ermattete erst in der siebenten Haut. Jetzt flog die Lanze des Telamoniers durch die Luft: diese durchschmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchschnitt seinen Leibrock und wäre ihm in die Weiche gedrungen, wenn nicht Hektor ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Speere aus den Waffen und rannten wie unverwüstliche Wald¬ eber aufs Neue gegen einander an. Hektor zielte, mit dem Speere stoßend, dem Ajax auf die Mitte des Schilds, aber seine Lanzenspitze bog sich und durchbrach das Erz nicht; Ajax hingegen durchbohrte mit dem Speer den Schild seines Gegners und streifte ihm selbst den Hals, daß ihm schwarzes Blut entspritzte. Nun wich Hektor zwar ein wenig rückwärts; seine nervigte Rechte ergriff jedoch einen Feldstein und traf damit die Schildbuckel des Feindes, daß das Erz erdröhnte. Ajax hub einen noch viel größeren Stein vom Boden auf und sandte ihn mit solchem Schwunge dem Hektor zu, daß er den Schild ein¬ wärts brach und den Gegner ins Knie verletzte, so daß derselbe rücklings hinsank; doch verlor er den Schild nicht aus den Händen und Apollo, der ihm unsichtbar zur Seite stand, richtete ihn schnell vom Boden wieder auf. Beide wären jetzt mit dem Schwert auf einander losgegangen, um den Streit endlich zu entscheiden: da eilten die Herolde der beiden Völker, Idäus, der Troer, und Talthybius, der Grieche, herbei, und streckten die Stäbe zwischen die Kämpfenden. "Nicht weiter gekämpft, ihr Kinder," rief Idäus, "ihr seyd ja beide tapfer, beide von Jupiter geliebt; wir Alle haben das gesehen! Jetzt aber kommt die Nacht herbei, gehorchet der Nacht." "Ermahne du deinen eige¬ nen Volksgenossen!" entgegnete dem Herold Ajax, "er ist es ja, der den Tapfersten der Griechen zum Kampfe
ermattete erſt in der ſiebenten Haut. Jetzt flog die Lanze des Telamoniers durch die Luft: dieſe durchſchmetterte dem Hektor den ganzen Schild, durchſchnitt ſeinen Leibrock und wäre ihm in die Weiche gedrungen, wenn nicht Hektor ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Speere aus den Waffen und rannten wie unverwüſtliche Wald¬ eber aufs Neue gegen einander an. Hektor zielte, mit dem Speere ſtoßend, dem Ajax auf die Mitte des Schilds, aber ſeine Lanzenſpitze bog ſich und durchbrach das Erz nicht; Ajax hingegen durchbohrte mit dem Speer den Schild ſeines Gegners und ſtreifte ihm ſelbſt den Hals, daß ihm ſchwarzes Blut entſpritzte. Nun wich Hektor zwar ein wenig rückwärts; ſeine nervigte Rechte ergriff jedoch einen Feldſtein und traf damit die Schildbuckel des Feindes, daß das Erz erdröhnte. Ajax hub einen noch viel größeren Stein vom Boden auf und ſandte ihn mit ſolchem Schwunge dem Hektor zu, daß er den Schild ein¬ wärts brach und den Gegner ins Knie verletzte, ſo daß derſelbe rücklings hinſank; doch verlor er den Schild nicht aus den Händen und Apollo, der ihm unſichtbar zur Seite ſtand, richtete ihn ſchnell vom Boden wieder auf. Beide wären jetzt mit dem Schwert auf einander losgegangen, um den Streit endlich zu entſcheiden: da eilten die Herolde der beiden Völker, Idäus, der Troer, und Talthybius, der Grieche, herbei, und ſtreckten die Stäbe zwiſchen die Kämpfenden. „Nicht weiter gekämpft, ihr Kinder,“ rief Idäus, „ihr ſeyd ja beide tapfer, beide von Jupiter geliebt; wir Alle haben das geſehen! Jetzt aber kommt die Nacht herbei, gehorchet der Nacht.“ „Ermahne du deinen eige¬ nen Volksgenoſſen!“ entgegnete dem Herold Ajax, „er iſt es ja, der den Tapferſten der Griechen zum Kampfe
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ermattete erſt in der ſiebenten Haut. Jetzt flog die Lanze
des Telamoniers durch die Luft: dieſe durchſchmetterte dem
Hektor den ganzen Schild, durchſchnitt ſeinen Leibrock und
wäre ihm in die Weiche gedrungen, wenn nicht Hektor
ihrem Fluge ausgebogen wäre. Beide zogen die Speere
aus den Waffen und rannten wie unverwüſtliche Wald¬
eber aufs Neue gegen einander an. Hektor zielte, mit
dem Speere ſtoßend, dem Ajax auf die Mitte des Schilds,
aber ſeine Lanzenſpitze bog ſich und durchbrach das Erz
nicht; Ajax hingegen durchbohrte mit dem Speer den
Schild ſeines Gegners und ſtreifte ihm ſelbſt den Hals,
daß ihm ſchwarzes Blut entſpritzte. Nun wich Hektor
zwar ein wenig rückwärts; ſeine nervigte Rechte ergriff
jedoch einen Feldſtein und traf damit die Schildbuckel des
Feindes, daß das Erz erdröhnte. Ajax hub einen noch
viel größeren Stein vom Boden auf und ſandte ihn mit
ſolchem Schwunge dem Hektor zu, daß er den Schild ein¬
wärts brach und den Gegner ins Knie verletzte, ſo daß
derſelbe rücklings hinſank; doch verlor er den Schild nicht
aus den Händen und Apollo, der ihm unſichtbar zur Seite
ſtand, richtete ihn ſchnell vom Boden wieder auf. Beide
wären jetzt mit dem Schwert auf einander losgegangen,
um den Streit endlich zu entſcheiden: da eilten die Herolde
der beiden Völker, Idäus, der Troer, und Talthybius,
der Grieche, herbei, und ſtreckten die Stäbe zwiſchen die
Kämpfenden. „Nicht weiter gekämpft, ihr Kinder,“ rief
Idäus, „ihr ſeyd ja beide tapfer, beide von Jupiter geliebt;
wir Alle haben das geſehen! Jetzt aber kommt die Nacht
herbei, gehorchet der Nacht.“ „Ermahne du deinen eige¬
nen Volksgenoſſen!“ entgegnete dem Herold Ajax, „er iſt
es ja, der den Tapferſten der Griechen zum Kampfe
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/170>, abgerufen am 24.11.2024.
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