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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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"Weh mir, ihr Mägde, ich fürchte, Achilles habe meinen
muthigen Gatten allein von der Stadt abgeschnitten und
bedrohe seine Kühnheit, die ihn niemals im Haufen wei¬
len läßt! Folget euer zwei mir, daß wir schauen, was
es gibt!" Mit pochendem Herzen durchstürmte sie den
Pallast, eilte auf den Thurm und sah herab über die
Mauer, wie die Rosse des Peliden den Leichnam ihres
Gatten, erbarmungslos an den Wagen des Siegers ge¬
bunden, durchs Gefilde schleppten. Andromache sank rück¬
wärts in die Arme ihrer Schwäger und Schwägerinnen
in tiefe Ohnmacht und der köstliche Haarschmuck, das
Band, die Haube, die schöne Binde, das Hochzeitgeschenk
Aphrodite's, flogen weit weg von ihrem Haupte. Als sie
endlich wieder aufzuathmen anfing, begann sie mit gebro¬
chener Klage schluchzend vor Troja's Frauen: "Hektor!
wehe mir Armen! du, elend wie ich, zu Elend geboren,
wie ich! In Schmerz und Jammer verlassen, sitze ich
nun im Hause, eine Wittwe mit unserem unmündigen
Kinde, das des Vaters beraubt, die Augen gesenkt, mit
immer bethränten Wimpern aufwächst! Betteln wird es
müssen bei den Freunden des Vaters, und bald den am
Rock, bald den am Aermel zupfen, daß er ihm das
Schälchen reiche und zu nippen gebe! Manchmal auch
wird ein Kind blühender Eltern es vom Schmause ver¬
stoßen und sagen: trolle dich, dein Vater ist ja nicht bei'm
Gastmahl! dann flüchtet es sich weinend zu der Mutter,
die keinen Gatten hat. Der aber wird die Hunde sätti¬
gen und die Würmer werden den Ueberrest verzehren!
Was helfen mir nun die schmucken, zierlichen Gewande
in den Kästen? Der Flamme will ich sie alle übergeben:
was frommen sie mir? Hektor wird nicht mehr auf

„Weh mir, ihr Mägde, ich fürchte, Achilles habe meinen
muthigen Gatten allein von der Stadt abgeſchnitten und
bedrohe ſeine Kühnheit, die ihn niemals im Haufen wei¬
len läßt! Folget euer zwei mir, daß wir ſchauen, was
es gibt!“ Mit pochendem Herzen durchſtürmte ſie den
Pallaſt, eilte auf den Thurm und ſah herab über die
Mauer, wie die Roſſe des Peliden den Leichnam ihres
Gatten, erbarmungslos an den Wagen des Siegers ge¬
bunden, durchs Gefilde ſchleppten. Andromache ſank rück¬
wärts in die Arme ihrer Schwäger und Schwägerinnen
in tiefe Ohnmacht und der köſtliche Haarſchmuck, das
Band, die Haube, die ſchöne Binde, das Hochzeitgeſchenk
Aphrodite's, flogen weit weg von ihrem Haupte. Als ſie
endlich wieder aufzuathmen anfing, begann ſie mit gebro¬
chener Klage ſchluchzend vor Troja's Frauen: „Hektor!
wehe mir Armen! du, elend wie ich, zu Elend geboren,
wie ich! In Schmerz und Jammer verlaſſen, ſitze ich
nun im Hauſe, eine Wittwe mit unſerem unmündigen
Kinde, das des Vaters beraubt, die Augen geſenkt, mit
immer bethränten Wimpern aufwächst! Betteln wird es
müſſen bei den Freunden des Vaters, und bald den am
Rock, bald den am Aermel zupfen, daß er ihm das
Schälchen reiche und zu nippen gebe! Manchmal auch
wird ein Kind blühender Eltern es vom Schmauſe ver¬
ſtoßen und ſagen: trolle dich, dein Vater iſt ja nicht bei'm
Gaſtmahl! dann flüchtet es ſich weinend zu der Mutter,
die keinen Gatten hat. Der aber wird die Hunde ſätti¬
gen und die Würmer werden den Ueberreſt verzehren!
Was helfen mir nun die ſchmucken, zierlichen Gewande
in den Käſten? Der Flamme will ich ſie alle übergeben:
was frommen ſie mir? Hektor wird nicht mehr auf

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[288/0310] „Weh mir, ihr Mägde, ich fürchte, Achilles habe meinen muthigen Gatten allein von der Stadt abgeſchnitten und bedrohe ſeine Kühnheit, die ihn niemals im Haufen wei¬ len läßt! Folget euer zwei mir, daß wir ſchauen, was es gibt!“ Mit pochendem Herzen durchſtürmte ſie den Pallaſt, eilte auf den Thurm und ſah herab über die Mauer, wie die Roſſe des Peliden den Leichnam ihres Gatten, erbarmungslos an den Wagen des Siegers ge¬ bunden, durchs Gefilde ſchleppten. Andromache ſank rück¬ wärts in die Arme ihrer Schwäger und Schwägerinnen in tiefe Ohnmacht und der köſtliche Haarſchmuck, das Band, die Haube, die ſchöne Binde, das Hochzeitgeſchenk Aphrodite's, flogen weit weg von ihrem Haupte. Als ſie endlich wieder aufzuathmen anfing, begann ſie mit gebro¬ chener Klage ſchluchzend vor Troja's Frauen: „Hektor! wehe mir Armen! du, elend wie ich, zu Elend geboren, wie ich! In Schmerz und Jammer verlaſſen, ſitze ich nun im Hauſe, eine Wittwe mit unſerem unmündigen Kinde, das des Vaters beraubt, die Augen geſenkt, mit immer bethränten Wimpern aufwächst! Betteln wird es müſſen bei den Freunden des Vaters, und bald den am Rock, bald den am Aermel zupfen, daß er ihm das Schälchen reiche und zu nippen gebe! Manchmal auch wird ein Kind blühender Eltern es vom Schmauſe ver¬ ſtoßen und ſagen: trolle dich, dein Vater iſt ja nicht bei'm Gaſtmahl! dann flüchtet es ſich weinend zu der Mutter, die keinen Gatten hat. Der aber wird die Hunde ſätti¬ gen und die Würmer werden den Ueberreſt verzehren! Was helfen mir nun die ſchmucken, zierlichen Gewande in den Käſten? Der Flamme will ich ſie alle übergeben: was frommen ſie mir? Hektor wird nicht mehr auf

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/310>, abgerufen am 25.11.2024.