ihn und seine Söhne im Bogenschießen übertreffen wür¬ de. Auf diese Bekanntmachung eilte Herkules nach Oe¬ chalia, und trat unter der Schaar der Bewerber auf. Er bewies in diesem Wettkampfe, daß er kein un¬ würdiger Schüler des alten Eurytus gewesen: denn er besiegte ihn und seine Söhne. Der König hielt seinen Gast in allen Ehren; im Herzen aber erschrak er ge¬ waltig über dessen Sieg, denn er mußte an das Schicksal der Megara denken, und fürchtete für seine Tochter ein gleiches Loos. Er erklärte daher auf die Anfrage des Helden, sich wegen der Heirath noch längere Zeit bedenken zu wollen. Inzwischen war der älteste Sohn des Eury¬ tus, Iphitus, ein Altersgenosse des Herkules, der eine neidlose Freude über die Stärke und Heldenherrlichkeit seines Gastes empfand, sein inniger Freund geworden, und wandte alle Künste der Ueberredung an, um seinen Vater dem edlen Fremdling geneigter zu machen. Eury¬ tus aber beharrte auf seiner Weigerung. Gekränkt ver¬ ließ Herkules das Königshaus, und irrte lang in der Fremde umher. Was ihm hier bei dem Könige Admetus be¬ gegnet, soll der nächste Abschnitt erzählen. Mittlerweile kam ein Bote vor den König Eurytus, und meldete, daß ein Räuber unter die Rinderherde des Königes gefallen sey. Es hatte dieß der listige und betrügerische Autoly¬ kus verübt, dessen Diebereien weit und breit bekannt wa¬ ren. Der erbitterte König aber sprach: "dieß hat kein Anderer gethan, als Herkules; solche unedle Rache nimmt er, weil ich ihm, dem Mörder seiner Kinder, die Tochter versagt habe!" Iphitus vertheidigte seinen Freund mit warmen Worten und erbot sich, selbst zu Herkules zu gehen und mit ihm die gestohlenen Rinder aufzusuchen.
ihn und ſeine Söhne im Bogenſchießen übertreffen wür¬ de. Auf dieſe Bekanntmachung eilte Herkules nach Oe¬ chalia, und trat unter der Schaar der Bewerber auf. Er bewies in dieſem Wettkampfe, daß er kein un¬ würdiger Schüler des alten Eurytus geweſen: denn er beſiegte ihn und ſeine Söhne. Der König hielt ſeinen Gaſt in allen Ehren; im Herzen aber erſchrak er ge¬ waltig über deſſen Sieg, denn er mußte an das Schickſal der Megara denken, und fürchtete für ſeine Tochter ein gleiches Loos. Er erklärte daher auf die Anfrage des Helden, ſich wegen der Heirath noch längere Zeit bedenken zu wollen. Inzwiſchen war der älteſte Sohn des Eury¬ tus, Iphitus, ein Altersgenoſſe des Herkules, der eine neidloſe Freude über die Stärke und Heldenherrlichkeit ſeines Gaſtes empfand, ſein inniger Freund geworden, und wandte alle Künſte der Ueberredung an, um ſeinen Vater dem edlen Fremdling geneigter zu machen. Eury¬ tus aber beharrte auf ſeiner Weigerung. Gekränkt ver¬ ließ Herkules das Königshaus, und irrte lang in der Fremde umher. Was ihm hier bei dem Könige Admetus be¬ gegnet, ſoll der nächſte Abſchnitt erzählen. Mittlerweile kam ein Bote vor den König Eurytus, und meldete, daß ein Räuber unter die Rinderherde des Königes gefallen ſey. Es hatte dieß der liſtige und betrügeriſche Autoly¬ kus verübt, deſſen Diebereien weit und breit bekannt wa¬ ren. Der erbitterte König aber ſprach: „dieß hat kein Anderer gethan, als Herkules; ſolche unedle Rache nimmt er, weil ich ihm, dem Mörder ſeiner Kinder, die Tochter verſagt habe!“ Iphitus vertheidigte ſeinen Freund mit warmen Worten und erbot ſich, ſelbſt zu Herkules zu gehen und mit ihm die geſtohlenen Rinder aufzuſuchen.
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ihn und ſeine Söhne im Bogenſchießen übertreffen wür¬
de. Auf dieſe Bekanntmachung eilte Herkules nach Oe¬
chalia, und trat unter der Schaar der Bewerber auf.
Er bewies in dieſem Wettkampfe, daß er kein un¬
würdiger Schüler des alten Eurytus geweſen: denn er
beſiegte ihn und ſeine Söhne. Der König hielt ſeinen
Gaſt in allen Ehren; im Herzen aber erſchrak er ge¬
waltig über deſſen Sieg, denn er mußte an das Schickſal
der Megara denken, und fürchtete für ſeine Tochter ein
gleiches Loos. Er erklärte daher auf die Anfrage des
Helden, ſich wegen der Heirath noch längere Zeit bedenken
zu wollen. Inzwiſchen war der älteſte Sohn des Eury¬
tus, Iphitus, ein Altersgenoſſe des Herkules, der eine
neidloſe Freude über die Stärke und Heldenherrlichkeit
ſeines Gaſtes empfand, ſein inniger Freund geworden,
und wandte alle Künſte der Ueberredung an, um ſeinen
Vater dem edlen Fremdling geneigter zu machen. Eury¬
tus aber beharrte auf ſeiner Weigerung. Gekränkt ver¬
ließ Herkules das Königshaus, und irrte lang in der
Fremde umher. Was ihm hier bei dem Könige Admetus be¬
gegnet, ſoll der nächſte Abſchnitt erzählen. Mittlerweile
kam ein Bote vor den König Eurytus, und meldete, daß
ein Räuber unter die Rinderherde des Königes gefallen
ſey. Es hatte dieß der liſtige und betrügeriſche Autoly¬
kus verübt, deſſen Diebereien weit und breit bekannt wa¬
ren. Der erbitterte König aber ſprach: „dieß hat kein
Anderer gethan, als Herkules; ſolche unedle Rache nimmt
er, weil ich ihm, dem Mörder ſeiner Kinder, die Tochter
verſagt habe!“ Iphitus vertheidigte ſeinen Freund mit
warmen Worten und erbot ſich, ſelbſt zu Herkules zu
gehen und mit ihm die geſtohlenen Rinder aufzuſuchen.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/265>, abgerufen am 22.11.2024.
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