hervor, das auf der nährenden Erde wohnen sollte. Dieß war wieder edler und gerechter, als das vorige. Es war das Geschlecht der göttlichen Heroen, welche die Vorwelt auch Halbgötter genannt hat. Zuletzt vertilgte aber auch sie Zwietracht und Krieg, die Einen vor den sieben Thoren Thebe's wo sie um das Reich des Königes Oedipus kämpften, die Andern auf dem Gefilde Troja's, wohin sie um der schönen Helena willen zahllos auf Schiffen gekommen waren. Als diese ihr Erdenleben in Kampf und Noth beschlossen hatten, ordnete ihnen der Vater Zeus ihren Sitz am Rande des Weltalls an, im Ocean, auf den Inseln der Seligen. Dort führen sie nach dem Tode ein glückliches und sorgenfreies Leben, wo ihnen der fruchtbare Boden dreimal im Jahre honig¬ süße Früchte zum Labsal emporsendet.
"Ach wäre ich," so seufzet der alte Dichter Hesio¬ dus, der diese Sage von den Menschenaltern erzählt, "wäre ich doch nicht ein Genosse des fünften Menschen¬ geschlechtes, das jetzt gekommen ist; wäre ich früher ge¬ storben, oder später geboren! denn dieses Menschenge¬ schlecht ist ein eisernes! Gänzlich verderbt, ruhen diese Menschen weder bei Tage noch bei Nacht von Kümmer¬ niß und Beschwerden, immer neue nagende Sorgen schi¬ cken ihnen die Götter. Sie selbst aber sind sich die größte Plage. Der Vater ist dem Sohne, der Sohn dem Vater nicht hold, der Gast haßt den ihn bewirthenden Freund, der Genosse den Genossen; auch unter Brüdern herrscht nicht mehr herzliche Liebe, wie vor Zeiten. Dem grauen Haare der Aeltern selbst wird die Ehrfurcht versagt, Schmachreden werden gegen sie ausgestoßen, Mißhand¬ lungen müssen sie erdulden. Ihr grausamen Menschen,
hervor, das auf der nährenden Erde wohnen ſollte. Dieß war wieder edler und gerechter, als das vorige. Es war das Geſchlecht der göttlichen Heroen, welche die Vorwelt auch Halbgötter genannt hat. Zuletzt vertilgte aber auch ſie Zwietracht und Krieg, die Einen vor den ſieben Thoren Thebe's wo ſie um das Reich des Königes Oedipus kämpften, die Andern auf dem Gefilde Troja's, wohin ſie um der ſchönen Helena willen zahllos auf Schiffen gekommen waren. Als dieſe ihr Erdenleben in Kampf und Noth beſchloſſen hatten, ordnete ihnen der Vater Zeus ihren Sitz am Rande des Weltalls an, im Ocean, auf den Inſeln der Seligen. Dort führen ſie nach dem Tode ein glückliches und ſorgenfreies Leben, wo ihnen der fruchtbare Boden dreimal im Jahre honig¬ ſüße Früchte zum Labſal emporſendet.
„Ach wäre ich,“ ſo ſeufzet der alte Dichter Heſio¬ dus, der dieſe Sage von den Menſchenaltern erzählt, „wäre ich doch nicht ein Genoſſe des fünften Menſchen¬ geſchlechtes, das jetzt gekommen iſt; wäre ich früher ge¬ ſtorben, oder ſpäter geboren! denn dieſes Menſchenge¬ ſchlecht iſt ein eiſernes! Gänzlich verderbt, ruhen dieſe Menſchen weder bei Tage noch bei Nacht von Kümmer¬ niß und Beſchwerden, immer neue nagende Sorgen ſchi¬ cken ihnen die Götter. Sie ſelbſt aber ſind ſich die größte Plage. Der Vater iſt dem Sohne, der Sohn dem Vater nicht hold, der Gaſt haßt den ihn bewirthenden Freund, der Genoſſe den Genoſſen; auch unter Brüdern herrſcht nicht mehr herzliche Liebe, wie vor Zeiten. Dem grauen Haare der Aeltern ſelbſt wird die Ehrfurcht verſagt, Schmachreden werden gegen ſie ausgeſtoßen, Mißhand¬ lungen müſſen ſie erdulden. Ihr grauſamen Menſchen,
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hervor, das auf der nährenden Erde wohnen ſollte. Dieß
war wieder edler und gerechter, als das vorige. Es
war das Geſchlecht der göttlichen Heroen, welche die
Vorwelt auch Halbgötter genannt hat. Zuletzt vertilgte
aber auch ſie Zwietracht und Krieg, die Einen vor den
ſieben Thoren Thebe's wo ſie um das Reich des Königes
Oedipus kämpften, die Andern auf dem Gefilde Troja's,
wohin ſie um der ſchönen Helena willen zahllos auf
Schiffen gekommen waren. Als dieſe ihr Erdenleben in
Kampf und Noth beſchloſſen hatten, ordnete ihnen der
Vater Zeus ihren Sitz am Rande des Weltalls an, im
Ocean, auf den Inſeln der Seligen. Dort führen ſie
nach dem Tode ein glückliches und ſorgenfreies Leben,
wo ihnen der fruchtbare Boden dreimal im Jahre honig¬
ſüße Früchte zum Labſal emporſendet.
„Ach wäre ich,“ ſo ſeufzet der alte Dichter Heſio¬
dus, der dieſe Sage von den Menſchenaltern erzählt,
„wäre ich doch nicht ein Genoſſe des fünften Menſchen¬
geſchlechtes, das jetzt gekommen iſt; wäre ich früher ge¬
ſtorben, oder ſpäter geboren! denn dieſes Menſchenge¬
ſchlecht iſt ein eiſernes! Gänzlich verderbt, ruhen dieſe
Menſchen weder bei Tage noch bei Nacht von Kümmer¬
niß und Beſchwerden, immer neue nagende Sorgen ſchi¬
cken ihnen die Götter. Sie ſelbſt aber ſind ſich die größte
Plage. Der Vater iſt dem Sohne, der Sohn dem Vater
nicht hold, der Gaſt haßt den ihn bewirthenden Freund,
der Genoſſe den Genoſſen; auch unter Brüdern herrſcht
nicht mehr herzliche Liebe, wie vor Zeiten. Dem grauen
Haare der Aeltern ſelbſt wird die Ehrfurcht verſagt,
Schmachreden werden gegen ſie ausgeſtoßen, Mißhand¬
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/39>, abgerufen am 23.11.2024.
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