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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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digte den rasenden Ochsen so gründlich, daß, um den
Stier nach dem Peloponnese zu schaffen, er sich von dem¬
selben auf dem ganzen Wege nach der See wie von einem
Schiffe tragen ließ. Mit dieser Arbeit war Eurystheus
zufrieden, ließ jedoch das Thier, nachdem er es eine kurze
Weile mit Wohlgefallen betrachtet, sofort wieder frei.
Als der Stier nicht mehr im Banne des Herkules war,
kehrte seine alte Raserei zurück, er durchirrte ganz La¬
konien und Arkadien, streifte über den Isthmus nach
Marathon in Attica und verheerte hier das Land wie
vordem auf der Insel Kreta. Erst dem Theseus gelang
es später, Meister über ihn zu werden.

Als achte Arbeit trug nun sein Vetter dem Herkules
auf, die Stuten des Thraciers Diomedes nach Mycene
zu bringen. Dieser war ein Sohn des Mars, und Kö¬
nig der Bistonen, eines sehr kriegerischen Volkes. Er be¬
saß Stuten, die so wild und stark waren, daß man sie
an eherne Krippen und mit eisernen Ketten band. Ihr
Futter bestand nicht aus Haber, sondern die Fremdlinge,
welche das Unglück hatten, in die Stadt des Königes zu
kommen, wurden ihnen vorgeworfen, und das Fleisch der¬
selben diente den Rossen zur Nahrung. Als Herkules ankam,
war sein Erstes, den unmenschlichen König selbst zu fas¬
sen, und ihn seinen eigenen Stuten vorzuwerfen, nachdem
er die bei den Krippen aufgestellten Wächter übermannt
hatte. Durch diese Speise wurden die Thiere zahm, und
er trieb sie nun ans Gestade des Meeres. Aber die Bis¬
tonen kamen unter Waffen hinter ihm her, daß Herkules
sich umwenden und gegen sie kämpfen mußte. Er gab
die Stuten seinem Liebling und Begleiter Abderus, dem
Sohne Merkurs, zu bewachen. Als Herkules fort war,

digte den raſenden Ochſen ſo gründlich, daß, um den
Stier nach dem Peloponneſe zu ſchaffen, er ſich von dem¬
ſelben auf dem ganzen Wege nach der See wie von einem
Schiffe tragen ließ. Mit dieſer Arbeit war Euryſtheus
zufrieden, ließ jedoch das Thier, nachdem er es eine kurze
Weile mit Wohlgefallen betrachtet, ſofort wieder frei.
Als der Stier nicht mehr im Banne des Herkules war,
kehrte ſeine alte Raſerei zurück, er durchirrte ganz La¬
konien und Arkadien, ſtreifte über den Iſthmus nach
Marathon in Attica und verheerte hier das Land wie
vordem auf der Inſel Kreta. Erſt dem Theſeus gelang
es ſpäter, Meiſter über ihn zu werden.

Als achte Arbeit trug nun ſein Vetter dem Herkules
auf, die Stuten des Thraciers Diomedes nach Mycene
zu bringen. Dieſer war ein Sohn des Mars, und Kö¬
nig der Bistonen, eines ſehr kriegeriſchen Volkes. Er be¬
ſaß Stuten, die ſo wild und ſtark waren, daß man ſie
an eherne Krippen und mit eiſernen Ketten band. Ihr
Futter beſtand nicht aus Haber, ſondern die Fremdlinge,
welche das Unglück hatten, in die Stadt des Königes zu
kommen, wurden ihnen vorgeworfen, und das Fleiſch der¬
ſelben diente den Roſſen zur Nahrung. Als Herkules ankam,
war ſein Erſtes, den unmenſchlichen König ſelbſt zu faſ¬
ſen, und ihn ſeinen eigenen Stuten vorzuwerfen, nachdem
er die bei den Krippen aufgeſtellten Wächter übermannt
hatte. Durch dieſe Speiſe wurden die Thiere zahm, und
er trieb ſie nun ans Geſtade des Meeres. Aber die Bis¬
tonen kamen unter Waffen hinter ihm her, daß Herkules
ſich umwenden und gegen ſie kämpfen mußte. Er gab
die Stuten ſeinem Liebling und Begleiter Abderus, dem
Sohne Merkurs, zu bewachen. Als Herkules fort war,

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[226/0252] digte den raſenden Ochſen ſo gründlich, daß, um den Stier nach dem Peloponneſe zu ſchaffen, er ſich von dem¬ ſelben auf dem ganzen Wege nach der See wie von einem Schiffe tragen ließ. Mit dieſer Arbeit war Euryſtheus zufrieden, ließ jedoch das Thier, nachdem er es eine kurze Weile mit Wohlgefallen betrachtet, ſofort wieder frei. Als der Stier nicht mehr im Banne des Herkules war, kehrte ſeine alte Raſerei zurück, er durchirrte ganz La¬ konien und Arkadien, ſtreifte über den Iſthmus nach Marathon in Attica und verheerte hier das Land wie vordem auf der Inſel Kreta. Erſt dem Theſeus gelang es ſpäter, Meiſter über ihn zu werden. Als achte Arbeit trug nun ſein Vetter dem Herkules auf, die Stuten des Thraciers Diomedes nach Mycene zu bringen. Dieſer war ein Sohn des Mars, und Kö¬ nig der Bistonen, eines ſehr kriegeriſchen Volkes. Er be¬ ſaß Stuten, die ſo wild und ſtark waren, daß man ſie an eherne Krippen und mit eiſernen Ketten band. Ihr Futter beſtand nicht aus Haber, ſondern die Fremdlinge, welche das Unglück hatten, in die Stadt des Königes zu kommen, wurden ihnen vorgeworfen, und das Fleiſch der¬ ſelben diente den Roſſen zur Nahrung. Als Herkules ankam, war ſein Erſtes, den unmenſchlichen König ſelbſt zu faſ¬ ſen, und ihn ſeinen eigenen Stuten vorzuwerfen, nachdem er die bei den Krippen aufgeſtellten Wächter übermannt hatte. Durch dieſe Speiſe wurden die Thiere zahm, und er trieb ſie nun ans Geſtade des Meeres. Aber die Bis¬ tonen kamen unter Waffen hinter ihm her, daß Herkules ſich umwenden und gegen ſie kämpfen mußte. Er gab die Stuten ſeinem Liebling und Begleiter Abderus, dem Sohne Merkurs, zu bewachen. Als Herkules fort war,

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/252>, abgerufen am 22.11.2024.