ihre Höhle befand. Hier ließ Jolaus die Pferde halten; Herkules sprang vom Wagen und zwang durch Schüsse mit brennenden Pfeilen die vielköpfige Schlange, ihren Schlupfwinkel zu verlassen. Sie kam zischend hervor und ihre neun Hälse schwankten aufgerichtet auf dem Leibe, wie die Aeste eines Baumes im Sturm. Herkules ging unerschrocken auf sie zu, packte sie kräftig und hielt sie fest. Sie aber umschlang einen seiner Füße, ohne sich auf weitere Gegenwehr einzulassen. Nun fing er an mit einem Sichelschwerte ihr die Köpfe abzuschlagen. Aber er konnte nicht zum Ziele kommen. War ein Haupt ab¬ geschlagen, so wuchsen deren zwei hervor. Zugleich kam der Hyder ein Riesenkrebs zu Hülfe, der den Helden empfindlich in den Fuß kneipte. Den tödtete er jedoch mit seiner Keule und rief dann den Jolaus zu Hülfe. Dieser hatte schon eine Fackel gerüstet, er zündete damit einen Theil des nahen Waldes an, und mit den Bränden überfuhr er die neu wachsenden Häupter der Schlange bei ihrem ersten Emporkeimen und hinderte sie so, hervor¬ zutreiben. Auf diese Weise wurde der Held der empor¬ wachsenden Köpfe Meister und schlug nun der Hyder auch das unsterbliche Haupt ab; dieses begrub er am Wege und wälzte einen schweren Stein darüber. Den Rumpf der Hyder spaltete er in zwei Theile, seine Pfeile aber tauchte er in ihr Blut, das giftig war. Seitdem ver¬ setzte des Helden Geschoß unheilbare Wunden.
Der dritte Auftrag des Eurystheus war, die Hirsch¬ kuh Cerynitis lebendig zu fangen; dieß war ein herrli¬ ches Thier, hatte goldene Geweihe und eherne Füße und weidete auf einem Hügel Arkadiens. Sie war eine der fünf Hindinnen gewesen, an welchen die Göttin Diana
ihre Höhle befand. Hier ließ Jolaus die Pferde halten; Herkules ſprang vom Wagen und zwang durch Schüſſe mit brennenden Pfeilen die vielköpfige Schlange, ihren Schlupfwinkel zu verlaſſen. Sie kam ziſchend hervor und ihre neun Hälſe ſchwankten aufgerichtet auf dem Leibe, wie die Aeſte eines Baumes im Sturm. Herkules ging unerſchrocken auf ſie zu, packte ſie kräftig und hielt ſie feſt. Sie aber umſchlang einen ſeiner Füße, ohne ſich auf weitere Gegenwehr einzulaſſen. Nun fing er an mit einem Sichelſchwerte ihr die Köpfe abzuſchlagen. Aber er konnte nicht zum Ziele kommen. War ein Haupt ab¬ geſchlagen, ſo wuchſen deren zwei hervor. Zugleich kam der Hyder ein Rieſenkrebs zu Hülfe, der den Helden empfindlich in den Fuß kneipte. Den tödtete er jedoch mit ſeiner Keule und rief dann den Jolaus zu Hülfe. Dieſer hatte ſchon eine Fackel gerüſtet, er zündete damit einen Theil des nahen Waldes an, und mit den Bränden überfuhr er die neu wachſenden Häupter der Schlange bei ihrem erſten Emporkeimen und hinderte ſie ſo, hervor¬ zutreiben. Auf dieſe Weiſe wurde der Held der empor¬ wachſenden Köpfe Meiſter und ſchlug nun der Hyder auch das unſterbliche Haupt ab; dieſes begrub er am Wege und wälzte einen ſchweren Stein darüber. Den Rumpf der Hyder ſpaltete er in zwei Theile, ſeine Pfeile aber tauchte er in ihr Blut, das giftig war. Seitdem ver¬ ſetzte des Helden Geſchoß unheilbare Wunden.
