erste was ihm beim Eintritt in den Hain aufstieß, wa¬ ren die Leichen seiner getödteten Diener und über ihnen sah er den Feind mit geschwollenem Leibe triumphiren und mit der blutigen Zunge die Leichname belecken. "Ihr armen Genossen," rief Kadmus voll Jammer aus, "entwe¬ der bin ich euer Rächer, oder der Gefährte eures Todes!" Mit diesen Worten ergriff er ein Felsstück und sandte es gegen den Drachen. Mauern und Thürme hätte wohl der Stein erschüttert, so groß war er. Aber der Drache blieb unverwundet, sein harter schwarzer Balg und die Schuppenhaut schirmten ihn wie ein eherner Panzer. Nun versuchte es der Held mit dem Wurfspieß. Diesem hielt der Leib des Ungeheuers nicht Stand, die stählerne Spitze stieg tief in sein Eingeweide nieder. Wüthend vor Schmerz drehte der Drache den Kopf gegen den Rücken und zermalmte dadurch die Stange des Wurf¬ spießes, aber das Eisen blieb im Leibe stecken. Ein Streich vom Schwerte steigerte noch seine Wuth, der Schlund schwoll ihm auf, und weißer Schaum floß aus dem giftigen Rachen. Aufrechter als ein Baumstamm schoß der Drache hinaus, dann rannte er mit der Brust wieder gegen die Waldbäume. Agenors Sohn wich dem Anfalle aus, deckte sich mit der Löwenhaut und ließ die Drachenzähne an der Lanzenspitze sich abmüden. Endlich fieng das Blut dem Unthier aus dem Halse zu fließen an, und röthete die grünen Kräuter umher; aber die Wunde war nur leicht, denn es wich jedem Stoß und Stiche aus, und verstattete ihnen nicht fest zu sitzen. Zu¬ letzt jedoch stieß ihm Kadmus das Schwert in die Gurgel, so tief, daß es rücklings in einen Eichbaum fuhr und mit dem Nacken des Ungeheuers zugleich der Stamm
erſte was ihm beim Eintritt in den Hain aufſtieß, wa¬ ren die Leichen ſeiner getödteten Diener und über ihnen ſah er den Feind mit geſchwollenem Leibe triumphiren und mit der blutigen Zunge die Leichname belecken. „Ihr armen Genoſſen,“ rief Kadmus voll Jammer aus, „entwe¬ der bin ich euer Rächer, oder der Gefährte eures Todes!“ Mit dieſen Worten ergriff er ein Felsſtück und ſandte es gegen den Drachen. Mauern und Thürme hätte wohl der Stein erſchüttert, ſo groß war er. Aber der Drache blieb unverwundet, ſein harter ſchwarzer Balg und die Schuppenhaut ſchirmten ihn wie ein eherner Panzer. Nun verſuchte es der Held mit dem Wurfſpieß. Dieſem hielt der Leib des Ungeheuers nicht Stand, die ſtählerne Spitze ſtieg tief in ſein Eingeweide nieder. Wüthend vor Schmerz drehte der Drache den Kopf gegen den Rücken und zermalmte dadurch die Stange des Wurf¬ ſpießes, aber das Eiſen blieb im Leibe ſtecken. Ein Streich vom Schwerte ſteigerte noch ſeine Wuth, der Schlund ſchwoll ihm auf, und weißer Schaum floß aus dem giftigen Rachen. Aufrechter als ein Baumſtamm ſchoß der Drache hinaus, dann rannte er mit der Bruſt wieder gegen die Waldbäume. Agenors Sohn wich dem Anfalle aus, deckte ſich mit der Löwenhaut und ließ die Drachenzähne an der Lanzenſpitze ſich abmüden. Endlich fieng das Blut dem Unthier aus dem Halſe zu fließen an, und röthete die grünen Kräuter umher; aber die Wunde war nur leicht, denn es wich jedem Stoß und Stiche aus, und verſtattete ihnen nicht feſt zu ſitzen. Zu¬ letzt jedoch ſtieß ihm Kadmus das Schwert in die Gurgel, ſo tief, daß es rücklings in einen Eichbaum fuhr und mit dem Nacken des Ungeheuers zugleich der Stamm
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0072"n="46"/>
erſte was ihm beim Eintritt in den Hain aufſtieß, wa¬<lb/>
ren die Leichen ſeiner getödteten Diener und über ihnen<lb/>ſah er den Feind mit geſchwollenem Leibe triumphiren<lb/>
