibervolke eigen iſt, theils eine unfreiwillige Blutſchuld, die ihr auf dem Herzen laſtete, und wegen der ſie in ihrem Vater¬ lande übel angeſehen war. Sie hatte nämlich auf einer Jagd, als ſie nach einem Hirſche mit ihrem Speere zielte, ihre eigene geliebte Schweſter Hippolyta mit dem Wurf¬ geſchoſſe getödtet. Nun begleiteten ſie die Rachegöttinnen auf allen Pfaden und kein Opfer hatte dieſelben bis auf dieſe Stunde verſöhnen können. Dieſen Qualen hoffte ſie am eheſten durch einen den Göttern wohlgefälligen Kriegs¬ zug zu entgehen, und ſo brach ſie mit zwölf auserleſenen Genoſſinnen gen Troja auf, die alle, gleich ihr, nach

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/338>, abgerufen am 17.11.2024.