Olympus," sprach er, "wo hast du Rosse und Wagen gelassen, liebes Weib?" Mit listigem Sinn erwiederte ihm Here: "Väterchen, ich will ans Ende der Erde ge¬ hen, den Oceanus und die Tethys, meine Pflegeltern, zu versöhnen." "Hegst du denn ewige Feindschaft gegen mich?" antwortete Jupiter, "diese Ausfahrt kannst du auch später betreiben. Laß uns hier, sanft gelagert, und einmüthig an dem Kampfe der Völker uns ergötzen." Als Juno dieß Wort hörte, erschrack sie, denn sie sah, daß selbst ihre Schönheit und der Zaubergürtel Aphrodite's dem Gemahl die Sorge für den Kampf und den Groll gegen die Griechen nicht ganz aus dem Herzen zu scheuchen ver¬ mochten. Doch verhehlte sie ihren Schrecken, umschlang ihn freundlich und sprach, seine Wange streichelnd: "Vä¬ terchen, ich will ja deinen Willen thun." Zugleich aber winkte sie dem Schlaf, der ihr unsichtbar gefolgt war, und ihres Befehles gewärtig hinter Jupiters Rücken stand. Dieser senkte sich auf seine Augenlieder, daß er, ohne zu antworten, sein nickendes Haupt in den Schooß der Gemahlin legte, und in tiefen Schlummer versank. Eilig schickte jetzt die Himmlische den Gott des Schlafs als Boten nach den Schiffen zu Poseidon, und ließ dem Gotte sagen: "Jetzt laß, dir's Ernst seyn, und verleih den Griechen Ruhm, denn Jupiter liegt auf dem Gipfel des Ida durch meine Bethörung in tiefen Schlaf gesunken!"
Schnell stürzte sich Neptunus jetzt ins vorderste Ge¬ tümmel und rief dem Danaervolke zu: "Wollen wir dem Hektor auch jetzt noch den Sieg lassen, ihr Männer, daß er die Schiffe erobere und Ruhm einärnte? Zwar ich weiß, er verläßt sich auf den Zorn des Achilles, aber es wäre eine Schmach für uns, wenn wir ohne diesen nicht
Olympus,“ ſprach er, „wo haſt du Roſſe und Wagen gelaſſen, liebes Weib?“ Mit liſtigem Sinn erwiederte ihm Here: „Väterchen, ich will ans Ende der Erde ge¬ hen, den Oceanus und die Tethys, meine Pflegeltern, zu verſöhnen.“ „Hegſt du denn ewige Feindſchaft gegen mich?“ antwortete Jupiter, „dieſe Ausfahrt kannſt du auch ſpäter betreiben. Laß uns hier, ſanft gelagert, und einmüthig an dem Kampfe der Völker uns ergötzen.“ Als Juno dieß Wort hörte, erſchrack ſie, denn ſie ſah, daß ſelbſt ihre Schönheit und der Zaubergürtel Aphrodite's dem Gemahl die Sorge für den Kampf und den Groll gegen die Griechen nicht ganz aus dem Herzen zu ſcheuchen ver¬ mochten. Doch verhehlte ſie ihren Schrecken, umſchlang ihn freundlich und ſprach, ſeine Wange ſtreichelnd: „Vä¬ terchen, ich will ja deinen Willen thun.“ Zugleich aber winkte ſie dem Schlaf, der ihr unſichtbar gefolgt war, und ihres Befehles gewärtig hinter Jupiters Rücken ſtand. Dieſer ſenkte ſich auf ſeine Augenlieder, daß er, ohne zu antworten, ſein nickendes Haupt in den Schooß der Gemahlin legte, und in tiefen Schlummer verſank. Eilig ſchickte jetzt die Himmliſche den Gott des Schlafs als Boten nach den Schiffen zu Poſeidon, und ließ dem Gotte ſagen: „Jetzt laß, dir's Ernſt ſeyn, und verleih den Griechen Ruhm, denn Jupiter liegt auf dem Gipfel des Ida durch meine Bethörung in tiefen Schlaf geſunken!“
Schnell ſtürzte ſich Neptunus jetzt ins vorderſte Ge¬ tümmel und rief dem Danaervolke zu: „Wollen wir dem Hektor auch jetzt noch den Sieg laſſen, ihr Männer, daß er die Schiffe erobere und Ruhm einärnte? Zwar ich weiß, er verläßt ſich auf den Zorn des Achilles, aber es wäre eine Schmach für uns, wenn wir ohne dieſen nicht
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Olympus,“ ſprach er, „wo haſt du Roſſe und Wagen
gelaſſen, liebes Weib?“ Mit liſtigem Sinn erwiederte
ihm Here: „Väterchen, ich will ans Ende der Erde ge¬
hen, den Oceanus und die Tethys, meine Pflegeltern, zu
verſöhnen.“ „Hegſt du denn ewige Feindſchaft gegen mich?“
antwortete Jupiter, „dieſe Ausfahrt kannſt du auch ſpäter
betreiben. Laß uns hier, ſanft gelagert, und einmüthig
an dem Kampfe der Völker uns ergötzen.“ Als Juno
dieß Wort hörte, erſchrack ſie, denn ſie ſah, daß ſelbſt ihre
Schönheit und der Zaubergürtel Aphrodite's dem Gemahl
die Sorge für den Kampf und den Groll gegen die
Griechen nicht ganz aus dem Herzen zu ſcheuchen ver¬
mochten. Doch verhehlte ſie ihren Schrecken, umſchlang
ihn freundlich und ſprach, ſeine Wange ſtreichelnd: „Vä¬
terchen, ich will ja deinen Willen thun.“ Zugleich aber
winkte ſie dem Schlaf, der ihr unſichtbar gefolgt war,
und ihres Befehles gewärtig hinter Jupiters Rücken
ſtand. Dieſer ſenkte ſich auf ſeine Augenlieder, daß er,
ohne zu antworten, ſein nickendes Haupt in den Schooß
der Gemahlin legte, und in tiefen Schlummer verſank.
Eilig ſchickte jetzt die Himmliſche den Gott des Schlafs
als Boten nach den Schiffen zu Poſeidon, und ließ dem
Gotte ſagen: „Jetzt laß, dir's Ernſt ſeyn, und verleih den
Griechen Ruhm, denn Jupiter liegt auf dem Gipfel des
Ida durch meine Bethörung in tiefen Schlaf geſunken!“
Schnell ſtürzte ſich Neptunus jetzt ins vorderſte Ge¬
tümmel und rief dem Danaervolke zu: „Wollen wir dem
Hektor auch jetzt noch den Sieg laſſen, ihr Männer, daß
er die Schiffe erobere und Ruhm einärnte? Zwar ich
weiß, er verläßt ſich auf den Zorn des Achilles, aber es
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/224>, abgerufen am 29.11.2024.
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