in den Boden, der zweite dem Eber mitten in den Rücken. Das Thier fing an zu toben und sich im Kreise zu drehen. Schaum und Blut quoll aus seinem Munde, Meleager versetzte ihm mit dem Jagdspieß eine neue Wunde in den Hals und nun fuhren ihm von allen Seiten die Spieße in den Leib. Der Eber, weit auf der Erde ausgestreckt, wälzte sich sterbend in seinem Blute. Meleager stemmte seinen Fuß auf den Kopf des Getödteten, streifte mit Hülfe seines Schwertes die borstige Hülle seines Rückens vom Leibe des Thieres nieder, und reichte sie mit sammt dem abgehauenen Haupte, aus dem die mächtigen Hauer hervorschimmerten, der tapfern Arkadierin Atalante. "Nimm die Beute hin," sprach er, "die von Rechtswegen mir ge¬ hörte; ein Theil des Ruhmes soll auch auf dich kommen!" Diese Ehre mißgönnten die Jäger dem Weibe, und rings in der Schaar erhob sich ein Gemurmel. Mit geballten Fäusten und lauter Stimme traten vor Atalante die Söhne des Thestius hin, Meleagers Muttersbrüder. "Auf der Stelle," riefen sie, "lege die Beute nieder, Weib, und erschleiche nicht, was uns zugehört; deine Schönheit dürfte dir sonst wenig helfen, und dein verliebter Gaben¬ spender auch nicht!" Mit diesen Worten nahmen sie ihr das Geschenk weg und sprachen dem Helden das Recht ab, darüber zu verfügen. Dieß ertrug Meleager nicht. Vor Jähzorn knirschend schrie er: "Ihr Räuber frem¬ den Verdienstes! lernet von mir, wie weit Drohungen von Thaten verschieden sind!" Und damit stieß er dem einen, und eh der sich besinnen konnte, auch dem andern Oheim den Stahl in die Brust.
Althäa, die Mutter Meleagers, war auf dem Wege nach dem Göttertempel, um Dankopfer für den Sieg
in den Boden, der zweite dem Eber mitten in den Rücken. Das Thier fing an zu toben und ſich im Kreiſe zu drehen. Schaum und Blut quoll aus ſeinem Munde, Meleager verſetzte ihm mit dem Jagdſpieß eine neue Wunde in den Hals und nun fuhren ihm von allen Seiten die Spieße in den Leib. Der Eber, weit auf der Erde ausgeſtreckt, wälzte ſich ſterbend in ſeinem Blute. Meleager ſtemmte ſeinen Fuß auf den Kopf des Getödteten, ſtreifte mit Hülfe ſeines Schwertes die borſtige Hülle ſeines Rückens vom Leibe des Thieres nieder, und reichte ſie mit ſammt dem abgehauenen Haupte, aus dem die mächtigen Hauer hervorſchimmerten, der tapfern Arkadierin Atalante. „Nimm die Beute hin,“ ſprach er, „die von Rechtswegen mir ge¬ hörte; ein Theil des Ruhmes ſoll auch auf dich kommen!“ Dieſe Ehre mißgönnten die Jäger dem Weibe, und rings in der Schaar erhob ſich ein Gemurmel. Mit geballten Fäuſten und lauter Stimme traten vor Atalante die Söhne des Theſtius hin, Meleagers Muttersbrüder. „Auf der Stelle,“ riefen ſie, „lege die Beute nieder, Weib, und erſchleiche nicht, was uns zugehört; deine Schönheit dürfte dir ſonſt wenig helfen, und dein verliebter Gaben¬ ſpender auch nicht!“ Mit dieſen Worten nahmen ſie ihr das Geſchenk weg und ſprachen dem Helden das Recht ab, darüber zu verfügen. Dieß ertrug Meleager nicht. Vor Jähzorn knirſchend ſchrie er: „Ihr Räuber frem¬ den Verdienſtes! lernet von mir, wie weit Drohungen von Thaten verſchieden ſind!“ Und damit ſtieß er dem einen, und eh der ſich beſinnen konnte, auch dem andern Oheim den Stahl in die Bruſt.
Althäa, die Mutter Meleagers, war auf dem Wege nach dem Göttertempel, um Dankopfer für den Sieg
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in den Boden, der zweite dem Eber mitten in den Rücken.
Das Thier fing an zu toben und ſich im Kreiſe zu drehen.
Schaum und Blut quoll aus ſeinem Munde, Meleager
verſetzte ihm mit dem Jagdſpieß eine neue Wunde in den
Hals und nun fuhren ihm von allen Seiten die Spieße
in den Leib. Der Eber, weit auf der Erde ausgeſtreckt,
wälzte ſich ſterbend in ſeinem Blute. Meleager ſtemmte
ſeinen Fuß auf den Kopf des Getödteten, ſtreifte mit
Hülfe ſeines Schwertes die borſtige Hülle ſeines Rückens
vom Leibe des Thieres nieder, und reichte ſie mit ſammt
dem abgehauenen Haupte, aus dem die mächtigen Hauer
hervorſchimmerten, der tapfern Arkadierin Atalante. „Nimm
die Beute hin,“ ſprach er, „die von Rechtswegen mir ge¬
hörte; ein Theil des Ruhmes ſoll auch auf dich kommen!“
Dieſe Ehre mißgönnten die Jäger dem Weibe, und rings
in der Schaar erhob ſich ein Gemurmel. Mit geballten
Fäuſten und lauter Stimme traten vor Atalante die
Söhne des Theſtius hin, Meleagers Muttersbrüder. „Auf
der Stelle,“ riefen ſie, „lege die Beute nieder, Weib, und
erſchleiche nicht, was uns zugehört; deine Schönheit
dürfte dir ſonſt wenig helfen, und dein verliebter Gaben¬
ſpender auch nicht!“ Mit dieſen Worten nahmen ſie ihr
das Geſchenk weg und ſprachen dem Helden das Recht
ab, darüber zu verfügen. Dieß ertrug Meleager nicht.
Vor Jähzorn knirſchend ſchrie er: „Ihr Räuber frem¬
den Verdienſtes! lernet von mir, wie weit Drohungen
von Thaten verſchieden ſind!“ Und damit ſtieß er dem
einen, und eh der ſich beſinnen konnte, auch dem andern
Oheim den Stahl in die Bruſt.
Althäa, die Mutter Meleagers, war auf dem Wege
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/208>, abgerufen am 22.11.2024.
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