Auf herrlichen Säulen erbaut, stand die Königsburg des Sonnengottes, von blitzendem Gold und glühendem Karfunkel schimmernd; den obersten Giebel umschloß blendendes Elfenbein, gedoppelte Thüren strahlten in Sil¬ berglanz, darauf in erhabener Arbeit die schönsten Wun¬ dergeschichten zu schauen waren. In diesen Pallast trat Phaethon, der Sohn des Sonnengottes Phöbus, und verlangte den Vater zu sprechen. Doch stellte er sich nur von ferne hin, denn in der Nähe war das strahlende Licht nicht zu ertragen. Der Vater Phöbus, von Pur¬ purgewand umhüllt, saß auf seinem fürstlichen Stuhle, der mit glänzenden Smaragden besetzt war; zu seiner Rechten und seiner Linken stand sein Gefolge geordnet, der Tag, der Monat, das Jahr, die Jahrhunderte und die Horen; der jugendliche Lenz mit seinem Blüthenkranze, der Sommer mit Aehrengewinden bekränzt, der Herbst mit einem Füllhorn voll Trauben, der eisige Winter mit schneeweißen Haaren. Phöbus, in ihrer Mitte sitzend, wurde mit seinem allschauenden Auge bald den Jüngling gewahr, der über so viele Wunder staunte. "Was ist der Grund deiner Wallfahrt, sprach er, was führt dich in den Pallast deines göttlichen Vaters, mein Sohn?" Phaethon antwortete: "Erlauchter Vater, man spottet mein auf Erden, und beschimpft meine Mutter Klymene. Sie sprechen, ich erheuchle nur himmlische Abkunft, und sey von einem dunkeln Vater geboren. Darum komme ich, von dir ein Unterpfand zu erbitten, das mich vor aller Welt als deinen wirklichen Sprößling darstelle."
Phaethon.
Auf herrlichen Säulen erbaut, ſtand die Königsburg des Sonnengottes, von blitzendem Gold und glühendem Karfunkel ſchimmernd; den oberſten Giebel umſchloß blendendes Elfenbein, gedoppelte Thüren ſtrahlten in Sil¬ berglanz, darauf in erhabener Arbeit die ſchönſten Wun¬ dergeſchichten zu ſchauen waren. In dieſen Pallaſt trat Phaethon, der Sohn des Sonnengottes Phöbus, und verlangte den Vater zu ſprechen. Doch ſtellte er ſich nur von ferne hin, denn in der Nähe war das ſtrahlende Licht nicht zu ertragen. Der Vater Phöbus, von Pur¬ purgewand umhüllt, ſaß auf ſeinem fürſtlichen Stuhle, der mit glänzenden Smaragden beſetzt war; zu ſeiner Rechten und ſeiner Linken ſtand ſein Gefolge geordnet, der Tag, der Monat, das Jahr, die Jahrhunderte und die Horen; der jugendliche Lenz mit ſeinem Blüthenkranze, der Sommer mit Aehrengewinden bekränzt, der Herbſt mit einem Füllhorn voll Trauben, der eiſige Winter mit ſchneeweißen Haaren. Phöbus, in ihrer Mitte ſitzend, wurde mit ſeinem allſchauenden Auge bald den Jüngling gewahr, der über ſo viele Wunder ſtaunte. „Was iſt der Grund deiner Wallfahrt, ſprach er, was führt dich in den Pallaſt deines göttlichen Vaters, mein Sohn?“ Phaethon antwortete: „Erlauchter Vater, man ſpottet mein auf Erden, und beſchimpft meine Mutter Klymene. Sie ſprechen, ich erheuchle nur himmliſche Abkunft, und ſey von einem dunkeln Vater geboren. Darum komme ich, von dir ein Unterpfand zu erbitten, das mich vor aller Welt als deinen wirklichen Sprößling darſtelle.“
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0055"n="29"/></div><divn="2"><head><hirendition="#b #g">Phaethon.</hi><lb/></head><p>Auf herrlichen Säulen erbaut, ſtand die Königsburg<lb/>
des Sonnengottes, von blitzendem Gold und glühendem<lb/>
