euch zu bändigen und an seinen Wagen zu spannen. Nim¬ mermehr gestatte ich dieses; ist es nicht genug, daß er in seiner Eitelkeit sich rühmt, des Peliden Waffen zu besitzen?" Da beseelte Jupiter die Rosse mit Muth und edler Stärke. Plötzlich schüttelten beide den Staub von den Mähnen und sprengten mit dem Wagen rasch unter Trojaner und Griechen hinein. Automedon mußte sie gewähren lassen, und wehrte sich, so gut er konnte. Aber, allein auf dem hohen Wagensitze, war es ihm unmöglich, zugleich die Rosse zu lenken und die Lanze gegen den Feind zu schwin¬ gen. Endlich erspähte ihn sein Genosse Alcimedon, der Sohn des Laerkes, und wunderte sich, daß der Einsame mit dem leeren Wagen sich dem Schlachtgetümmel aus¬ setze. "Du bist, nächst meinem erschlagenen Freunde Pa¬ troklus, der beste Rossebändiger, Alcimedon," rief ihm jener zur Antwort zu; "wolltest du Peitsche und Zügel übernehmen, so überlasse ich dir die Rosse und warte des Kampfs."
Wie sich Automedon aus dem Sitze schwang, bemerkte es Hektor und sprach zu seinem Nebenkämpfer Aeneas: "Schau, dort sprengen die Rosse des Achilles mit sehr unkriegerischen Lenkern in die Schlacht vor, ist es dir recht, so bestürmen wir sie: die Beute kann uns nicht fehlen!" Aeneas winkte, und beide sprengten unter ihren Schilden heran, Chromius und Aretus ihnen nach. Aber Automedon betete zu Jupiter, und dieser erfüllte ihm sein Herz mit ungewohnter Kraft: "Halt mir die schnaubenden Rosse dicht am Rücken, Alcimedon!" rief er, und: "Ajax herbei, Menelaus herbei, überlaßt den Gestorbenen andern Tapfern und wehret von uns Lebendigen das Verderben. Uns bedrängen Hektor und Aeneas, die tapfersten Helden
euch zu bändigen und an ſeinen Wagen zu ſpannen. Nim¬ mermehr geſtatte ich dieſes; iſt es nicht genug, daß er in ſeiner Eitelkeit ſich rühmt, des Peliden Waffen zu beſitzen?“ Da beſeelte Jupiter die Roſſe mit Muth und edler Stärke. Plötzlich ſchüttelten beide den Staub von den Mähnen und ſprengten mit dem Wagen raſch unter Trojaner und Griechen hinein. Automedon mußte ſie gewähren laſſen, und wehrte ſich, ſo gut er konnte. Aber, allein auf dem hohen Wagenſitze, war es ihm unmöglich, zugleich die Roſſe zu lenken und die Lanze gegen den Feind zu ſchwin¬ gen. Endlich erſpähte ihn ſein Genoſſe Alcimedon, der Sohn des Laerkes, und wunderte ſich, daß der Einſame mit dem leeren Wagen ſich dem Schlachtgetümmel aus¬ ſetze. „Du biſt, nächſt meinem erſchlagenen Freunde Pa¬ troklus, der beſte Roſſebändiger, Alcimedon,“ rief ihm jener zur Antwort zu; „wollteſt du Peitſche und Zügel übernehmen, ſo überlaſſe ich dir die Roſſe und warte des Kampfs.“
Wie ſich Automedon aus dem Sitze ſchwang, bemerkte es Hektor und ſprach zu ſeinem Nebenkämpfer Aeneas: „Schau, dort ſprengen die Roſſe des Achilles mit ſehr unkriegeriſchen Lenkern in die Schlacht vor, iſt es dir recht, ſo beſtürmen wir ſie: die Beute kann uns nicht fehlen!“ Aeneas winkte, und beide ſprengten unter ihren Schilden heran, Chromius und Aretus ihnen nach. Aber Automedon betete zu Jupiter, und dieſer erfüllte ihm ſein Herz mit ungewohnter Kraft: „Halt mir die ſchnaubenden Roſſe dicht am Rücken, Alcimedon!“ rief er, und: „Ajax herbei, Menelaus herbei, überlaßt den Geſtorbenen andern Tapfern und wehret von uns Lebendigen das Verderben. Uns bedrängen Hektor und Aeneas, die tapferſten Helden
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euch zu bändigen und an ſeinen Wagen zu ſpannen. Nim¬
mermehr geſtatte ich dieſes; iſt es nicht genug, daß er in
ſeiner Eitelkeit ſich rühmt, des Peliden Waffen zu beſitzen?“
Da beſeelte Jupiter die Roſſe mit Muth und edler Stärke.
Plötzlich ſchüttelten beide den Staub von den Mähnen und
ſprengten mit dem Wagen raſch unter Trojaner und
Griechen hinein. Automedon mußte ſie gewähren laſſen,
und wehrte ſich, ſo gut er konnte. Aber, allein auf dem
hohen Wagenſitze, war es ihm unmöglich, zugleich die
Roſſe zu lenken und die Lanze gegen den Feind zu ſchwin¬
gen. Endlich erſpähte ihn ſein Genoſſe Alcimedon, der
Sohn des Laerkes, und wunderte ſich, daß der Einſame
mit dem leeren Wagen ſich dem Schlachtgetümmel aus¬
ſetze. „Du biſt, nächſt meinem erſchlagenen Freunde Pa¬
troklus, der beſte Roſſebändiger, Alcimedon,“ rief ihm
jener zur Antwort zu; „wollteſt du Peitſche und Zügel
übernehmen, ſo überlaſſe ich dir die Roſſe und warte des
Kampfs.“
Wie ſich Automedon aus dem Sitze ſchwang, bemerkte
es Hektor und ſprach zu ſeinem Nebenkämpfer Aeneas:
„Schau, dort ſprengen die Roſſe des Achilles mit ſehr
unkriegeriſchen Lenkern in die Schlacht vor, iſt es dir
recht, ſo beſtürmen wir ſie: die Beute kann uns nicht
fehlen!“ Aeneas winkte, und beide ſprengten unter ihren
Schilden heran, Chromius und Aretus ihnen nach. Aber
Automedon betete zu Jupiter, und dieſer erfüllte ihm ſein
Herz mit ungewohnter Kraft: „Halt mir die ſchnaubenden
Roſſe dicht am Rücken, Alcimedon!“ rief er, und: „Ajax
herbei, Menelaus herbei, überlaßt den Geſtorbenen andern
Tapfern und wehret von uns Lebendigen das Verderben.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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