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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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linken Seite des Treffens, am Gestade des Skamander,
und richtete dort in den Reihen der Jünglinge, die den
Helden Idomeneus umgaben, breite Verwüstung an. Den¬
noch wären die Helden nicht vor ihm gewichen, hätte nicht
ein dreikantiger Pfeil des Paris dem großen Arzt des
Danaerheeres, Machaon, die rechte Schulter verwundet.
Da rief erschrocken Idomeneus: "Nestor! Hurtig dem
Freund auf den Wagen geholfen! Ein Mann, der Pfeile
ausschneidet und lindernden Balsam auflegt, ist hundert
andere Helden werth!" Schnell schwang sich Nestor auf
seinen Wagen, der verwundete Machaon mit ihm,
und beide flogen den Schiffen zu.

Aber der Wagenlenker Hektors machte jetzt diesen auf
die Verwirrung aufmerksam, in welcher sich der andere
Flügel der Trojaner befand, wo Ajax das Gewühl der
Feinde durchtobte. In einem Augenblicke waren sie mit
ihrem Wagen dort, und Hektor fing an unter den Rei¬
hen der Griechen zu rasen. Nur den Ajax vermied er,
denn Jupiter hatte ihn gewarnt, sich mit dem stärkeren
Manne nicht messen zu wollen. Zugleich aber sandte der
Göttervater in die Seele des Ajax Furcht, daß dieser beim
Anblicke Hektors den Schild auf die Schulter warf, und,
angstvoll um die Schiffe der Danaer besorgt, die Reihen
der Trojaner, sich zur Flucht kehrend, verließ. Als die
Feinde dieß gewahr wurden, schleuderten sie ihm die Lan¬
zen auf den vom Rücken herabhängenden Schild. Doch
Ajax durfte sein Angesicht nur umwenden, so flohen sie
wieder. Wo der Weg zu den Schiffen ging, stellte er
sich jetzt auf, hielt den Schild vor, und wehrte die vor¬
dringenden Trojaner ab, daß ihre Speere theils in seinem
siebenhäutigen Stierschilde hafteten, theils ohne den Leib

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linken Seite des Treffens, am Geſtade des Skamander,
und richtete dort in den Reihen der Jünglinge, die den
Helden Idomeneus umgaben, breite Verwüſtung an. Den¬
noch wären die Helden nicht vor ihm gewichen, hätte nicht
ein dreikantiger Pfeil des Paris dem großen Arzt des
Danaerheeres, Machaon, die rechte Schulter verwundet.
Da rief erſchrocken Idomeneus: „Neſtor! Hurtig dem
Freund auf den Wagen geholfen! Ein Mann, der Pfeile
ausſchneidet und lindernden Balſam auflegt, iſt hundert
andere Helden werth!“ Schnell ſchwang ſich Neſtor auf
ſeinen Wagen, der verwundete Machaon mit ihm,
und beide flogen den Schiffen zu.

Aber der Wagenlenker Hektors machte jetzt dieſen auf
die Verwirrung aufmerkſam, in welcher ſich der andere
Flügel der Trojaner befand, wo Ajax das Gewühl der
Feinde durchtobte. In einem Augenblicke waren ſie mit
ihrem Wagen dort, und Hektor fing an unter den Rei¬
hen der Griechen zu raſen. Nur den Ajax vermied er,
denn Jupiter hatte ihn gewarnt, ſich mit dem ſtärkeren
Manne nicht meſſen zu wollen. Zugleich aber ſandte der
Göttervater in die Seele des Ajax Furcht, daß dieſer beim
Anblicke Hektors den Schild auf die Schulter warf, und,
angſtvoll um die Schiffe der Danaer beſorgt, die Reihen
der Trojaner, ſich zur Flucht kehrend, verließ. Als die
Feinde dieß gewahr wurden, ſchleuderten ſie ihm die Lan¬
zen auf den vom Rücken herabhängenden Schild. Doch
Ajax durfte ſein Angeſicht nur umwenden, ſo flohen ſie
wieder. Wo der Weg zu den Schiffen ging, ſtellte er
ſich jetzt auf, hielt den Schild vor, und wehrte die vor¬
dringenden Trojaner ab, daß ihre Speere theils in ſeinem
ſiebenhäutigen Stierſchilde hafteten, theils ohne den Leib

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[179/0201] linken Seite des Treffens, am Geſtade des Skamander, und richtete dort in den Reihen der Jünglinge, die den Helden Idomeneus umgaben, breite Verwüſtung an. Den¬ noch wären die Helden nicht vor ihm gewichen, hätte nicht ein dreikantiger Pfeil des Paris dem großen Arzt des Danaerheeres, Machaon, die rechte Schulter verwundet. Da rief erſchrocken Idomeneus: „Neſtor! Hurtig dem Freund auf den Wagen geholfen! Ein Mann, der Pfeile ausſchneidet und lindernden Balſam auflegt, iſt hundert andere Helden werth!“ Schnell ſchwang ſich Neſtor auf ſeinen Wagen, der verwundete Machaon mit ihm, und beide flogen den Schiffen zu. Aber der Wagenlenker Hektors machte jetzt dieſen auf die Verwirrung aufmerkſam, in welcher ſich der andere Flügel der Trojaner befand, wo Ajax das Gewühl der Feinde durchtobte. In einem Augenblicke waren ſie mit ihrem Wagen dort, und Hektor fing an unter den Rei¬ hen der Griechen zu raſen. Nur den Ajax vermied er, denn Jupiter hatte ihn gewarnt, ſich mit dem ſtärkeren Manne nicht meſſen zu wollen. Zugleich aber ſandte der Göttervater in die Seele des Ajax Furcht, daß dieſer beim Anblicke Hektors den Schild auf die Schulter warf, und, angſtvoll um die Schiffe der Danaer beſorgt, die Reihen der Trojaner, ſich zur Flucht kehrend, verließ. Als die Feinde dieß gewahr wurden, ſchleuderten ſie ihm die Lan¬ zen auf den vom Rücken herabhängenden Schild. Doch Ajax durfte ſein Angeſicht nur umwenden, ſo flohen ſie wieder. Wo der Weg zu den Schiffen ging, ſtellte er ſich jetzt auf, hielt den Schild vor, und wehrte die vor¬ dringenden Trojaner ab, daß ihre Speere theils in ſeinem ſiebenhäutigen Stierſchilde hafteten, theils ohne den Leib 12 *

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/201>, abgerufen am 27.11.2024.