Verwundeten unter der Brust faßte, ins Zelt führte, dort ihn auf eine Stierhaut legte und ihm mit dem Messer den scharfen Pfeil aus dem Schenkel schnitt; dann spülte er das schwarze Blut sogleich mit lauem Wasser ab, zer¬ malmte eine bittere Heilwurzel mit den Fingern und streute sie auf die Wunde, bis das Blut ins Stocken gerieth. So pflegte der gute Patroklus des wunden Helden.
Kampf um die Mauer.
Der Graben und die Mauer, welche die Griechen um ihre Schiffe her breit aufgethürmt hatten, war ohne ein Festopfer den Göttern zum Trotze von ihnen gebaut wor¬ den. Deßwegen sollte sie ihnen auch nicht zum Schutze dienen und nicht lange unerschüttert bestehen. Schon jetzt, wo Troja im zehnten Jahre seiner Belagerung schmachtete, beschlossen Poseidon (Neptun) und Apollo, den Bau dereinst zu vertilgen, die Bergströme auf sie hereinzuleiten und das Meer gegen sie zu empören. Doch sollte dieß erst nach der Zerstörung Troja's ins Werk gesetzt werden.
Jetzt aber war Getümmel und Schlacht rings um den gewaltigen Bau entbrannt, und die Argiver drängten sich, bange vor Hektors Wuth, bei den Schiffen eingehegt. Die¬ ser rannte wie ein Löwe im Gewühl umher und munterte die Seinigen auf, den Graben zu durchrennen. Das aber wollte kein Rossegespann ihm wagen. Am äußersten Rande des Grabens angekommen, bäumten sich Alle unter lautem Gewieher zurück, denn dieser war zu breit zum Sprunge und zu abschüssig von beiden Seiten zum Durchgang, dazu
Verwundeten unter der Bruſt faßte, ins Zelt führte, dort ihn auf eine Stierhaut legte und ihm mit dem Meſſer den ſcharfen Pfeil aus dem Schenkel ſchnitt; dann ſpülte er das ſchwarze Blut ſogleich mit lauem Waſſer ab, zer¬ malmte eine bittere Heilwurzel mit den Fingern und ſtreute ſie auf die Wunde, bis das Blut ins Stocken gerieth. So pflegte der gute Patroklus des wunden Helden.
Kampf um die Mauer.
Der Graben und die Mauer, welche die Griechen um ihre Schiffe her breit aufgethürmt hatten, war ohne ein Feſtopfer den Göttern zum Trotze von ihnen gebaut wor¬ den. Deßwegen ſollte ſie ihnen auch nicht zum Schutze dienen und nicht lange unerſchüttert beſtehen. Schon jetzt, wo Troja im zehnten Jahre ſeiner Belagerung ſchmachtete, beſchloſſen Poſeidon (Neptun) und Apollo, den Bau dereinſt zu vertilgen, die Bergſtröme auf ſie hereinzuleiten und das Meer gegen ſie zu empören. Doch ſollte dieß erſt nach der Zerſtörung Troja's ins Werk geſetzt werden.
