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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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Meere hierher gefahren seyd, und euren alten Göttern
eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergessen, aus wel¬
chem Heldengeschlecht ihr gezeugt seyd? Wollt ihr es dul¬
den, daß ein wehrloses Knäblein Theben erobere, ein
Weichling mit balsamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz
aus Weinlaub sitzt, in Purpur und Gold anstatt in
Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine
Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur Ihr wieder zur
Besinnung kommet, so will ich ihn bald nöthigen, einzuge¬
stehen, daß er ein Mensch ist, wie ich, sein Vetter, daß
nicht Jupiter sein Vater und alle diese prächtige Gottes¬
verehrung erlogen ist! Dann wandte er sich zu seinen
Dienern, und befahl ihnen, den Anführer dieser neuen
Raserey, wo sie ihn anträfen, zu fassen und in Fesseln
herzuschleppen.

Seine Freunde und Verwandte, die um den König
waren, erschracken über diesen frechen Befehl, sein Ahn¬
herr Kadmus, der in hohem Greisenalter noch lebte, schüt¬
telte das Haupt und mißbilligte das Thun des Enkels;
aber durch Ermahnungen wurde seine Wuth nur gestachelt,
sie schäumte über alle Hindernisse hin, wie ein rasender
Fluß über das Wehr.

Unterdessen kamen die Diener mit blutigen Köpfen
zurück. "Wo habt ihr den Bacchus?" rief ihnen Pentheus
zornig entgegen. "Den Bacchus," antworteten sie, "haben
wir nirgends gesehen. Dafür bringen wir hier einen
Mann aus seinem Gefolge. Er scheint noch nicht lange
bei ihm zu seyn." Pentheus starrte den Gefangenen mit
grimmigen Augen an, und schrie dann: "Mann des To¬
des! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem
warnenden Beispiele, sterben! Sag an, wie heißt dein

Meere hierher gefahren ſeyd, und euren alten Göttern
eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergeſſen, aus wel¬
chem Heldengeſchlecht ihr gezeugt ſeyd? Wollt ihr es dul¬
den, daß ein wehrloſes Knäblein Theben erobere, ein
Weichling mit balſamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz
aus Weinlaub ſitzt, in Purpur und Gold anſtatt in
Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine
Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur Ihr wieder zur
Beſinnung kommet, ſo will ich ihn bald nöthigen, einzuge¬
ſtehen, daß er ein Menſch iſt, wie ich, ſein Vetter, daß
nicht Jupiter ſein Vater und alle dieſe prächtige Gottes¬
verehrung erlogen iſt! Dann wandte er ſich zu ſeinen
Dienern, und befahl ihnen, den Anführer dieſer neuen
Raſerey, wo ſie ihn anträfen, zu faſſen und in Feſſeln
herzuſchleppen.

Seine Freunde und Verwandte, die um den König
waren, erſchracken über dieſen frechen Befehl, ſein Ahn¬
herr Kadmus, der in hohem Greiſenalter noch lebte, ſchüt¬
telte das Haupt und mißbilligte das Thun des Enkels;
aber durch Ermahnungen wurde ſeine Wuth nur geſtachelt,
ſie ſchäumte über alle Hinderniſſe hin, wie ein raſender
Fluß über das Wehr.

Unterdeſſen kamen die Diener mit blutigen Köpfen
zurück. „Wo habt ihr den Bacchus?“ rief ihnen Pentheus
zornig entgegen. „Den Bacchus,“ antworteten ſie, „haben
wir nirgends geſehen. Dafür bringen wir hier einen
Mann aus ſeinem Gefolge. Er ſcheint noch nicht lange
bei ihm zu ſeyn.“ Pentheus ſtarrte den Gefangenen mit
grimmigen Augen an, und ſchrie dann: „Mann des To¬
des! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem
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[50/0076] Meere hierher gefahren ſeyd, und euren alten Göttern eine Stadt gegründet, habt ihr ganz vergeſſen, aus wel¬ chem Heldengeſchlecht ihr gezeugt ſeyd? Wollt ihr es dul¬ den, daß ein wehrloſes Knäblein Theben erobere, ein Weichling mit balſamtriefendem Haar, auf dem ein Kranz aus Weinlaub ſitzt, in Purpur und Gold anſtatt in Stahl gekleidet, der kein Roß tummeln kann, dem keine Wehr, keine Fehde behagt? Wenn nur Ihr wieder zur Beſinnung kommet, ſo will ich ihn bald nöthigen, einzuge¬ ſtehen, daß er ein Menſch iſt, wie ich, ſein Vetter, daß nicht Jupiter ſein Vater und alle dieſe prächtige Gottes¬ verehrung erlogen iſt! Dann wandte er ſich zu ſeinen Dienern, und befahl ihnen, den Anführer dieſer neuen Raſerey, wo ſie ihn anträfen, zu faſſen und in Feſſeln herzuſchleppen. Seine Freunde und Verwandte, die um den König waren, erſchracken über dieſen frechen Befehl, ſein Ahn¬ herr Kadmus, der in hohem Greiſenalter noch lebte, ſchüt¬ telte das Haupt und mißbilligte das Thun des Enkels; aber durch Ermahnungen wurde ſeine Wuth nur geſtachelt, ſie ſchäumte über alle Hinderniſſe hin, wie ein raſender Fluß über das Wehr. Unterdeſſen kamen die Diener mit blutigen Köpfen zurück. „Wo habt ihr den Bacchus?“ rief ihnen Pentheus zornig entgegen. „Den Bacchus,“ antworteten ſie, „haben wir nirgends geſehen. Dafür bringen wir hier einen Mann aus ſeinem Gefolge. Er ſcheint noch nicht lange bei ihm zu ſeyn.“ Pentheus ſtarrte den Gefangenen mit grimmigen Augen an, und ſchrie dann: „Mann des To¬ des! denn auf der Stelle mußt du, den andern zu einem warnenden Beiſpiele, ſterben! Sag an, wie heißt dein

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/76>, abgerufen am 09.11.2024.