Hohnlachen gesprochen hatte, mit rauher Stimme zu: "Du sollst weder das Eine noch das Andre erhalten, Elender, wenn es nach meiner Abstimmung geht, und nach der Meinung aller derjenigen, die den Paris lieben und es mit der Ehre dieses alten Königshauses halten! Noch hat das Reich des Priamus seine Beschützer! Und sollte auch der Knabe Polydorus, der Sohn des Kebs¬ weibes ihm verloren gehen, so ist Priamus dadurch nicht kinderlos geworden! Sollen die Griechen einen Freibrief von uns erhalten, Frauen zu rauben? Genug der Worte! Wenn ihr euch nicht auf der Stelle mit eurer Flotte davon macht, so sollet ihr den Arm der Trojaner fühlen! Noch haben wir streitlustiger Jugend genug und aus der Ferne kommen uns von Tag zu Tag mächtigere Verbündete, wenn auch die Schwachen in der Nähe erlegen sind!"
Diese Rede des Aeneas wurde von lautem Beifalls¬ ruf in der Trojanischen Fürstenversammlung begleitet und die Gesandten nur durch Hektor vor rohen Mißhand¬ lungen geschützt. Voll heimlicher Wuth entfernten sie sich mit ihrem Gefangenen, Polydorus, den der König Priamus nur aus der Ferne erblickt hatte, und kehrten zu den Schiffen der Griechen zurück. Als sich hier die Nachricht von dem verbreitete, was ihnen in Troja widerfahren war, von den Umtrieben des Antimachus, von dem Ueber¬ muthe des Aeneas und aller Priamussöhne, ausser Hektor, entstand ein Auflauf unter dem Heere, und alles Volk schrie mit wilden Gebärden um Rache. Ohne lange die Fürsten zu fragen, wurde in einer unordentlichen Krieger¬ versammlung der Beschluß gefaßt, den unglücklichen Kna¬ ben Polydorus büßen zu lassen, was seine Brüder und sein Vater verschuldet. Und auf der Stelle schritten sie
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Hohnlachen geſprochen hatte, mit rauher Stimme zu: „Du ſollſt weder das Eine noch das Andre erhalten, Elender, wenn es nach meiner Abſtimmung geht, und nach der Meinung aller derjenigen, die den Paris lieben und es mit der Ehre dieſes alten Königshauſes halten! Noch hat das Reich des Priamus ſeine Beſchützer! Und ſollte auch der Knabe Polydorus, der Sohn des Kebs¬ weibes ihm verloren gehen, ſo iſt Priamus dadurch nicht kinderlos geworden! Sollen die Griechen einen Freibrief von uns erhalten, Frauen zu rauben? Genug der Worte! Wenn ihr euch nicht auf der Stelle mit eurer Flotte davon macht, ſo ſollet ihr den Arm der Trojaner fühlen! Noch haben wir ſtreitluſtiger Jugend genug und aus der Ferne kommen uns von Tag zu Tag mächtigere Verbündete, wenn auch die Schwachen in der Nähe erlegen ſind!“
Dieſe Rede des Aeneas wurde von lautem Beifalls¬ ruf in der Trojaniſchen Fürſtenverſammlung begleitet und die Geſandten nur durch Hektor vor rohen Mißhand¬ lungen geſchützt. Voll heimlicher Wuth entfernten ſie ſich mit ihrem Gefangenen, Polydorus, den der König Priamus nur aus der Ferne erblickt hatte, und kehrten zu den Schiffen der Griechen zurück. Als ſich hier die Nachricht von dem verbreitete, was ihnen in Troja widerfahren war, von den Umtrieben des Antimachus, von dem Ueber¬ muthe des Aeneas und aller Priamusſöhne, auſſer Hektor, entſtand ein Auflauf unter dem Heere, und alles Volk ſchrie mit wilden Gebärden um Rache. Ohne lange die Fürſten zu fragen, wurde in einer unordentlichen Krieger¬ verſammlung der Beſchluß gefaßt, den unglücklichen Kna¬ ben Polydorus büßen zu laſſen, was ſeine Brüder und ſein Vater verſchuldet. Und auf der Stelle ſchritten ſie
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Hohnlachen geſprochen hatte, mit rauher Stimme zu:
„Du ſollſt weder das Eine noch das Andre erhalten,
Elender, wenn es nach meiner Abſtimmung geht, und
nach der Meinung aller derjenigen, die den Paris lieben
und es mit der Ehre dieſes alten Königshauſes halten!
Noch hat das Reich des Priamus ſeine Beſchützer! Und
ſollte auch der Knabe Polydorus, der Sohn des Kebs¬
weibes ihm verloren gehen, ſo iſt Priamus dadurch nicht
kinderlos geworden! Sollen die Griechen einen Freibrief
von uns erhalten, Frauen zu rauben? Genug der Worte!
Wenn ihr euch nicht auf der Stelle mit eurer Flotte davon
macht, ſo ſollet ihr den Arm der Trojaner fühlen! Noch
haben wir ſtreitluſtiger Jugend genug und aus der Ferne
kommen uns von Tag zu Tag mächtigere Verbündete,
wenn auch die Schwachen in der Nähe erlegen ſind!“
Dieſe Rede des Aeneas wurde von lautem Beifalls¬
ruf in der Trojaniſchen Fürſtenverſammlung begleitet und
die Geſandten nur durch Hektor vor rohen Mißhand¬
lungen geſchützt. Voll heimlicher Wuth entfernten ſie ſich
mit ihrem Gefangenen, Polydorus, den der König Priamus
nur aus der Ferne erblickt hatte, und kehrten zu den
Schiffen der Griechen zurück. Als ſich hier die Nachricht
von dem verbreitete, was ihnen in Troja widerfahren
war, von den Umtrieben des Antimachus, von dem Ueber¬
muthe des Aeneas und aller Priamusſöhne, auſſer Hektor,
entſtand ein Auflauf unter dem Heere, und alles Volk
ſchrie mit wilden Gebärden um Rache. Ohne lange die
Fürſten zu fragen, wurde in einer unordentlichen Krieger¬
verſammlung der Beſchluß gefaßt, den unglücklichen Kna¬
ben Polydorus büßen zu laſſen, was ſeine Brüder und
ſein Vater verſchuldet. Und auf der Stelle ſchritten ſie
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 2. Stuttgart, 1839, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen02_1839/105>, abgerufen am 23.11.2024.
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