Jetzt aber war Getümmel und Schlacht rings um den gewaltigen Bau entbrannt, und die Argiver drängten ſich, bange vor Hektors Wuth, bei den Schiffen eingehegt. Die¬ ſer rannte wie ein Löwe im Gewühl umher und munterte die Seinigen auf, den Graben zu durchrennen. Das aber wollte kein Roſſegeſpann ihm wagen. Am äußerſten Rande des Grabens angekommen, bäumten ſich Alle unter lautem Gewieher zurück, denn dieſer war zu breit zum Sprunge und zu abſchüſſig von beiden Seiten zum Durchgang, dazu
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0204"n="182"/>
Verwundeten unter der Bruſt faßte, ins Zelt führte, dort<lb/>
ihn auf eine Stierhaut legte und ihm mit dem Meſſer den<lb/>ſcharfen Pfeil aus dem Schenkel ſchnitt; dann ſpülte er<lb/>
das ſchwarze Blut ſogleich mit lauem Waſſer ab, zer¬<lb/>
malmte eine bittere Heilwurzel mit den Fingern und ſtreute<lb/>ſie auf die Wunde, bis das Blut ins Stocken gerieth. So<lb/>
pflegte der gute Patroklus des wunden Helden.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="2"><head><hirendition="#b">Kampf um die Mauer.</hi><lb/></head><p>Der Graben und die Mauer, welche die Griechen um<lb/>
ihre Schiffe her breit aufgethürmt hatten, war ohne ein<lb/>
Feſtopfer den Göttern zum Trotze von ihnen gebaut wor¬<lb/>
den. Deßwegen ſollte ſie ihnen auch nicht zum Schutze<lb/>
dienen und nicht lange unerſchüttert beſtehen. Schon jetzt,<lb/>
wo Troja im zehnten Jahre ſeiner Belagerung ſchmachtete,<lb/>
beſchloſſen Poſeidon (Neptun) und Apollo, den Bau dereinſt<lb/>
zu vertilgen, die Bergſtröme auf ſie hereinzuleiten und das<lb/>
Meer gegen ſie zu empören. Doch ſollte dieß erſt nach<lb/>
der Zerſtörung Troja's ins Werk geſetzt werden.</p><lb/><p>Jetzt aber war Getümmel und Schlacht rings um den<lb/>
gewaltigen Bau entbrannt, und die Argiver drängten ſich,<lb/>
bange vor Hektors Wuth, bei den Schiffen eingehegt. Die¬<lb/>ſer rannte wie ein Löwe im Gewühl umher und munterte<lb/>
die Seinigen auf, den Graben zu durchrennen. Das aber<lb/>
wollte kein Roſſegeſpann ihm wagen. Am äußerſten Rande<lb/>
des Grabens angekommen, bäumten ſich Alle unter lautem<lb/>
Gewieher zurück, denn dieſer war zu breit zum Sprunge<lb/>
und zu abſchüſſig von beiden Seiten zum Durchgang, dazu<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[182/0204]
Verwundeten unter der Bruſt faßte, ins Zelt führte, dort
ihn auf eine Stierhaut legte und ihm mit dem Meſſer den
ſcharfen Pfeil aus dem Schenkel ſchnitt; dann ſpülte er
das ſchwarze Blut ſogleich mit lauem Waſſer ab, zer¬
malmte eine bittere Heilwurzel mit den Fingern und ſtreute
ſie auf die Wunde, bis das Blut ins Stocken gerieth. So
pflegte der gute Patroklus des wunden Helden.
Kampf um die Mauer.
Der Graben und die Mauer, welche die Griechen um
ihre Schiffe her breit aufgethürmt hatten, war ohne ein
Feſtopfer den Göttern zum Trotze von ihnen gebaut wor¬
den. Deßwegen ſollte ſie ihnen auch nicht zum Schutze
dienen und nicht lange unerſchüttert beſtehen. Schon jetzt,
wo Troja im zehnten Jahre ſeiner Belagerung ſchmachtete,
beſchloſſen Poſeidon (Neptun) und Apollo, den Bau dereinſt
zu vertilgen, die Bergſtröme auf ſie hereinzuleiten und das
Meer gegen ſie zu empören. Doch ſollte dieß erſt nach
der Zerſtörung Troja's ins Werk geſetzt werden.
Jetzt aber war Getümmel und Schlacht rings um den
gewaltigen Bau entbrannt, und die Argiver drängten ſich,
bange vor Hektors Wuth, bei den Schiffen eingehegt. Die¬
ſer rannte wie ein Löwe im Gewühl umher und munterte
die Seinigen auf, den Graben zu durchrennen. Das aber
wollte kein Roſſegeſpann ihm wagen. Am äußerſten Rande
des Grabens angekommen, bäumten ſich Alle unter lautem
Gewieher zurück, denn dieſer war zu breit zum Sprunge
und zu abſchüſſig von beiden Seiten zum Durchgang, dazu
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/204>, abgerufen am 17.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.