Karfunkel ſchimmernd; den oberſten Giebel umſchloß<lb/>
blendendes Elfenbein, gedoppelte Thüren ſtrahlten in Sil¬<lb/>
berglanz, darauf in erhabener Arbeit die ſchönſten Wun¬<lb/>
dergeſchichten zu ſchauen waren. In dieſen Pallaſt trat<lb/><hirendition="#g">Phaethon</hi>, der Sohn des Sonnengottes <hirendition="#g">Phöbus</hi>,<lb/>
und verlangte den Vater zu ſprechen. Doch ſtellte er ſich<lb/>
nur von ferne hin, denn in der Nähe war das ſtrahlende<lb/>
Licht nicht zu ertragen. Der Vater Phöbus, von Pur¬<lb/>
purgewand umhüllt, ſaß auf ſeinem fürſtlichen Stuhle,<lb/>
der mit glänzenden Smaragden beſetzt war; zu ſeiner<lb/>
Rechten und ſeiner Linken ſtand ſein Gefolge geordnet,<lb/>
der Tag, der Monat, das Jahr, die Jahrhunderte und<lb/>
die Horen; der jugendliche Lenz mit ſeinem Blüthenkranze,<lb/>
der Sommer mit Aehrengewinden bekränzt, der Herbſt<lb/>
mit einem Füllhorn voll Trauben, der eiſige Winter mit<lb/>ſchneeweißen Haaren. Phöbus, in ihrer Mitte ſitzend,<lb/>
wurde mit ſeinem allſchauenden Auge bald den Jüngling<lb/>
gewahr, der über ſo viele Wunder ſtaunte. „Was iſt<lb/>
der Grund deiner Wallfahrt, ſprach er, was führt dich<lb/>
in den Pallaſt deines göttlichen Vaters, mein Sohn?“<lb/>
Phaethon antwortete: „Erlauchter Vater, man ſpottet<lb/>
mein auf Erden, und beſchimpft meine Mutter Klymene.<lb/>
Sie ſprechen, ich erheuchle nur himmliſche Abkunft, und<lb/>ſey von einem dunkeln Vater geboren. Darum komme<lb/>
ich, von dir ein Unterpfand zu erbitten, das mich vor<lb/>
aller Welt als deinen wirklichen Sprößling darſtelle.“<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[29/0055]
Phaethon.
Auf herrlichen Säulen erbaut, ſtand die Königsburg
des Sonnengottes, von blitzendem Gold und glühendem
Karfunkel ſchimmernd; den oberſten Giebel umſchloß
blendendes Elfenbein, gedoppelte Thüren ſtrahlten in Sil¬
berglanz, darauf in erhabener Arbeit die ſchönſten Wun¬
dergeſchichten zu ſchauen waren. In dieſen Pallaſt trat
Phaethon, der Sohn des Sonnengottes Phöbus,
und verlangte den Vater zu ſprechen. Doch ſtellte er ſich
nur von ferne hin, denn in der Nähe war das ſtrahlende
Licht nicht zu ertragen. Der Vater Phöbus, von Pur¬
purgewand umhüllt, ſaß auf ſeinem fürſtlichen Stuhle,
der mit glänzenden Smaragden beſetzt war; zu ſeiner
Rechten und ſeiner Linken ſtand ſein Gefolge geordnet,
der Tag, der Monat, das Jahr, die Jahrhunderte und
die Horen; der jugendliche Lenz mit ſeinem Blüthenkranze,
der Sommer mit Aehrengewinden bekränzt, der Herbſt
mit einem Füllhorn voll Trauben, der eiſige Winter mit
ſchneeweißen Haaren. Phöbus, in ihrer Mitte ſitzend,
wurde mit ſeinem allſchauenden Auge bald den Jüngling
gewahr, der über ſo viele Wunder ſtaunte. „Was iſt
der Grund deiner Wallfahrt, ſprach er, was führt dich
in den Pallaſt deines göttlichen Vaters, mein Sohn?“
Phaethon antwortete: „Erlauchter Vater, man ſpottet
mein auf Erden, und beſchimpft meine Mutter Klymene.
Sie ſprechen, ich erheuchle nur himmliſche Abkunft, und
ſey von einem dunkeln Vater geboren. Darum komme
ich, von dir ein Unterpfand zu erbitten, das mich vor
aller Welt als deinen wirklichen Sprößling darſtelle.“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/55>, abgerufen am 17.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.