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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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tigen Gatten. Inzwischen flammte der verzauberte Kranz
auf ihrem Haupte in Feuer auf; Gift und Flamme zehr¬
ten an ihr in die Wette und als ihr Vater jammernd
herbeigestürzt kam, fand er nur noch den entstellten Leich¬
nam der Tochter. Er warf sich in Verzweiflung auf sie;
von dem Gifte des mörderischen Gewandes ergriffen hat
auch er sein Leben geendet. Von Jason weiß ich nichts."

Die Erzählung dieser Gräuel, statt die Wuth Me¬
deas zu dämpfen, entflammte sie vielmehr; und ganz zur
Furie der Rachsucht geworden, rannte sie fort, ihrem
Gatten und sich selbst den tödtlichsten Schlag zu verse¬
tzen. Sie eilte nach der Kammer, wo ihre Söhne schlie¬
fen, denn die Nacht war herbeigekommen. "Waffne dich
mein Herz," sprach sie unterwegs zu sich selber, "was zö¬
gerst du, das Gräßliche und Nothwendige zu vollbringen?
Vergiß, Unglückliche, daß es deine Kinder sind, daß du
sie geboren hast. Nur diese eine Stunde vergiß es!
Nachher beweine sie dein ganzes Leben lang. Du thust
ihnen selbst einen Dienst. Tödtest du sie nicht, so sterben
sie von einer feindseligen Hand."

Als Jason in sein Haus geflogen kam, die Mörde¬
rin seiner jungen Braut aufzusuchen und sie seiner Rache
zu opfern, scholl ihm das Jammergeschrei seiner Kinder
entgegen, die unter dem Mordstahl bluteten; er trat in
die aufgestoßene Kammer und fand seine Söhne wie
Schuldopfer hingewürgt, Medea aber war nicht zu erbli¬
cken. Als er in Verzweiflung sein Haus verließ, hörte
er in der Luft ein Geräusch über seinem Haupte. Em¬
porschauend ward er hier die fürchterliche Mörderin ge¬
wahr, wie sie auf einem mit Drachen bespannten Wagen,
den ihre Kunst herbeigezaubert hatte, durch die Lüfte da¬

tigen Gatten. Inzwiſchen flammte der verzauberte Kranz
auf ihrem Haupte in Feuer auf; Gift und Flamme zehr¬
ten an ihr in die Wette und als ihr Vater jammernd
herbeigeſtürzt kam, fand er nur noch den entſtellten Leich¬
nam der Tochter. Er warf ſich in Verzweiflung auf ſie;
von dem Gifte des mörderiſchen Gewandes ergriffen hat
auch er ſein Leben geendet. Von Jaſon weiß ich nichts.“

Die Erzählung dieſer Gräuel, ſtatt die Wuth Me¬
deas zu dämpfen, entflammte ſie vielmehr; und ganz zur
Furie der Rachſucht geworden, rannte ſie fort, ihrem
Gatten und ſich ſelbſt den tödtlichſten Schlag zu verſe¬
tzen. Sie eilte nach der Kammer, wo ihre Söhne ſchlie¬
fen, denn die Nacht war herbeigekommen. „Waffne dich
mein Herz,“ ſprach ſie unterwegs zu ſich ſelber, „was zö¬
gerſt du, das Gräßliche und Nothwendige zu vollbringen?
Vergiß, Unglückliche, daß es deine Kinder ſind, daß du
ſie geboren haſt. Nur dieſe eine Stunde vergiß es!
Nachher beweine ſie dein ganzes Leben lang. Du thuſt
ihnen ſelbſt einen Dienſt. Tödteſt du ſie nicht, ſo ſterben
ſie von einer feindſeligen Hand.“

Als Jaſon in ſein Haus geflogen kam, die Mörde¬
rin ſeiner jungen Braut aufzuſuchen und ſie ſeiner Rache
zu opfern, ſcholl ihm das Jammergeſchrei ſeiner Kinder
entgegen, die unter dem Mordſtahl bluteten; er trat in
die aufgeſtoßene Kammer und fand ſeine Söhne wie
Schuldopfer hingewürgt, Medea aber war nicht zu erbli¬
cken. Als er in Verzweiflung ſein Haus verließ, hörte
er in der Luft ein Geräuſch über ſeinem Haupte. Em¬
porſchauend ward er hier die fürchterliche Mörderin ge¬
wahr, wie ſie auf einem mit Drachen beſpannten Wagen,
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[175/0201] tigen Gatten. Inzwiſchen flammte der verzauberte Kranz auf ihrem Haupte in Feuer auf; Gift und Flamme zehr¬ ten an ihr in die Wette und als ihr Vater jammernd herbeigeſtürzt kam, fand er nur noch den entſtellten Leich¬ nam der Tochter. Er warf ſich in Verzweiflung auf ſie; von dem Gifte des mörderiſchen Gewandes ergriffen hat auch er ſein Leben geendet. Von Jaſon weiß ich nichts.“ Die Erzählung dieſer Gräuel, ſtatt die Wuth Me¬ deas zu dämpfen, entflammte ſie vielmehr; und ganz zur Furie der Rachſucht geworden, rannte ſie fort, ihrem Gatten und ſich ſelbſt den tödtlichſten Schlag zu verſe¬ tzen. Sie eilte nach der Kammer, wo ihre Söhne ſchlie¬ fen, denn die Nacht war herbeigekommen. „Waffne dich mein Herz,“ ſprach ſie unterwegs zu ſich ſelber, „was zö¬ gerſt du, das Gräßliche und Nothwendige zu vollbringen? Vergiß, Unglückliche, daß es deine Kinder ſind, daß du ſie geboren haſt. Nur dieſe eine Stunde vergiß es! Nachher beweine ſie dein ganzes Leben lang. Du thuſt ihnen ſelbſt einen Dienſt. Tödteſt du ſie nicht, ſo ſterben ſie von einer feindſeligen Hand.“ Als Jaſon in ſein Haus geflogen kam, die Mörde¬ rin ſeiner jungen Braut aufzuſuchen und ſie ſeiner Rache zu opfern, ſcholl ihm das Jammergeſchrei ſeiner Kinder entgegen, die unter dem Mordſtahl bluteten; er trat in die aufgeſtoßene Kammer und fand ſeine Söhne wie Schuldopfer hingewürgt, Medea aber war nicht zu erbli¬ cken. Als er in Verzweiflung ſein Haus verließ, hörte er in der Luft ein Geräuſch über ſeinem Haupte. Em¬ porſchauend ward er hier die fürchterliche Mörderin ge¬ wahr, wie ſie auf einem mit Drachen beſpannten Wagen, den ihre Kunſt herbeigezaubert hatte, durch die Lüfte da¬

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/201>, abgerufen am 22.11.2024.