Sinnes. Was das Schicksal beschlossen hat, sprach er, muß derjenige tragen, der die unbezwingliche Gewalt der Nothwendigkeit einsehen gelernt hat." Auch ließ er sich durch keine Drohungen Jupiters bewegen, die dunkle Weissagung, daß dem Götterherrscher durch einen neuen Ehebund *) Verderben und Untergang bevorstehe, näher auszudeuten. Jupiter hielt Wort; er sandte dem Gefes¬ selten einen Adler, der als täglicher Gast an seiner Le¬ ber zehren durfte, die sich, abgewaidet, immer wieder er¬ neuerte. Diese Qual sollte nicht eher aufhören, bis ein Ersatzmann erscheinen würde, der durch freiwillige Ueber¬ nahme des Todes, gewissermaßen sein Stellvertreter zu werden sich erböte.
Jener Zeitpunkt erschien früher, als der Verurtheilte nach Jupiters Spruch erwarten durfte. Als er dreißig Jahre an dem Felsen gehangen, kam Herkules des Weges, auf der Fahrt nach den Hesperiden und ihren Aepfeln begriffen. Wie er den Götterenkel am Caucasus hängen sah, und sich seines guten Rathes zu erfreuen hoffte, er¬ barmte ihn sein Geschick, denn er sah zu, wie der Adler, auf den Knieen des Prometheus sitzend, an der Leber des Unglückseligen fraß. Da legte er Keule und Löwen¬ haut hinter sich, spannte den Bogen, entsandte den Pfeil und schoß den grausamen Vogel von der Leber des Ge¬ quälten hinweg. Hierauf löste er seine Fesseln und führte den Befreiten mit sich davon. Damit aber Jupiters Bedingung erfüllt würde, stellte er ihm als Ersatzmann den Centauren Chiron, der erbötig war an Jenes Statt zu sterben; denn vorher war er unsterblich. Auf daß
*) Mit der Thetis.
Sinnes. Was das Schickſal beſchloſſen hat, ſprach er, muß derjenige tragen, der die unbezwingliche Gewalt der Nothwendigkeit einſehen gelernt hat.“ Auch ließ er ſich durch keine Drohungen Jupiters bewegen, die dunkle Weiſſagung, daß dem Götterherrſcher durch einen neuen Ehebund *) Verderben und Untergang bevorſtehe, näher auszudeuten. Jupiter hielt Wort; er ſandte dem Gefeſ¬ ſelten einen Adler, der als täglicher Gaſt an ſeiner Le¬ ber zehren durfte, die ſich, abgewaidet, immer wieder er¬ neuerte. Dieſe Qual ſollte nicht eher aufhören, bis ein Erſatzmann erſcheinen würde, der durch freiwillige Ueber¬ nahme des Todes, gewiſſermaßen ſein Stellvertreter zu werden ſich erböte.
Jener Zeitpunkt erſchien früher, als der Verurtheilte nach Jupiters Spruch erwarten durfte. Als er dreißig Jahre an dem Felſen gehangen, kam Herkules des Weges, auf der Fahrt nach den Heſperiden und ihren Aepfeln begriffen. Wie er den Götterenkel am Caucaſus hängen ſah, und ſich ſeines guten Rathes zu erfreuen hoffte, er¬ barmte ihn ſein Geſchick, denn er ſah zu, wie der Adler, auf den Knieen des Prometheus ſitzend, an der Leber des Unglückſeligen fraß. Da legte er Keule und Löwen¬ haut hinter ſich, ſpannte den Bogen, entſandte den Pfeil und ſchoß den grauſamen Vogel von der Leber des Ge¬ quälten hinweg. Hierauf löste er ſeine Feſſeln und führte den Befreiten mit ſich davon. Damit aber Jupiters Bedingung erfüllt würde, ſtellte er ihm als Erſatzmann den Centauren Chiron, der erbötig war an Jenes Statt zu ſterben; denn vorher war er unſterblich. Auf daß
*) Mit der Thetis.
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Sinnes. Was das Schickſal beſchloſſen hat, ſprach er,
muß derjenige tragen, der die unbezwingliche Gewalt der
Nothwendigkeit einſehen gelernt hat.“ Auch ließ er ſich
durch keine Drohungen Jupiters bewegen, die dunkle
Weiſſagung, daß dem Götterherrſcher durch einen neuen
Ehebund *) Verderben und Untergang bevorſtehe, näher
auszudeuten. Jupiter hielt Wort; er ſandte dem Gefeſ¬
ſelten einen Adler, der als täglicher Gaſt an ſeiner Le¬
ber zehren durfte, die ſich, abgewaidet, immer wieder er¬
neuerte. Dieſe Qual ſollte nicht eher aufhören, bis ein
Erſatzmann erſcheinen würde, der durch freiwillige Ueber¬
nahme des Todes, gewiſſermaßen ſein Stellvertreter zu
werden ſich erböte.
Jener Zeitpunkt erſchien früher, als der Verurtheilte
nach Jupiters Spruch erwarten durfte. Als er dreißig
Jahre an dem Felſen gehangen, kam Herkules des Weges,
auf der Fahrt nach den Heſperiden und ihren Aepfeln
begriffen. Wie er den Götterenkel am Caucaſus hängen
ſah, und ſich ſeines guten Rathes zu erfreuen hoffte, er¬
barmte ihn ſein Geſchick, denn er ſah zu, wie der Adler,
auf den Knieen des Prometheus ſitzend, an der Leber
des Unglückſeligen fraß. Da legte er Keule und Löwen¬
haut hinter ſich, ſpannte den Bogen, entſandte den Pfeil
und ſchoß den grauſamen Vogel von der Leber des Ge¬
quälten hinweg. Hierauf löste er ſeine Feſſeln und
führte den Befreiten mit ſich davon. Damit aber Jupiters
Bedingung erfüllt würde, ſtellte er ihm als Erſatzmann
den Centauren Chiron, der erbötig war an Jenes Statt
zu ſterben; denn vorher war er unſterblich. Auf daß
*) Mit der Thetis.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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