Hypsipyle entging der Wuth nicht, in welche die Mutter des Kindes, die Gemahlin des Lykurgus, Eury¬ dice, der Verlust ihres Sohnes versetzte. Sie wurde von ihr in ein grausames Gefängniß geworfen, und der fürch¬ terlichste Tod war ihr geschworen. Das Glück wollte, daß die verlassenen ältesten Söhne Hypsipyle's ihrer Mutter schon auf der Spur waren, und nicht lange nach dieser Begebenheit in Nemea eintrafen, wo sie die gefangene Mutter befreiten.
Die Helden vor Thebe angekommen.
"Da habt ihr ein Vorzeichen, wie der Feldzug sich enden wird!" sprach der Seher Amphiaraus finster, als das Gebein des Knaben Opheltes entdeckt war. Aber die anderen alle dachten mehr an die Erlegung der Schlange, und priesen diese als eine glückliche Vorbedeutung. Und weil sich das Heer eben von einer großen Bedrängniß erholt hatte, so war Alles guter Dinge; der schwere Seufzer des Unglückspropheten wurde überhört, und der Zug ging lustig weiter. Es währte nicht viele Tage mehr, so war das Heer der Argiver unter den Mauern von Thebe angekommen.
In dieser Stadt hatte Eteokles mit seinem Oheim Kreon Alles zu einer hartnäckigen Vertheidigung vorbe¬ reitet, und sprach zu den versammelten Bürgern: "Be¬ denket jetzt, ihr Mitbürger, was ihr eurer Vaterstadt schuldig seyd, die euch in ihrem milden Schooße aufge¬ zogen und zu wackeren Kriegern gebildet hat. Ihr Alle, vom Jünglinge, der noch nicht Mann ist, bis zum Manne
Hypſipyle entging der Wuth nicht, in welche die Mutter des Kindes, die Gemahlin des Lykurgus, Eury¬ dice, der Verluſt ihres Sohnes verſetzte. Sie wurde von ihr in ein grauſames Gefängniß geworfen, und der fürch¬ terlichſte Tod war ihr geſchworen. Das Glück wollte, daß die verlaſſenen älteſten Söhne Hypſipyle's ihrer Mutter ſchon auf der Spur waren, und nicht lange nach dieſer Begebenheit in Nemea eintrafen, wo ſie die gefangene Mutter befreiten.
Die Helden vor Thebe angekommen.
„Da habt ihr ein Vorzeichen, wie der Feldzug ſich enden wird!“ ſprach der Seher Amphiaraus finſter, als das Gebein des Knaben Opheltes entdeckt war. Aber die anderen alle dachten mehr an die Erlegung der Schlange, und prieſen dieſe als eine glückliche Vorbedeutung. Und weil ſich das Heer eben von einer großen Bedrängniß erholt hatte, ſo war Alles guter Dinge; der ſchwere Seufzer des Unglückspropheten wurde überhört, und der Zug ging luſtig weiter. Es währte nicht viele Tage mehr, ſo war das Heer der Argiver unter den Mauern von Thebe angekommen.
