Herkules war ein Sohn Jupiters und der Alkmene; Alkmene eine Enkelin des Perseus; der Stiefvater des Herkules hieß Amphitruo, auch er war ein Enkel des Perseus und König von Tirynth, hatte jedoch diese Stadt verlassen, um in Theben zu wohnen. Juno, die Gemah¬ lin Jupiters, haßte ihre Nebenbuhlerin Alkmene und gönnte ihr den Sohn nicht, von dessen Zukunft Jupiter den Göttern selbst Großes verkündet hatte. Als daher Alk¬ mene den Herkules geboren, trug sie ihn, aus Furcht vor der Göttermutter, aus dem Pallaste und setzte ihn an ei¬ nem Platze aus, der noch in späten Zeiten das Herkules¬ feld hieß. Hier wäre das Kind ohne Zweifel verschmach¬ tet, wenn nicht ein wunderbarer Zufall seine Feindin Juno selbst, von Minerva begleitet, des Weges geführt hätte. Minerva betrachtete die schöne Gestalt des Kindes mit Verwunderung, erbarmte sich sein und bewog die Be¬ gleiterin, dem Kleinen ihre göttliche Brust zu reichen. Aber der Knabe sog viel kräftiger an der Brust, als sein Alter erwarten ließ; Juno empfand Schmerzen und warf das Kind unwillig wieder zu Boden. Jetzt hob Minerva dasselbe voll Mitleid wieder auf, trug es in die nahe Stadt und brachte es der Königin Alkmene als ein armes Findelkind, das sie aus Barmherzigkeit aufzu¬ ziehen bat. So war die leibliche Mutter, aus Angst vor
Herkules der Neugeborne.
Herkules war ein Sohn Jupiters und der Alkmene; Alkmene eine Enkelin des Perſeus; der Stiefvater des Herkules hieß Amphitruo, auch er war ein Enkel des Perſeus und König von Tirynth, hatte jedoch dieſe Stadt verlaſſen, um in Theben zu wohnen. Juno, die Gemah¬ lin Jupiters, haßte ihre Nebenbuhlerin Alkmene und gönnte ihr den Sohn nicht, von deſſen Zukunft Jupiter den Göttern ſelbſt Großes verkündet hatte. Als daher Alk¬ mene den Herkules geboren, trug ſie ihn, aus Furcht vor der Göttermutter, aus dem Pallaſte und ſetzte ihn an ei¬ nem Platze aus, der noch in ſpäten Zeiten das Herkules¬ feld hieß. Hier wäre das Kind ohne Zweifel verſchmach¬ tet, wenn nicht ein wunderbarer Zufall ſeine Feindin Juno ſelbſt, von Minerva begleitet, des Weges geführt hätte. Minerva betrachtete die ſchöne Geſtalt des Kindes mit Verwunderung, erbarmte ſich ſein und bewog die Be¬ gleiterin, dem Kleinen ihre göttliche Bruſt zu reichen. Aber der Knabe ſog viel kräftiger an der Bruſt, als ſein Alter erwarten ließ; Juno empfand Schmerzen und warf das Kind unwillig wieder zu Boden. Jetzt hob Minerva daſſelbe voll Mitleid wieder auf, trug es in die nahe Stadt und brachte es der Königin Alkmene als ein armes Findelkind, das ſie aus Barmherzigkeit aufzu¬ ziehen bat. So war die leibliche Mutter, aus Angſt vor
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[[201]/0227]
Herkules der Neugeborne .
Herkules war ein Sohn Jupiters und der Alkmene;
Alkmene eine Enkelin des Perſeus; der Stiefvater des
Herkules hieß Amphitruo, auch er war ein Enkel des
Perſeus und König von Tirynth, hatte jedoch dieſe Stadt
verlaſſen, um in Theben zu wohnen. Juno, die Gemah¬
lin Jupiters, haßte ihre Nebenbuhlerin Alkmene und gönnte
ihr den Sohn nicht, von deſſen Zukunft Jupiter den
Göttern ſelbſt Großes verkündet hatte. Als daher Alk¬
mene den Herkules geboren, trug ſie ihn, aus Furcht vor
der Göttermutter, aus dem Pallaſte und ſetzte ihn an ei¬
nem Platze aus, der noch in ſpäten Zeiten das Herkules¬
feld hieß. Hier wäre das Kind ohne Zweifel verſchmach¬
tet, wenn nicht ein wunderbarer Zufall ſeine Feindin
Juno ſelbſt, von Minerva begleitet, des Weges geführt
hätte. Minerva betrachtete die ſchöne Geſtalt des Kindes
mit Verwunderung, erbarmte ſich ſein und bewog die Be¬
gleiterin, dem Kleinen ihre göttliche Bruſt zu reichen.
Aber der Knabe ſog viel kräftiger an der Bruſt, als
ſein Alter erwarten ließ; Juno empfand Schmerzen und
warf das Kind unwillig wieder zu Boden. Jetzt hob
Minerva daſſelbe voll Mitleid wieder auf, trug es in
die nahe Stadt und brachte es der Königin Alkmene als
ein armes Findelkind, das ſie aus Barmherzigkeit aufzu¬
ziehen bat. So war die leibliche Mutter, aus Angſt vor
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. [201]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/227>, abgerufen am 17.11.2024.
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