Kolchiern die Nachbarn keine Hülfe mehr leisten wollen." So sprach er schmeichelnd und Medea gab ihm den grä߬ lichen Rath: "Höre mich. Ich habe einmal gesündigt und, vom Verhängniß verblendet, Uebles gethan. Rück¬ wärts kann ich nicht mehr, so muß ich vorwärts schrei¬ ten im Frevel. Wehre du im Treffen die Lanzen der Kolchier ab; ich will den Bruder bethören, daß er sich in deine Hände gibt. Du empfange ihn mit einem glän¬ zenden Mahle; kann ich dann die Herolde überreden, daß sie ihn zum Zwiegespräch allein mit mir lassen: als¬ dann -- ich kann nicht widerstreben -- magst du ihn tödten und die Schlacht den Kolchiern liefern." Auf diese Weise legten die Beiden dem Absyrtus einen schwe¬ ren Hinterhalt. Sie sandten ihm viele Gastgeschenke, darunter ein herrliches Purpurkleid, das die Königin von Lemnos dem Jason gegeben hatte, das einst die Huldgöt¬ tinnen selbst dem Gotte Dionysus (Bacchus) gefertiget und das mit himmlischem Dufte getränkt war, seit der nektartrunkene Gott darauf geschlummert hatte. Den Herolden redete die schlaue Jungfrau zu, Absyrtus sollte im Dunkel der Nacht auf die andere Insel zum Dianen¬ tempel kommen; dort wollten sie eine List ausdenken, wie er das goldene Vließ wieder bekäme und es dem Könige, ihrem Vater, zurückbringen könnte; denn sie selbst, so heuchelte sie, sey von den Söhnen des Phrixus mit Gewalt den Fremdlingen überliefert worden. Nachdem sie so die Friedensboten bethört hatte, spritzte sie von ihren Zauberölen in den Wind, so viel, daß ihr Duft auch das wildeste Thier vom höchsten Berge herabzulocken kräftig gewesen wäre. Es geschah, wie sie gewünscht hatte. Absyrtus, durch die heiligsten Versprechungen be¬
Kolchiern die Nachbarn keine Hülfe mehr leiſten wollen.“ So ſprach er ſchmeichelnd und Medea gab ihm den grä߬ lichen Rath: „Höre mich. Ich habe einmal geſündigt und, vom Verhängniß verblendet, Uebles gethan. Rück¬ wärts kann ich nicht mehr, ſo muß ich vorwärts ſchrei¬ ten im Frevel. Wehre du im Treffen die Lanzen der Kolchier ab; ich will den Bruder bethören, daß er ſich in deine Hände gibt. Du empfange ihn mit einem glän¬ zenden Mahle; kann ich dann die Herolde überreden, daß ſie ihn zum Zwiegeſpräch allein mit mir laſſen: als¬ dann — ich kann nicht widerſtreben — magſt du ihn tödten und die Schlacht den Kolchiern liefern.“ Auf dieſe Weiſe legten die Beiden dem Abſyrtus einen ſchwe¬ ren Hinterhalt. Sie ſandten ihm viele Gaſtgeſchenke, darunter ein herrliches Purpurkleid, das die Königin von Lemnos dem Jaſon gegeben hatte, das einſt die Huldgöt¬ tinnen ſelbſt dem Gotte Dionyſus (Bacchus) gefertiget und das mit himmliſchem Dufte getränkt war, ſeit der nektartrunkene Gott darauf geſchlummert hatte. Den Herolden redete die ſchlaue Jungfrau zu, Abſyrtus ſollte im Dunkel der Nacht auf die andere Inſel zum Dianen¬ tempel kommen; dort wollten ſie eine Liſt ausdenken, wie er das goldene Vließ wieder bekäme und es dem Könige, ihrem Vater, zurückbringen könnte; denn ſie ſelbſt, ſo heuchelte ſie, ſey von den Söhnen des Phrixus mit Gewalt den Fremdlingen überliefert worden. Nachdem ſie ſo die Friedensboten bethört hatte, ſpritzte ſie von ihren Zauberölen in den Wind, ſo viel, daß ihr Duft auch das wildeſte Thier vom höchſten Berge herabzulocken kräftig geweſen wäre. Es geſchah, wie ſie gewünſcht hatte. Abſyrtus, durch die heiligſten Verſprechungen be¬
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Kolchiern die Nachbarn keine Hülfe mehr leiſten wollen.“
So ſprach er ſchmeichelnd und Medea gab ihm den grä߬
lichen Rath: „Höre mich. Ich habe einmal geſündigt
und, vom Verhängniß verblendet, Uebles gethan. Rück¬
wärts kann ich nicht mehr, ſo muß ich vorwärts ſchrei¬
ten im Frevel. Wehre du im Treffen die Lanzen der
Kolchier ab; ich will den Bruder bethören, daß er ſich
in deine Hände gibt. Du empfange ihn mit einem glän¬
zenden Mahle; kann ich dann die Herolde überreden,
daß ſie ihn zum Zwiegeſpräch allein mit mir laſſen: als¬
dann — ich kann nicht widerſtreben — magſt du ihn
tödten und die Schlacht den Kolchiern liefern.“ Auf
dieſe Weiſe legten die Beiden dem Abſyrtus einen ſchwe¬
ren Hinterhalt. Sie ſandten ihm viele Gaſtgeſchenke,
darunter ein herrliches Purpurkleid, das die Königin von
Lemnos dem Jaſon gegeben hatte, das einſt die Huldgöt¬
tinnen ſelbſt dem Gotte Dionyſus (Bacchus) gefertiget
und das mit himmliſchem Dufte getränkt war, ſeit der
nektartrunkene Gott darauf geſchlummert hatte. Den
Herolden redete die ſchlaue Jungfrau zu, Abſyrtus ſollte
im Dunkel der Nacht auf die andere Inſel zum Dianen¬
tempel kommen; dort wollten ſie eine Liſt ausdenken,
wie er das goldene Vließ wieder bekäme und es dem
Könige, ihrem Vater, zurückbringen könnte; denn ſie ſelbſt,
ſo heuchelte ſie, ſey von den Söhnen des Phrixus mit
Gewalt den Fremdlingen überliefert worden. Nachdem
ſie ſo die Friedensboten bethört hatte, ſpritzte ſie von
ihren Zauberölen in den Wind, ſo viel, daß ihr Duft
auch das wildeſte Thier vom höchſten Berge herabzulocken
kräftig geweſen wäre. Es geſchah, wie ſie gewünſcht
hatte. Abſyrtus, durch die heiligſten Verſprechungen be¬
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/178>, abgerufen am 24.11.2024.
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