der Seinigen. Unmuthig wandte sich Diomedes einem andern Trojaner zu, den er niederstreckte und der Rü¬ stung zu berauben sich anschickte.
Diesen Augenblick ersah Paris, schmiegte sich hin¬ ter die Denksäule des Ilus, und schoß den knieenden Helden in die Ferse, daß der Pfeil, durch die Sohle ge¬ drungen, im Fleische festsaß. Dann sprang er lachend aus dem Hinterhalte, und spottete jauchzend des Ge¬ troffenen. Diomedes schaute sich um, und als er den Schützen erblickte, rief er ihm zu: "Bist du es, Weiber¬ held? du vermöchtest mit offener Gewalt nichts gegen mich, und prahlest jetzt, daß du mir den Fuß von hinten geritzt hast? das macht mir so wenig, als hätte mich ein Mädchen oder ein Knabe getroffen!" Inzwischen war Odysseus herbeigeeilt und stellte sich vor den Verwundeten, der sich mit Schmerzen, doch in Sicherheit, den Pfeil aus dem Fuße zog. Dann schwang er sich in den Wagensitz zu seinem Freunde Sthenelus, und ließ sich heimgeleiten zu seinen Schiffen.
Nun blieb Odysseus allein zurück im tiefsten Gedränge der Feinde, und kein Argiver wagte sich in die Nähe. Der Held besprach sich mit seinem Herzen, ob er weichen sollte oder ausharren. Doch sah er wohl ein, daß es demjeni¬ gen, der in der Feldschlacht edel erscheinen will, durchaus Noth thut, Stand zu halten, mag er nun treffen oder getroffen werden. Während er dieß erwog, umschlossen ihn die Trojaner mit ihren Schlachtreihen, wie Jäger und Jagdhunde einen stürzenden Eber umringen, der den Zahn im zurückgebogenen Rüssel wetzt. Er aber empfing entschlossen die auf ihn Einstürmenden, und es dauerte wenig Augenblicke, so waren fünf Trojaner vor seinen
Schwab, das klass. Alterthum. II. 12
der Seinigen. Unmuthig wandte ſich Diomedes einem andern Trojaner zu, den er niederſtreckte und der Rü¬ ſtung zu berauben ſich anſchickte.
Dieſen Augenblick erſah Paris, ſchmiegte ſich hin¬ ter die Denkſäule des Ilus, und ſchoß den knieenden Helden in die Ferſe, daß der Pfeil, durch die Sohle ge¬ drungen, im Fleiſche feſtſaß. Dann ſprang er lachend aus dem Hinterhalte, und ſpottete jauchzend des Ge¬ troffenen. Diomedes ſchaute ſich um, und als er den Schützen erblickte, rief er ihm zu: „Biſt du es, Weiber¬ held? du vermöchteſt mit offener Gewalt nichts gegen mich, und prahleſt jetzt, daß du mir den Fuß von hinten geritzt haſt? das macht mir ſo wenig, als hätte mich ein Mädchen oder ein Knabe getroffen!“ Inzwiſchen war Odyſſeus herbeigeeilt und ſtellte ſich vor den Verwundeten, der ſich mit Schmerzen, doch in Sicherheit, den Pfeil aus dem Fuße zog. Dann ſchwang er ſich in den Wagenſitz zu ſeinem Freunde Sthenelus, und ließ ſich heimgeleiten zu ſeinen Schiffen.
Nun blieb Odyſſeus allein zurück im tiefſten Gedränge der Feinde, und kein Argiver wagte ſich in die Nähe. Der Held beſprach ſich mit ſeinem Herzen, ob er weichen ſollte oder ausharren. Doch ſah er wohl ein, daß es demjeni¬ gen, der in der Feldſchlacht edel erſcheinen will, durchaus Noth thut, Stand zu halten, mag er nun treffen oder getroffen werden. Während er dieß erwog, umſchloſſen ihn die Trojaner mit ihren Schlachtreihen, wie Jäger und Jagdhunde einen ſtürzenden Eber umringen, der den Zahn im zurückgebogenen Rüſſel wetzt. Er aber empfing entſchloſſen die auf ihn Einſtürmenden, und es dauerte wenig Augenblicke, ſo waren fünf Trojaner vor ſeinen
Schwab, das klaſſ. Alterthum. II. 12
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der Seinigen. Unmuthig wandte ſich Diomedes einem
andern Trojaner zu, den er niederſtreckte und der Rü¬
ſtung zu berauben ſich anſchickte.
Dieſen Augenblick erſah Paris, ſchmiegte ſich hin¬
ter die Denkſäule des Ilus, und ſchoß den knieenden
Helden in die Ferſe, daß der Pfeil, durch die Sohle ge¬
drungen, im Fleiſche feſtſaß. Dann ſprang er lachend
aus dem Hinterhalte, und ſpottete jauchzend des Ge¬
troffenen. Diomedes ſchaute ſich um, und als er den
Schützen erblickte, rief er ihm zu: „Biſt du es, Weiber¬
held? du vermöchteſt mit offener Gewalt nichts gegen
mich, und prahleſt jetzt, daß du mir den Fuß von hinten
geritzt haſt? das macht mir ſo wenig, als hätte mich ein
Mädchen oder ein Knabe getroffen!“ Inzwiſchen war
Odyſſeus herbeigeeilt und ſtellte ſich vor den Verwundeten,
der ſich mit Schmerzen, doch in Sicherheit, den Pfeil aus
dem Fuße zog. Dann ſchwang er ſich in den Wagenſitz
zu ſeinem Freunde Sthenelus, und ließ ſich heimgeleiten
zu ſeinen Schiffen.
Nun blieb Odyſſeus allein zurück im tiefſten Gedränge
der Feinde, und kein Argiver wagte ſich in die Nähe. Der
Held beſprach ſich mit ſeinem Herzen, ob er weichen ſollte
oder ausharren. Doch ſah er wohl ein, daß es demjeni¬
gen, der in der Feldſchlacht edel erſcheinen will, durchaus
Noth thut, Stand zu halten, mag er nun treffen oder
getroffen werden. Während er dieß erwog, umſchloſſen
ihn die Trojaner mit ihren Schlachtreihen, wie Jäger
und Jagdhunde einen ſtürzenden Eber umringen, der den
Zahn im zurückgebogenen Rüſſel wetzt. Er aber empfing
entſchloſſen die auf ihn Einſtürmenden, und es dauerte
wenig Augenblicke, ſo waren fünf Trojaner vor ſeinen
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 177. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/199>, abgerufen am 27.11.2024.
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