Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

Bild:
<< vorherige Seite

zugebracht, um jenen Undankbaren ein Weib zu erobern,
und was ich erbeutet hatte, brachte ich dem Atriden zur
Gabe dar; er aber nahm die Schätze, behielt das Meiste,
und vertheilte davon nur Weniges; mir selbst hat er auch die
lieblichste Beute entrissen. Darum will ich morgen schon
Jupiter und den Göttern opfern; noch im Morgenrothe
sollen meine Schiffe im Hellespont schwimmen und in
dreien Tagen hoffe ich in Phthia zu Hause zu seyn. Ein¬
mal hat er mich betrogen, zum zweitenmale wird er mich
nicht täuschen, er begnüge sich! Gehet und meldet den
Fürsten diese Botschaft, Phönix aber bleibe, wenn es ihm
gefällt, und schiffe heim mit mir ins Land der Väter!"

Vergebens suchte Phönix, sein alter Freund und Füh¬
rer, den jungen Helden auf andere Gedanken zu bringen.
Er winkte dem Patroklus, dem alten Helden ein warmes
Bette zurecht zu machen: da stand Ajax auf und sprach:
"Odysseus, laß uns gehen, in der Brust des Grausamen
wohnt keine Milde; den Unbarmherzigen bewegt nicht die
Freundschaft der Genossen, er trägt ein unversöhnliches
Herz im Busen!" Auch Odysseus erhob sich nun vom
Mahle, und nachdem sie den Göttern das Trankopfer
dargebracht, verließen sie mit den Herolden das Zelt des
Achilles, bei dem nur Phönix zurückblieb.


Dolon und Rhesus.

Als Odysseus die unwillkommene Botschaft aus dem
Zelte des Peliden mitbrachte, verstummten Agamemnon
und die Fürsten. Kein Schlaf legte sich die ganze Nacht

zugebracht, um jenen Undankbaren ein Weib zu erobern,
und was ich erbeutet hatte, brachte ich dem Atriden zur
Gabe dar; er aber nahm die Schätze, behielt das Meiſte,
und vertheilte davon nur Weniges; mir ſelbſt hat er auch die
lieblichſte Beute entriſſen. Darum will ich morgen ſchon
Jupiter und den Göttern opfern; noch im Morgenrothe
ſollen meine Schiffe im Hellespont ſchwimmen und in
dreien Tagen hoffe ich in Phthia zu Hauſe zu ſeyn. Ein¬
mal hat er mich betrogen, zum zweitenmale wird er mich
nicht täuſchen, er begnüge ſich! Gehet und meldet den
Fürſten dieſe Botſchaft, Phönix aber bleibe, wenn es ihm
gefällt, und ſchiffe heim mit mir ins Land der Väter!“

Vergebens ſuchte Phönix, ſein alter Freund und Füh¬
rer, den jungen Helden auf andere Gedanken zu bringen.
Er winkte dem Patroklus, dem alten Helden ein warmes
Bette zurecht zu machen: da ſtand Ajax auf und ſprach:
„Odyſſeus, laß uns gehen, in der Bruſt des Grauſamen
wohnt keine Milde; den Unbarmherzigen bewegt nicht die
Freundſchaft der Genoſſen, er trägt ein unverſöhnliches
Herz im Buſen!“ Auch Odyſſeus erhob ſich nun vom
Mahle, und nachdem ſie den Göttern das Trankopfer
dargebracht, verließen ſie mit den Herolden das Zelt des
Achilles, bei dem nur Phönix zurückblieb.


Dolon und Rheſus.

