entscheidenden Kampfe durchs Getümmel hinwegführt? Wirst du sie nicht schnell verfolgen?" Nun stürmte Pallas Athene nach, und versetzte der zarten Göttin mit mächtiger Hand einen Schlag auf die Brust, daß sie zu Boden sank, und der verwundete Kriegsgott mit ihr. "Mögen alle so stürzen," rief Athene, "die es wagen, den Trojanern bei¬ zustehen! Wäre es jedem der Unsern gelungen, wie mir, so hätten wir längst Ruhe, und Troja wäre zum Schutt¬ haufen unter unsern Händen geworden." Ein Lächeln flog über Here's Gesicht, als sie dieses sah und hörte. Darauf sprach der Erderschütterer Poseidon, zu Apollo gewendet: "Phöbus, warum stehen wir so entfernt, da doch Andere den Kampf schon begonnen haben? Es wäre doch eine Schmach für uns, wenn wir beide zum Olymp zurückkeh¬ ren wollten, ohne unsere Kraft aneinander versucht zu haben. So hebe denn du an, bist du doch der Jüngere! Was säumst du? Hat dein Herz doch ganz vergessen, wie viel wir beide vor allen Göttern bereits Böses um Troja geduldet haben, seit wir dem stolzen Laomedon bei dem Bau der Stadtmauer fröhnten, und er unsere Dienste so schnöde vergalt? Du denkst wohl nicht mehr daran, sonst würdest du mit uns Andern auf die Vernichtung der Trojaner be¬ dacht seyn, und nicht dem Volke des trügerischen Laomedon willfahren!" "Beherrscher des Meeres," antwortete ihm Phöbus, "ich selbst würde dir nicht bei Besinnung dünken, wenn ich, der Sterblichen wegen, die hinfällig sind, wie das Laub im Walde, mit dir, dem ehrfurchtgebietenden Gotte, kämpfen wollte." So sprach Apollo, und wandte sich, voll Scheu, wider den Bruder seines Vaters ge¬ waltsam den Arm aufzuheben. Da spottete seiner die Schwester Artemis und rief höhnend: "Fliehest du schon
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entſcheidenden Kampfe durchs Getümmel hinwegführt? Wirſt du ſie nicht ſchnell verfolgen?“ Nun ſtürmte Pallas Athene nach, und verſetzte der zarten Göttin mit mächtiger Hand einen Schlag auf die Bruſt, daß ſie zu Boden ſank, und der verwundete Kriegsgott mit ihr. „Mögen alle ſo ſtürzen,“ rief Athene, „die es wagen, den Trojanern bei¬ zuſtehen! Wäre es jedem der Unſern gelungen, wie mir, ſo hätten wir längſt Ruhe, und Troja wäre zum Schutt¬ haufen unter unſern Händen geworden.“ Ein Lächeln flog über Here's Geſicht, als ſie dieſes ſah und hörte. Darauf ſprach der Erderſchütterer Poſeidon, zu Apollo gewendet: „Phöbus, warum ſtehen wir ſo entfernt, da doch Andere den Kampf ſchon begonnen haben? Es wäre doch eine Schmach für uns, wenn wir beide zum Olymp zurückkeh¬ ren wollten, ohne unſere Kraft aneinander verſucht zu haben. So hebe denn du an, biſt du doch der Jüngere! Was ſäumſt du? Hat dein Herz doch ganz vergeſſen, wie viel wir beide vor allen Göttern bereits Böſes um Troja geduldet haben, ſeit wir dem ſtolzen Laomedon bei dem Bau der Stadtmauer fröhnten, und er unſere Dienſte ſo ſchnöde vergalt? Du denkſt wohl nicht mehr daran, ſonſt würdeſt du mit uns Andern auf die Vernichtung der Trojaner be¬ dacht ſeyn, und nicht dem Volke des trügeriſchen Laomedon willfahren!“ „Beherrſcher des Meeres,“ antwortete ihm Phöbus, „ich ſelbſt würde dir nicht bei Beſinnung dünken, wenn ich, der Sterblichen wegen, die hinfällig ſind, wie das Laub im Walde, mit dir, dem ehrfurchtgebietenden Gotte, kämpfen wollte.“ So ſprach Apollo, und wandte ſich, voll Scheu, wider den Bruder ſeines Vaters ge¬ waltſam den Arm aufzuheben. Da ſpottete ſeiner die Schweſter Artemis und rief höhnend: „Flieheſt du ſchon
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entſcheidenden Kampfe durchs Getümmel hinwegführt?
Wirſt du ſie nicht ſchnell verfolgen?“ Nun ſtürmte Pallas
Athene nach, und verſetzte der zarten Göttin mit mächtiger
Hand einen Schlag auf die Bruſt, daß ſie zu Boden ſank,
und der verwundete Kriegsgott mit ihr. „Mögen alle ſo
ſtürzen,“ rief Athene, „die es wagen, den Trojanern bei¬
zuſtehen! Wäre es jedem der Unſern gelungen, wie mir,
ſo hätten wir längſt Ruhe, und Troja wäre zum Schutt¬
haufen unter unſern Händen geworden.“ Ein Lächeln flog
über Here's Geſicht, als ſie dieſes ſah und hörte. Darauf
ſprach der Erderſchütterer Poſeidon, zu Apollo gewendet:
„Phöbus, warum ſtehen wir ſo entfernt, da doch Andere
den Kampf ſchon begonnen haben? Es wäre doch eine
Schmach für uns, wenn wir beide zum Olymp zurückkeh¬
ren wollten, ohne unſere Kraft aneinander verſucht zu
haben. So hebe denn du an, biſt du doch der Jüngere!
Was ſäumſt du? Hat dein Herz doch ganz vergeſſen, wie
viel wir beide vor allen Göttern bereits Böſes um Troja
geduldet haben, ſeit wir dem ſtolzen Laomedon bei dem Bau
der Stadtmauer fröhnten, und er unſere Dienſte ſo ſchnöde
vergalt? Du denkſt wohl nicht mehr daran, ſonſt würdeſt
du mit uns Andern auf die Vernichtung der Trojaner be¬
dacht ſeyn, und nicht dem Volke des trügeriſchen Laomedon
willfahren!“ „Beherrſcher des Meeres,“ antwortete ihm
Phöbus, „ich ſelbſt würde dir nicht bei Beſinnung dünken,
wenn ich, der Sterblichen wegen, die hinfällig ſind, wie
das Laub im Walde, mit dir, dem ehrfurchtgebietenden
Gotte, kämpfen wollte.“ So ſprach Apollo, und wandte
ſich, voll Scheu, wider den Bruder ſeines Vaters ge¬
waltſam den Arm aufzuheben. Da ſpottete ſeiner die
Schweſter Artemis und rief höhnend: „Flieheſt du ſchon
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/297>, abgerufen am 22.11.2024.
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