Der dritte Auftrag des Euryſtheus war, die Hirſch¬ kuh Cerynitis lebendig zu fangen; dieß war ein herrli¬ ches Thier, hatte goldene Geweihe und eherne Füße und weidete auf einem Hügel Arkadiens. Sie war eine der fünf Hindinnen geweſen, an welchen die Göttin Diana
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0245"n="219"/>
ihre Höhle befand. Hier ließ Jolaus die Pferde halten;<lb/>
Herkules ſprang vom Wagen und zwang durch Schüſſe<lb/>
mit brennenden Pfeilen die vielköpfige Schlange, ihren<lb/>
Schlupfwinkel zu verlaſſen. Sie kam ziſchend hervor und<lb/>
ihre neun Hälſe ſchwankten aufgerichtet auf dem Leibe,<lb/>
wie die Aeſte eines Baumes im Sturm. Herkules ging<lb/>
unerſchrocken auf ſie zu, packte ſie kräftig und hielt ſie<lb/>
feſt. Sie aber umſchlang einen ſeiner Füße, ohne ſich<lb/>
auf weitere Gegenwehr einzulaſſen. Nun fing er an mit<lb/>
einem Sichelſchwerte ihr die Köpfe abzuſchlagen. Aber<lb/>
er konnte nicht zum Ziele kommen. War ein Haupt ab¬<lb/>
geſchlagen, ſo wuchſen deren zwei hervor. Zugleich kam<lb/>
der Hyder ein Rieſenkrebs zu Hülfe, der den Helden<lb/>
empfindlich in den Fuß kneipte. Den tödtete er jedoch<lb/>
mit ſeiner Keule und rief dann den Jolaus zu Hülfe.<lb/>
Dieſer hatte ſchon eine Fackel gerüſtet, er zündete damit<lb/>
einen Theil des nahen Waldes an, und mit den Bränden<lb/>
überfuhr er die neu wachſenden Häupter der Schlange<lb/>
bei ihrem erſten Emporkeimen und hinderte ſie ſo, hervor¬<lb/>
zutreiben. Auf dieſe Weiſe wurde der Held der empor¬<lb/>
wachſenden Köpfe Meiſter und ſchlug nun der Hyder auch<lb/>
das unſterbliche Haupt ab; dieſes begrub er am Wege<lb/>
und wälzte einen ſchweren Stein darüber. Den Rumpf<lb/>
der Hyder ſpaltete er in zwei Theile, ſeine Pfeile aber<lb/>
tauchte er in ihr Blut, das giftig war. Seitdem ver¬<lb/>ſetzte des Helden Geſchoß unheilbare Wunden.</p><lb/><p>Der dritte Auftrag des Euryſtheus war, die Hirſch¬<lb/>
kuh Cerynitis lebendig zu fangen; dieß war ein herrli¬<lb/>
ches Thier, hatte goldene Geweihe und eherne Füße und<lb/>
weidete auf einem Hügel Arkadiens. Sie war eine der<lb/>
fünf Hindinnen geweſen, an welchen die Göttin Diana<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[219/0245]
ihre Höhle befand. Hier ließ Jolaus die Pferde halten;
Herkules ſprang vom Wagen und zwang durch Schüſſe
mit brennenden Pfeilen die vielköpfige Schlange, ihren
Schlupfwinkel zu verlaſſen. Sie kam ziſchend hervor und
ihre neun Hälſe ſchwankten aufgerichtet auf dem Leibe,
wie die Aeſte eines Baumes im Sturm. Herkules ging
unerſchrocken auf ſie zu, packte ſie kräftig und hielt ſie
feſt. Sie aber umſchlang einen ſeiner Füße, ohne ſich
auf weitere Gegenwehr einzulaſſen. Nun fing er an mit
einem Sichelſchwerte ihr die Köpfe abzuſchlagen. Aber
er konnte nicht zum Ziele kommen. War ein Haupt ab¬
geſchlagen, ſo wuchſen deren zwei hervor. Zugleich kam
der Hyder ein Rieſenkrebs zu Hülfe, der den Helden
empfindlich in den Fuß kneipte. Den tödtete er jedoch
mit ſeiner Keule und rief dann den Jolaus zu Hülfe.
Dieſer hatte ſchon eine Fackel gerüſtet, er zündete damit
einen Theil des nahen Waldes an, und mit den Bränden
überfuhr er die neu wachſenden Häupter der Schlange
bei ihrem erſten Emporkeimen und hinderte ſie ſo, hervor¬
zutreiben. Auf dieſe Weiſe wurde der Held der empor¬
wachſenden Köpfe Meiſter und ſchlug nun der Hyder auch
das unſterbliche Haupt ab; dieſes begrub er am Wege
und wälzte einen ſchweren Stein darüber. Den Rumpf
der Hyder ſpaltete er in zwei Theile, ſeine Pfeile aber
tauchte er in ihr Blut, das giftig war. Seitdem ver¬
ſetzte des Helden Geſchoß unheilbare Wunden.
Der dritte Auftrag des Euryſtheus war, die Hirſch¬
kuh Cerynitis lebendig zu fangen; dieß war ein herrli¬
ches Thier, hatte goldene Geweihe und eherne Füße und
weidete auf einem Hügel Arkadiens. Sie war eine der
fünf Hindinnen geweſen, an welchen die Göttin Diana
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/245>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.