Rossen über den Graben hervor, und stieß den Trojaner Agelaus, der vor ihm seinen Streitwagen zur Flucht wandte, mit dem Speere durch den Rücken. Nächst ihm drangen Agamemnon und Menelaus vor, ihnen zunächst die beiden Ajax; dann Idomeneus und Meriones; dann Eurypylos. Jetzt kam Teucer als der Neunte; dieser, hinter dem Schilde seines Halbbruders Ajax aufgestellt, schoß einen Trojaner um den andern mit seinen Pfeilen in den Staub. Schon hatte er ihrer achte zu Boden ge¬ streckt, als Agamemnon einen freudigen Blick auf ihn warf und ihm zurief: "Triff so fort, edler Freund, und werde ein Licht der Danaer! Gewähren uns Jupiter und Athene, Troja zu vertilgen, so sollst du der Erste seyn, dem ich ein Ehrengeschenk verleihe!" "Du brauchst mich nicht lange zu ermahnen, König," antwortete ihm Teucer, "zaudere ich doch selbst nicht mit aller meiner Kraft! Nur den wüthenden Hund dort zu treffen, ist mir noch nicht gelungen!" Damit sandte er einen Pfeil gerade auf Hektor ab; dennoch fehlte das Geschoß und traf nur einen Bastard des Priamus, den Gorgythion, der sein helm¬ beschwertes Haupt zur Seite neigte, wie ein Mohnhaupt unter dem Regenschauer des Frühlings sich beugt. Einen zweiten Pfeil des Teucer lenkte Apollo ab, doch durch¬ schoß er die Brust seines Wagenlenkers Archeptolemus. Auch diesen Freund ließ Hektor mit bitterem Schmerze lie¬ gen und rief einen Dritten auf den Wagen. Dann drang er in heißer Begier auf Teucer los und traf ihn, als er eben den Bogen wieder spannte, mit einem kantigen Stein am Schlüsselbeine, daß die Sehne ihm zerriß, die Hand am Knöchel erstarrte, und er ins Knie sank. Aber Ajax vergaß des Bruders nicht, er umging ihn und deckte ihn
Roſſen über den Graben hervor, und ſtieß den Trojaner Agelaus, der vor ihm ſeinen Streitwagen zur Flucht wandte, mit dem Speere durch den Rücken. Nächſt ihm drangen Agamemnon und Menelaus vor, ihnen zunächſt die beiden Ajax; dann Idomeneus und Meriones; dann Eurypylos. Jetzt kam Teucer als der Neunte; dieſer, hinter dem Schilde ſeines Halbbruders Ajax aufgeſtellt, ſchoß einen Trojaner um den andern mit ſeinen Pfeilen in den Staub. Schon hatte er ihrer achte zu Boden ge¬ ſtreckt, als Agamemnon einen freudigen Blick auf ihn warf und ihm zurief: „Triff ſo fort, edler Freund, und werde ein Licht der Danaer! Gewähren uns Jupiter und Athene, Troja zu vertilgen, ſo ſollſt du der Erſte ſeyn, dem ich ein Ehrengeſchenk verleihe!“ „Du brauchſt mich nicht lange zu ermahnen, König,“ antwortete ihm Teucer, „zaudere ich doch ſelbſt nicht mit aller meiner Kraft! Nur den wüthenden Hund dort zu treffen, iſt mir noch nicht gelungen!“ Damit ſandte er einen Pfeil gerade auf Hektor ab; dennoch fehlte das Geſchoß und traf nur einen Baſtard des Priamus, den Gorgythion, der ſein helm¬ beſchwertes Haupt zur Seite neigte, wie ein Mohnhaupt unter dem Regenſchauer des Frühlings ſich beugt. Einen zweiten Pfeil des Teucer lenkte Apollo ab, doch durch¬ ſchoß er die Bruſt ſeines Wagenlenkers Archeptolemus. Auch dieſen Freund ließ Hektor mit bitterem Schmerze lie¬ gen und rief einen Dritten auf den Wagen. Dann drang er in heißer Begier auf Teucer los und traf ihn, als er eben den Bogen wieder ſpannte, mit einem kantigen Stein am Schlüſſelbeine, daß die Sehne ihm zerriß, die Hand am Knöchel erſtarrte, und er ins Knie ſank. Aber Ajax vergaß des Bruders nicht, er umging ihn und deckte ihn
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Roſſen über den Graben hervor, und ſtieß den Trojaner
Agelaus, der vor ihm ſeinen Streitwagen zur Flucht
wandte, mit dem Speere durch den Rücken. Nächſt ihm
drangen Agamemnon und Menelaus vor, ihnen zunächſt
die beiden Ajax; dann Idomeneus und Meriones; dann
Eurypylos. Jetzt kam Teucer als der Neunte; dieſer,
hinter dem Schilde ſeines Halbbruders Ajax aufgeſtellt,
ſchoß einen Trojaner um den andern mit ſeinen Pfeilen
in den Staub. Schon hatte er ihrer achte zu Boden ge¬
ſtreckt, als Agamemnon einen freudigen Blick auf ihn
warf und ihm zurief: „Triff ſo fort, edler Freund, und
werde ein Licht der Danaer! Gewähren uns Jupiter und
Athene, Troja zu vertilgen, ſo ſollſt du der Erſte ſeyn,
dem ich ein Ehrengeſchenk verleihe!“ „Du brauchſt mich
nicht lange zu ermahnen, König,“ antwortete ihm Teucer,
„zaudere ich doch ſelbſt nicht mit aller meiner Kraft! Nur
den wüthenden Hund dort zu treffen, iſt mir noch nicht
gelungen!“ Damit ſandte er einen Pfeil gerade auf
Hektor ab; dennoch fehlte das Geſchoß und traf nur einen
Baſtard des Priamus, den Gorgythion, der ſein helm¬
beſchwertes Haupt zur Seite neigte, wie ein Mohnhaupt
unter dem Regenſchauer des Frühlings ſich beugt. Einen
zweiten Pfeil des Teucer lenkte Apollo ab, doch durch¬
ſchoß er die Bruſt ſeines Wagenlenkers Archeptolemus.
Auch dieſen Freund ließ Hektor mit bitterem Schmerze lie¬
gen und rief einen Dritten auf den Wagen. Dann drang
er in heißer Begier auf Teucer los und traf ihn, als er
eben den Bogen wieder ſpannte, mit einem kantigen Stein
am Schlüſſelbeine, daß die Sehne ihm zerriß, die Hand
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vergaß des Bruders nicht, er umging ihn und deckte ihn
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/179>, abgerufen am 25.11.2024.
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