Als Odyſſeus die unwillkommene Botſchaft aus dem
Zelte des Peliden mitbrachte, verſtummten Agamemnon
und die Fürſten. Kein Schlaf legte ſich die ganze Nacht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0186" n="164"/>
zugebracht, um jenen Undankbaren ein Weib zu erobern,<lb/>
und was ich erbeutet hatte, brachte ich dem Atriden zur<lb/>
Gabe dar; er aber nahm die Schätze, behielt das Mei&#x017F;te,<lb/>
und vertheilte davon nur Weniges; mir &#x017F;elb&#x017F;t hat er auch die<lb/>
lieblich&#x017F;te Beute entri&#x017F;&#x017F;en. Darum will ich morgen &#x017F;chon<lb/>
Jupiter und den Göttern opfern; noch im Morgenrothe<lb/>
&#x017F;ollen meine Schiffe im Hellespont &#x017F;chwimmen und in<lb/>
dreien Tagen hoffe ich in Phthia zu Hau&#x017F;e zu &#x017F;eyn. Ein¬<lb/>
mal hat er mich betrogen, zum zweitenmale wird er mich<lb/>
nicht täu&#x017F;chen, er begnüge &#x017F;ich! Gehet und meldet den<lb/>
Für&#x017F;ten die&#x017F;e Bot&#x017F;chaft, Phönix aber bleibe, wenn es ihm<lb/>
gefällt, und &#x017F;chiffe heim mit mir ins Land der Väter!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Vergebens &#x017F;uchte Phönix, &#x017F;ein alter Freund und Füh¬<lb/>
rer, den jungen Helden auf andere Gedanken zu bringen.<lb/>
Er winkte dem Patroklus, dem alten Helden ein warmes<lb/>
Bette zurecht zu machen: da &#x017F;tand Ajax auf und &#x017F;prach:<lb/>
&#x201E;Ody&#x017F;&#x017F;eus, laß uns gehen, in der Bru&#x017F;t des Grau&#x017F;amen<lb/>
wohnt keine Milde; den Unbarmherzigen bewegt nicht die<lb/>
Freund&#x017F;chaft der Geno&#x017F;&#x017F;en, er trägt ein unver&#x017F;öhnliches<lb/>
Herz im Bu&#x017F;en!&#x201C; Auch Ody&#x017F;&#x017F;eus erhob &#x017F;ich nun vom<lb/>
Mahle, und nachdem &#x017F;ie den Göttern das Trankopfer<lb/>
dargebracht, verließen &#x017F;ie mit den Herolden das Zelt des<lb/>
Achilles, bei dem nur Phönix zurückblieb.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </div>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Dolon und Rhe&#x017F;us.</hi><lb/>
          </head>
          <p>Als Ody&#x017F;&#x017F;eus die unwillkommene Bot&#x017F;chaft aus dem<lb/>
Zelte des Peliden mitbrachte, ver&#x017F;tummten Agamemnon<lb/>
und die Für&#x017F;ten. Kein Schlaf legte &#x017F;ich die ganze Nacht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0186] zugebracht, um jenen Undankbaren ein Weib zu erobern, und was ich erbeutet hatte, brachte ich dem Atriden zur Gabe dar; er aber nahm die Schätze, behielt das Meiſte, und vertheilte davon nur Weniges; mir ſelbſt hat er auch die lieblichſte Beute entriſſen. Darum will ich morgen ſchon Jupiter und den Göttern opfern; noch im Morgenrothe ſollen meine Schiffe im Hellespont ſchwimmen und in dreien Tagen hoffe ich in Phthia zu Hauſe zu ſeyn. Ein¬ mal hat er mich betrogen, zum zweitenmale wird er mich nicht täuſchen, er begnüge ſich! Gehet und meldet den Fürſten dieſe Botſchaft, Phönix aber bleibe, wenn es ihm gefällt, und ſchiffe heim mit mir ins Land der Väter!“ Vergebens ſuchte Phönix, ſein alter Freund und Füh¬ rer, den jungen Helden auf andere Gedanken zu bringen. Er winkte dem Patroklus, dem alten Helden ein warmes Bette zurecht zu machen: da ſtand Ajax auf und ſprach: „Odyſſeus, laß uns gehen, in der Bruſt des Grauſamen wohnt keine Milde; den Unbarmherzigen bewegt nicht die Freundſchaft der Genoſſen, er trägt ein unverſöhnliches Herz im Buſen!“ Auch Odyſſeus erhob ſich nun vom Mahle, und nachdem ſie den Göttern das Trankopfer dargebracht, verließen ſie mit den Herolden das Zelt des Achilles, bei dem nur Phönix zurückblieb. Dolon und Rheſus. Als Odyſſeus die unwillkommene Botſchaft aus dem Zelte des Peliden mitbrachte, verſtummten Agamemnon und die Fürſten. Kein Schlaf legte ſich die ganze Nacht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/186
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/186>, abgerufen am 17.11.2024.