Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

banern in Empfang nehmen sollten. Herkules, der sich
von der Tugend zum Anwalt aller Unterdrückten geweiht
fühlte, ward mit den Boten, die sich allerhand Mishand¬
lungen des Landes erlaubt hatten, bald fertig und schickte
sie, mit Stricken um den Nacken, verstümmelt ihrem Kö¬
nige zurück. Erginus verlangte die Auslieferung des Thä¬
ters, und Kreon, der König der Thebaner, aus Furcht
vor der drohenden Gewalt, war geneigt, seinen Willen
zu thun. Da beredete Herkules eine Menge muthiger Jüng¬
linge, mit ihm dem Feinde entgegen zu gehen. Nun war
aber in keinem Bürgerhause eine Waffe zu finden, denn
die Minyer hatten die ganze Stadt entwaffnet, damit
den Thebanern kein Gedanke an einen Aufstand kommen
sollte. Da rief Minerva den Herkules in ihren Tempel
und rüstete ihn mit ihren eigenen Waffen aus, die Jüng¬
linge aber griffen zu den in den Tempeln aufgehängten
Waffenrüstungen, welche die Vorfahren erbeutet und den
Göttern geweiht hatten. So ausgerüstet zog er mit sei¬
ner kleinen Mannschaft den herannahenden Minyern bis
zu einem Engpasse entgegen. Hier konnte den Feind die
Größe seiner Kriegsmacht nichts nützen: Erginus selbst
fiel in der Schlacht und fast sein ganzes Heer wurde
aufgerieben. Aber in dem Gefechte war auch Amphitruo,
des Herkules Stiefvater, der wacker mit gekämpft hatte,
umgekommen. Herkules rückte nach der Schlacht schnell
gegen Orchomenos, die Hauptstadt der Minyer, vor, drang
zu den Thoren ein, verbrannte ihre Königsburg und zer¬
störte die Stadt.

Ganz Griechenland bewunderte die außerordentliche
That, und der Thebanerkönig Kreon, das Verdienst des
Jünglings zu ehren, gab ihm seine Tochter Megara zur

Schwab, das klass. Alterthum. I. 14

banern in Empfang nehmen ſollten. Herkules, der ſich
von der Tugend zum Anwalt aller Unterdrückten geweiht
fühlte, ward mit den Boten, die ſich allerhand Mishand¬
lungen des Landes erlaubt hatten, bald fertig und ſchickte
ſie, mit Stricken um den Nacken, verſtümmelt ihrem Kö¬
nige zurück. Erginus verlangte die Auslieferung des Thä¬
ters, und Kreon, der König der Thebaner, aus Furcht
vor der drohenden Gewalt, war geneigt, ſeinen Willen
zu thun. Da beredete Herkules eine Menge muthiger Jüng¬
linge, mit ihm dem Feinde entgegen zu gehen. Nun war
aber in keinem Bürgerhauſe eine Waffe zu finden, denn
die Minyer hatten die ganze Stadt entwaffnet, damit
den Thebanern kein Gedanke an einen Aufſtand kommen
ſollte. Da rief Minerva den Herkules in ihren Tempel
und rüſtete ihn mit ihren eigenen Waffen aus, die Jüng¬
linge aber griffen zu den in den Tempeln aufgehängten
Waffenrüſtungen, welche die Vorfahren erbeutet und den
Göttern geweiht hatten. So ausgerüſtet zog er mit ſei¬
ner kleinen Mannſchaft den herannahenden Minyern bis
zu einem Engpaſſe entgegen. Hier konnte den Feind die
Größe ſeiner Kriegsmacht nichts nützen: Erginus ſelbſt
fiel in der Schlacht und faſt ſein ganzes Heer wurde
aufgerieben. Aber in dem Gefechte war auch Amphitruo,
des Herkules Stiefvater, der wacker mit gekämpft hatte,
umgekommen. Herkules rückte nach der Schlacht ſchnell
gegen Orchomenos, die Hauptſtadt der Minyer, vor, drang
zu den Thoren ein, verbrannte ihre Königsburg und zer¬
ſtörte die Stadt.

Ganz Griechenland bewunderte die außerordentliche
That, und der Thebanerkönig Kreon, das Verdienſt des
Jünglings zu ehren, gab ihm ſeine Tochter Megara zur