und mit der blutigen Zunge die Leichname belecken. „Ihr<lb/>
armen Genoſſen,“ rief Kadmus voll Jammer aus, „entwe¬<lb/>
der bin ich euer Rächer, oder der Gefährte eures Todes!“<lb/>
Mit dieſen Worten ergriff er ein Felsſtück und ſandte<lb/>
es gegen den Drachen. Mauern und Thürme hätte wohl<lb/>
der Stein erſchüttert, ſo groß war er. Aber der Drache<lb/>
blieb unverwundet, ſein harter ſchwarzer Balg und die<lb/>
Schuppenhaut ſchirmten ihn wie ein eherner Panzer.<lb/>
Nun verſuchte es der Held mit dem Wurfſpieß. Dieſem<lb/>
hielt der Leib des Ungeheuers nicht Stand, die ſtählerne<lb/>
Spitze ſtieg tief in ſein Eingeweide nieder. Wüthend<lb/>
vor Schmerz drehte der Drache den Kopf gegen den<lb/>
Rücken und zermalmte dadurch die Stange des Wurf¬<lb/>ſpießes, aber das Eiſen blieb im Leibe ſtecken. Ein<lb/>
Streich vom Schwerte ſteigerte noch ſeine Wuth, der<lb/>
Schlund ſchwoll ihm auf, und weißer Schaum floß aus<lb/>
dem giftigen Rachen. Aufrechter als ein Baumſtamm<lb/>ſchoß der Drache hinaus, dann rannte er mit der Bruſt<lb/>
wieder gegen die Waldbäume. Agenors Sohn wich dem<lb/>
Anfalle aus, deckte ſich mit der Löwenhaut und ließ die<lb/>
Drachenzähne an der Lanzenſpitze ſich abmüden. Endlich<lb/>
fieng das Blut dem Unthier aus dem Halſe zu fließen<lb/>
an, und röthete die grünen Kräuter umher; aber die<lb/>
Wunde war nur leicht, denn es wich jedem Stoß und<lb/>
Stiche aus, und verſtattete ihnen nicht feſt zu ſitzen. Zu¬<lb/>
letzt jedoch ſtieß ihm Kadmus das Schwert in die Gurgel,<lb/>ſo tief, daß es rücklings in einen Eichbaum fuhr und<lb/>
mit dem Nacken des Ungeheuers zugleich der Stamm<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[46/0072]
erſte was ihm beim Eintritt in den Hain aufſtieß, wa¬
ren die Leichen ſeiner getödteten Diener und über ihnen
ſah er den Feind mit geſchwollenem Leibe triumphiren
und mit der blutigen Zunge die Leichname belecken. „Ihr
armen Genoſſen,“ rief Kadmus voll Jammer aus, „entwe¬
der bin ich euer Rächer, oder der Gefährte eures Todes!“
Mit dieſen Worten ergriff er ein Felsſtück und ſandte
es gegen den Drachen. Mauern und Thürme hätte wohl
der Stein erſchüttert, ſo groß war er. Aber der Drache
blieb unverwundet, ſein harter ſchwarzer Balg und die
Schuppenhaut ſchirmten ihn wie ein eherner Panzer.
Nun verſuchte es der Held mit dem Wurfſpieß. Dieſem
hielt der Leib des Ungeheuers nicht Stand, die ſtählerne
Spitze ſtieg tief in ſein Eingeweide nieder. Wüthend
vor Schmerz drehte der Drache den Kopf gegen den
Rücken und zermalmte dadurch die Stange des Wurf¬
ſpießes, aber das Eiſen blieb im Leibe ſtecken. Ein
Streich vom Schwerte ſteigerte noch ſeine Wuth, der
Schlund ſchwoll ihm auf, und weißer Schaum floß aus
dem giftigen Rachen. Aufrechter als ein Baumſtamm
ſchoß der Drache hinaus, dann rannte er mit der Bruſt
wieder gegen die Waldbäume. Agenors Sohn wich dem
Anfalle aus, deckte ſich mit der Löwenhaut und ließ die
Drachenzähne an der Lanzenſpitze ſich abmüden. Endlich
fieng das Blut dem Unthier aus dem Halſe zu fließen
an, und röthete die grünen Kräuter umher; aber die
Wunde war nur leicht, denn es wich jedem Stoß und
Stiche aus, und verſtattete ihnen nicht feſt zu ſitzen. Zu¬
letzt jedoch ſtieß ihm Kadmus das Schwert in die Gurgel,
ſo tief, daß es rücklings in einen Eichbaum fuhr und
mit dem Nacken des Ungeheuers zugleich der Stamm
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/72>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.