In dieſer Stadt hatte Eteokles mit ſeinem Oheim Kreon Alles zu einer hartnäckigen Vertheidigung vorbe¬ reitet, und ſprach zu den verſammelten Bürgern: „Be¬ denket jetzt, ihr Mitbürger, was ihr eurer Vaterſtadt ſchuldig ſeyd, die euch in ihrem milden Schooße aufge¬ zogen und zu wackeren Kriegern gebildet hat. Ihr Alle, vom Jünglinge, der noch nicht Mann iſt, bis zum Manne
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0378"n="352"/><p>Hypſipyle entging der Wuth nicht, in welche die<lb/>
Mutter des Kindes, die Gemahlin des Lykurgus, Eury¬<lb/>
dice, der Verluſt ihres Sohnes verſetzte. Sie wurde von<lb/>
ihr in ein grauſames Gefängniß geworfen, und der fürch¬<lb/>
terlichſte Tod war ihr geſchworen. Das Glück wollte,<lb/>
daß die verlaſſenen älteſten Söhne Hypſipyle's ihrer<lb/>
Mutter ſchon auf der Spur waren, und nicht lange<lb/>
nach dieſer Begebenheit in Nemea eintrafen, wo ſie die<lb/>
gefangene Mutter befreiten.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="3"><head><hirendition="#fr">Die Helden vor Thebe angekommen.</hi><lb/></head><p>„Da habt ihr ein Vorzeichen, wie der Feldzug ſich<lb/>
enden wird!“ſprach der Seher Amphiaraus finſter, als<lb/>
das Gebein des Knaben Opheltes entdeckt war. Aber die<lb/>
anderen alle dachten mehr an die Erlegung der Schlange,<lb/>
und prieſen dieſe als eine glückliche Vorbedeutung. Und<lb/>
weil ſich das Heer eben von einer großen Bedrängniß<lb/>
erholt hatte, ſo war Alles guter Dinge; der ſchwere<lb/>
Seufzer des Unglückspropheten wurde überhört, und der<lb/>
Zug ging luſtig weiter. Es währte nicht viele Tage<lb/>
mehr, ſo war das Heer der Argiver unter den Mauern<lb/>
von Thebe angekommen.</p><lb/><p>In dieſer Stadt hatte Eteokles mit ſeinem Oheim<lb/>
Kreon Alles zu einer hartnäckigen Vertheidigung vorbe¬<lb/>
reitet, und ſprach zu den verſammelten Bürgern: „Be¬<lb/>
denket jetzt, ihr Mitbürger, was ihr eurer Vaterſtadt<lb/>ſchuldig ſeyd, die euch in ihrem milden Schooße aufge¬<lb/>
zogen und zu wackeren Kriegern gebildet hat. Ihr Alle,<lb/>
vom Jünglinge, der noch nicht Mann iſt, bis zum Manne<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[352/0378]
Hypſipyle entging der Wuth nicht, in welche die
Mutter des Kindes, die Gemahlin des Lykurgus, Eury¬
dice, der Verluſt ihres Sohnes verſetzte. Sie wurde von
ihr in ein grauſames Gefängniß geworfen, und der fürch¬
terlichſte Tod war ihr geſchworen. Das Glück wollte,
daß die verlaſſenen älteſten Söhne Hypſipyle's ihrer
Mutter ſchon auf der Spur waren, und nicht lange
nach dieſer Begebenheit in Nemea eintrafen, wo ſie die
gefangene Mutter befreiten.
Die Helden vor Thebe angekommen.
„Da habt ihr ein Vorzeichen, wie der Feldzug ſich
enden wird!“ ſprach der Seher Amphiaraus finſter, als
das Gebein des Knaben Opheltes entdeckt war. Aber die
anderen alle dachten mehr an die Erlegung der Schlange,
und prieſen dieſe als eine glückliche Vorbedeutung. Und
weil ſich das Heer eben von einer großen Bedrängniß
erholt hatte, ſo war Alles guter Dinge; der ſchwere
Seufzer des Unglückspropheten wurde überhört, und der
Zug ging luſtig weiter. Es währte nicht viele Tage
mehr, ſo war das Heer der Argiver unter den Mauern
von Thebe angekommen.
In dieſer Stadt hatte Eteokles mit ſeinem Oheim
Kreon Alles zu einer hartnäckigen Vertheidigung vorbe¬
reitet, und ſprach zu den verſammelten Bürgern: „Be¬
denket jetzt, ihr Mitbürger, was ihr eurer Vaterſtadt
ſchuldig ſeyd, die euch in ihrem milden Schooße aufge¬
zogen und zu wackeren Kriegern gebildet hat. Ihr Alle,
vom Jünglinge, der noch nicht Mann iſt, bis zum Manne
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/378>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.