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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839.

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geendigt, stieß Diomedes fröhlich seinen Schaft in die
Erde und rief ihm mit freundlichen Worten zu: "Wahr¬
lich, edler Fürst, so bist du ja mein Gastfreund von Väter¬
zeiten her, Oeneus mein Großvater hat deinen Großvater
Bellerophontes zwanzig Tage lang gastlich in seinem
Hause beherbergt, und unsere Ahnen haben sich schöne
Ehrengeschenke gereicht: der meine dem deinen einen
purpurnen Leibgurt, der deinige dem meinen einen golde¬
nen Henkelbecher, den ich noch in meiner Behausung ver¬
wahre. So bin ich denn dein Wirth in Argos und du
der meine in Lycien, wenn ich je dorthin mit meinem
Gefolge komme. Darum wollen wir uns im Schlacht¬
getümmel beide mit unsern Lanzen vermeiden. Gibt es
doch für mich noch Trojaner genug zu tödten, und für
dich der Griechen genug! Uns aber laß die Waffen mit¬
einander vertauschen, damit auch die Andern sehen, wie
wir uns von Väterzeiten her rühmen, Gastfreunde zu
seyn!" So redeten jene, schwangen sich von den Streit¬
wagen herab, faßten sich liebreich die Hände und gelobten
einander gegenseitige Freundschaft. Jupiter aber, der
Alles, was geschah, zu Gunsten der Griechen lenkte, ver¬
blendete den Sinn des Glaukus, daß er seine goldene
Rüstung mit der ehernen des Diomedes wechselte; es
war, wie wenn ein Mann gegen neun Farren hundert
hergäbe.


geendigt, ſtieß Diomedes fröhlich ſeinen Schaft in die
Erde und rief ihm mit freundlichen Worten zu: „Wahr¬
lich, edler Fürſt, ſo biſt du ja mein Gaſtfreund von Väter¬
zeiten her, Oeneus mein Großvater hat deinen Großvater
Bellerophontes zwanzig Tage lang gaſtlich in ſeinem
Hauſe beherbergt, und unſere Ahnen haben ſich ſchöne
Ehrengeſchenke gereicht: der meine dem deinen einen
purpurnen Leibgurt, der deinige dem meinen einen golde¬
nen Henkelbecher, den ich noch in meiner Behauſung ver¬
wahre. So bin ich denn dein Wirth in Argos und du
der meine in Lycien, wenn ich je dorthin mit meinem
Gefolge komme. Darum wollen wir uns im Schlacht¬
getümmel beide mit unſern Lanzen vermeiden. Gibt es
doch für mich noch Trojaner genug zu tödten, und für
dich der Griechen genug! Uns aber laß die Waffen mit¬
einander vertauſchen, damit auch die Andern ſehen, wie
wir uns von Väterzeiten her rühmen, Gaſtfreunde zu
ſeyn!“ So redeten jene, ſchwangen ſich von den Streit¬
wagen herab, faßten ſich liebreich die Hände und gelobten
einander gegenſeitige Freundſchaft. Jupiter aber, der
Alles, was geſchah, zu Gunſten der Griechen lenkte, ver¬
blendete den Sinn des Glaukus, daß er ſeine goldene
Rüſtung mit der ehernen des Diomedes wechſelte; es
war, wie wenn ein Mann gegen neun Farren hundert
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[136/0158] geendigt, ſtieß Diomedes fröhlich ſeinen Schaft in die Erde und rief ihm mit freundlichen Worten zu: „Wahr¬ lich, edler Fürſt, ſo biſt du ja mein Gaſtfreund von Väter¬ zeiten her, Oeneus mein Großvater hat deinen Großvater Bellerophontes zwanzig Tage lang gaſtlich in ſeinem Hauſe beherbergt, und unſere Ahnen haben ſich ſchöne Ehrengeſchenke gereicht: der meine dem deinen einen purpurnen Leibgurt, der deinige dem meinen einen golde¬ nen Henkelbecher, den ich noch in meiner Behauſung ver¬ wahre. So bin ich denn dein Wirth in Argos und du der meine in Lycien, wenn ich je dorthin mit meinem Gefolge komme. Darum wollen wir uns im Schlacht¬ getümmel beide mit unſern Lanzen vermeiden. Gibt es doch für mich noch Trojaner genug zu tödten, und für dich der Griechen genug! Uns aber laß die Waffen mit¬ einander vertauſchen, damit auch die Andern ſehen, wie wir uns von Väterzeiten her rühmen, Gaſtfreunde zu ſeyn!“ So redeten jene, ſchwangen ſich von den Streit¬ wagen herab, faßten ſich liebreich die Hände und gelobten einander gegenſeitige Freundſchaft. Jupiter aber, der Alles, was geſchah, zu Gunſten der Griechen lenkte, ver¬ blendete den Sinn des Glaukus, daß er ſeine goldene Rüſtung mit der ehernen des Diomedes wechſelte; es war, wie wenn ein Mann gegen neun Farren hundert hergäbe.

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/158>, abgerufen am 23.11.2024.