Schwab, das klaſſ. Alterthum. I. 14
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0235" n="209"/>
banern in Empfang nehmen &#x017F;ollten. Herkules, der &#x017F;ich<lb/>
von der Tugend zum Anwalt aller Unterdrückten geweiht<lb/>
fühlte, ward mit den Boten, die &#x017F;ich allerhand Mishand¬<lb/>
lungen des Landes erlaubt hatten, bald fertig und &#x017F;chickte<lb/>
&#x017F;ie, mit Stricken um den Nacken, ver&#x017F;tümmelt ihrem Kö¬<lb/>
nige zurück. Erginus verlangte die Auslieferung des Thä¬<lb/>
ters, und Kreon, der König der Thebaner, aus Furcht<lb/>
vor der drohenden Gewalt, war geneigt, &#x017F;einen Willen<lb/>
zu thun. Da beredete Herkules eine Menge muthiger Jüng¬<lb/>
linge, mit ihm dem Feinde entgegen zu gehen. Nun war<lb/>
aber in keinem Bürgerhau&#x017F;e eine Waffe zu finden, denn<lb/>
die Minyer hatten die ganze Stadt entwaffnet, damit<lb/>
den Thebanern kein Gedanke an einen Auf&#x017F;tand kommen<lb/>
&#x017F;ollte. Da rief Minerva den Herkules in ihren Tempel<lb/>
und rü&#x017F;tete ihn mit ihren eigenen Waffen aus, die Jüng¬<lb/>
linge aber griffen zu den in den Tempeln aufgehängten<lb/>
Waffenrü&#x017F;tungen, welche die Vorfahren erbeutet und den<lb/>
Göttern geweiht hatten. So ausgerü&#x017F;tet zog er mit &#x017F;ei¬<lb/>
ner kleinen Mann&#x017F;chaft den herannahenden Minyern bis<lb/>
zu einem Engpa&#x017F;&#x017F;e entgegen. Hier konnte den Feind die<lb/>
Größe &#x017F;einer Kriegsmacht nichts nützen: Erginus &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
fiel in der Schlacht und fa&#x017F;t &#x017F;ein ganzes Heer wurde<lb/>
aufgerieben. Aber in dem Gefechte war auch Amphitruo,<lb/>
des Herkules Stiefvater, der wacker mit gekämpft hatte,<lb/>
umgekommen. Herkules rückte nach der Schlacht &#x017F;chnell<lb/>
gegen Orchomenos, die Haupt&#x017F;tadt der Minyer, vor, drang<lb/>
zu den Thoren ein, verbrannte ihre Königsburg und zer¬<lb/>
&#x017F;törte die Stadt.</p><lb/>
            <p>Ganz Griechenland bewunderte die außerordentliche<lb/>
That, und der Thebanerkönig Kreon, das Verdien&#x017F;t des<lb/>
Jünglings zu ehren, gab ihm &#x017F;eine Tochter Megara zur<lb/>
<fw type="sig" place="bottom">Schwab, das kla&#x017F;&#x017F;. Alterthum. <hi rendition="#aq">I</hi>. 14<lb/></fw>
</p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[209/0235] banern in Empfang nehmen ſollten. Herkules, der ſich von der Tugend zum Anwalt aller Unterdrückten geweiht fühlte, ward mit den Boten, die ſich allerhand Mishand¬ lungen des Landes erlaubt hatten, bald fertig und ſchickte ſie, mit Stricken um den Nacken, verſtümmelt ihrem Kö¬ nige zurück. Erginus verlangte die Auslieferung des Thä¬ ters, und Kreon, der König der Thebaner, aus Furcht vor der drohenden Gewalt, war geneigt, ſeinen Willen zu thun. Da beredete Herkules eine Menge muthiger Jüng¬ linge, mit ihm dem Feinde entgegen zu gehen. Nun war aber in keinem Bürgerhauſe eine Waffe zu finden, denn die Minyer hatten die ganze Stadt entwaffnet, damit den Thebanern kein Gedanke an einen Aufſtand kommen ſollte. Da rief Minerva den Herkules in ihren Tempel und rüſtete ihn mit ihren eigenen Waffen aus, die Jüng¬ linge aber griffen zu den in den Tempeln aufgehängten Waffenrüſtungen, welche die Vorfahren erbeutet und den Göttern geweiht hatten. So ausgerüſtet zog er mit ſei¬ ner kleinen Mannſchaft den herannahenden Minyern bis zu einem Engpaſſe entgegen. Hier konnte den Feind die Größe ſeiner Kriegsmacht nichts nützen: Erginus ſelbſt fiel in der Schlacht und faſt ſein ganzes Heer wurde aufgerieben. Aber in dem Gefechte war auch Amphitruo, des Herkules Stiefvater, der wacker mit gekämpft hatte, umgekommen. Herkules rückte nach der Schlacht ſchnell gegen Orchomenos, die Hauptſtadt der Minyer, vor, drang zu den Thoren ein, verbrannte ihre Königsburg und zer¬ ſtörte die Stadt. Ganz Griechenland bewunderte die außerordentliche That, und der Thebanerkönig Kreon, das Verdienſt des Jünglings zu ehren, gab ihm ſeine Tochter Megara zur Schwab, das klaſſ. Alterthum. I. 14

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/235
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/235>, abgerufen am 22.11.2024.