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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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zesten und bequemsten Pfade zur Seligkeit leiten." --
"Elende," erwiederte die Tugend, "wie kannst du etwas
Gutes besitzen? oder welches Vergnügen kennst du, die du
jeder Lust durch Sättigung zuvorkommst? Du ißest, ehe
dich hungert, und trinkest, ehe dich dürstet. Um die Eßlust
zu reizen, suchst du Köche auf, um mit Lust zu trinken,
schaffst du dir kostbare Weine an und des Sommers
gehst du umher und suchest nach Schnee; kein Bett kann
dir weichlich genug seyn, deine Freunde läßest du die
Nächte durchprassen und den besten Theil des Tages ver¬
schlafen: darum hüpfen sie auch sorgenlos und geputzt
durch die Jugend dahin, und schleppen sich mühselig und
im Schmutze durch das Alter, beschämt über das was
sie gethan, und fast erliegend unter der Last dessen, was sie
thun müssen. Und du selbst, obwohl unsterblich, bist gleich¬
wohl von den Göttern verstoßen und von guten Menschen
verachtet. Was dem Ohre am lieblichsten klingt, dein
eigenes Lob, hast du nie gehört; was das Auge mehr
als Alles erfreut, ein eigenes gutes Werk, hast du nie
gesehen. -- Ich hingegen habe mit den Göttern, habe mit
allen guten Menschen Verkehr. An mir haben die Künst¬
ler eine willkommene Gehülfin, an mir die Hausväter
eine treue Wächterin, an mir hat das Gesinde einen
liebreichen Beistand. Ich bin eine redliche Theilnehmerin
an den Geschäften des Friedens, eine zuverläßige Mit¬
kämpferin im Kriege, die treueste Genossin der Freund¬
schaft. Speise, Trank und Schlaf schmeckt meinen Freun¬
den besser als den Trägen. Die Jüngeren freuen sich
des Beifalls der Alten, die Aelteren der Ehre bei den
Jungen; mit Vergnügen erinnern sie sich an ihre frühe¬
ren Handlungen und fühlen sich bei ihrem jetzigen Thun

zeſten und bequemſten Pfade zur Seligkeit leiten.“ —
„Elende,“ erwiederte die Tugend, „wie kannſt du etwas
Gutes beſitzen? oder welches Vergnügen kennſt du, die du
jeder Luſt durch Sättigung zuvorkommſt? Du ißeſt, ehe
dich hungert, und trinkeſt, ehe dich dürſtet. Um die Eßluſt
zu reizen, ſuchſt du Köche auf, um mit Luſt zu trinken,
ſchaffſt du dir koſtbare Weine an und des Sommers
gehſt du umher und ſucheſt nach Schnee; kein Bett kann
dir weichlich genug ſeyn, deine Freunde läßeſt du die
Nächte durchpraſſen und den beſten Theil des Tages ver¬
ſchlafen: darum hüpfen ſie auch ſorgenlos und geputzt
durch die Jugend dahin, und ſchleppen ſich mühſelig und
im Schmutze durch das Alter, beſchämt über das was
ſie gethan, und faſt erliegend unter der Laſt deſſen, was ſie
thun müſſen. Und du ſelbſt, obwohl unſterblich, biſt gleich¬
wohl von den Göttern verſtoßen und von guten Menſchen
verachtet. Was dem Ohre am lieblichſten klingt, dein
eigenes Lob, haſt du nie gehört; was das Auge mehr
als Alles erfreut, ein eigenes gutes Werk, haſt du nie
geſehen. — Ich hingegen habe mit den Göttern, habe mit
allen guten Menſchen Verkehr. An mir haben die Künſt¬
ler eine willkommene Gehülfin, an mir die Hausväter
eine treue Wächterin, an mir hat das Geſinde einen
liebreichen Beiſtand. Ich bin eine redliche Theilnehmerin
an den Geſchäften des Friedens, eine zuverläßige Mit¬
kämpferin im Kriege, die treueſte Genoſſin der Freund¬
ſchaft. Speiſe, Trank und Schlaf ſchmeckt meinen Freun¬
den beſſer als den Trägen. Die Jüngeren freuen ſich
des Beifalls der Alten, die Aelteren der Ehre bei den
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ren Handlungen und fühlen ſich bei ihrem jetzigen Thun

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[207/0233] zeſten und bequemſten Pfade zur Seligkeit leiten.“ — „Elende,“ erwiederte die Tugend, „wie kannſt du etwas Gutes beſitzen? oder welches Vergnügen kennſt du, die du jeder Luſt durch Sättigung zuvorkommſt? Du ißeſt, ehe dich hungert, und trinkeſt, ehe dich dürſtet. Um die Eßluſt zu reizen, ſuchſt du Köche auf, um mit Luſt zu trinken, ſchaffſt du dir koſtbare Weine an und des Sommers gehſt du umher und ſucheſt nach Schnee; kein Bett kann dir weichlich genug ſeyn, deine Freunde läßeſt du die Nächte durchpraſſen und den beſten Theil des Tages ver¬ ſchlafen: darum hüpfen ſie auch ſorgenlos und geputzt durch die Jugend dahin, und ſchleppen ſich mühſelig und im Schmutze durch das Alter, beſchämt über das was ſie gethan, und faſt erliegend unter der Laſt deſſen, was ſie thun müſſen. Und du ſelbſt, obwohl unſterblich, biſt gleich¬ wohl von den Göttern verſtoßen und von guten Menſchen verachtet. Was dem Ohre am lieblichſten klingt, dein eigenes Lob, haſt du nie gehört; was das Auge mehr als Alles erfreut, ein eigenes gutes Werk, haſt du nie geſehen. — Ich hingegen habe mit den Göttern, habe mit allen guten Menſchen Verkehr. An mir haben die Künſt¬ ler eine willkommene Gehülfin, an mir die Hausväter eine treue Wächterin, an mir hat das Geſinde einen liebreichen Beiſtand. Ich bin eine redliche Theilnehmerin an den Geſchäften des Friedens, eine zuverläßige Mit¬ kämpferin im Kriege, die treueſte Genoſſin der Freund¬ ſchaft. Speiſe, Trank und Schlaf ſchmeckt meinen Freun¬ den beſſer als den Trägen. Die Jüngeren freuen ſich des Beifalls der Alten, die Aelteren der Ehre bei den Jungen; mit Vergnügen erinnern ſie ſich an ihre frühe¬ ren Handlungen und fühlen ſich bei ihrem jetzigen Thun

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/233>, abgerufen am 25.11.2024.