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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

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ben, schon weit auf der hohen See. Fackel und Schild
entsank dem König; er hub die Hände gen Himmel, rief
Jupiter und den Sonnengott zu Zeugen der Uebelthaten
und erklärte grimmig seinen Unterthanen: wenn sie ihm
die Tochter nicht, zu Wasser oder zu Lande ergriffen,
herbeiführen würden, daß er, seines Herzens Gelüste fol¬
gend, Rache üben könnte, so sollten sie es Alle mit ihren
Häuptern büßen. Die erschrockenen Kolchier zogen noch
an demselben Tage ihre Schiffe in die See, spannten die
Segel aus und fuhren hinaus ins Meer; ihre Flotte,
welche des Königes Sohn Absyrtus befehligte, glich einer
unabsehbaren Vogelschaar, welche die Luft verdunkelnd
über die See dahin schwirrt.

In die Segel der Argonauten blies der günstigste
Wind, denn Juno's Wille war es, daß die Kolchierin
Medea so bald als möglich das Verderben in des Pelias
Haus bringen sollte. Schon mit der dritten Morgenröthe
banden sie das Schiff beim Flusse Halys am Ufer der
Paphlagonen an. Hier brachten sie auf Medea's Geheiß
der Göttin Hekate, die sie gerettet hatte, ein Opfer. Da
fiel ihrem Führer und auch andern Helden bei, daß der
alte Wahrsager Phineus ihnen zur Rückfahrt auf einem
neuen Wege gerathen hatte, der Gegenden aber war Kei¬
ner kundig. Nun belehrte sie Argos, der Sohn des Phri¬
xus, der es aus Priesterschriften wußte, daß sie nach dem
Isterflusse steuern sollten, dessen Quellen fern in den
rhipäischen Bergen murmeln und der das Füllhorn sei¬
ner Wasser zur Hälfte ins jonische, zur andern Hälfte
ins sicilische Meer ergießt. Als Argos dieß gerathen,
erschien die breite Himmelsfurche eines Regenbogens in
der Richtung, in welcher sie fahren sollten, und der gün¬

ben, ſchon weit auf der hohen See. Fackel und Schild
entſank dem König; er hub die Hände gen Himmel, rief
Jupiter und den Sonnengott zu Zeugen der Uebelthaten
und erklärte grimmig ſeinen Unterthanen: wenn ſie ihm
die Tochter nicht, zu Waſſer oder zu Lande ergriffen,
herbeiführen würden, daß er, ſeines Herzens Gelüſte fol¬
gend, Rache üben könnte, ſo ſollten ſie es Alle mit ihren
Häuptern büßen. Die erſchrockenen Kolchier zogen noch
an demſelben Tage ihre Schiffe in die See, ſpannten die
Segel aus und fuhren hinaus ins Meer; ihre Flotte,
welche des Königes Sohn Abſyrtus befehligte, glich einer
unabſehbaren Vogelſchaar, welche die Luft verdunkelnd
über die See dahin ſchwirrt.

In die Segel der Argonauten blies der günſtigſte
Wind, denn Juno's Wille war es, daß die Kolchierin
Medea ſo bald als möglich das Verderben in des Pelias
Haus bringen ſollte. Schon mit der dritten Morgenröthe
banden ſie das Schiff beim Fluſſe Halys am Ufer der
Paphlagonen an. Hier brachten ſie auf Medea's Geheiß
der Göttin Hekate, die ſie gerettet hatte, ein Opfer. Da
fiel ihrem Führer und auch andern Helden bei, daß der
alte Wahrſager Phineus ihnen zur Rückfahrt auf einem
neuen Wege gerathen hatte, der Gegenden aber war Kei¬
ner kundig. Nun belehrte ſie Argos, der Sohn des Phri¬
xus, der es aus Prieſterſchriften wußte, daß ſie nach dem
Iſterfluſſe ſteuern ſollten, deſſen Quellen fern in den
rhipäiſchen Bergen murmeln und der das Füllhorn ſei¬
ner Waſſer zur Hälfte ins joniſche, zur andern Hälfte
ins ſiciliſche Meer ergießt. Als Argos dieß gerathen,
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[149/0175] ben, ſchon weit auf der hohen See. Fackel und Schild entſank dem König; er hub die Hände gen Himmel, rief Jupiter und den Sonnengott zu Zeugen der Uebelthaten und erklärte grimmig ſeinen Unterthanen: wenn ſie ihm die Tochter nicht, zu Waſſer oder zu Lande ergriffen, herbeiführen würden, daß er, ſeines Herzens Gelüſte fol¬ gend, Rache üben könnte, ſo ſollten ſie es Alle mit ihren Häuptern büßen. Die erſchrockenen Kolchier zogen noch an demſelben Tage ihre Schiffe in die See, ſpannten die Segel aus und fuhren hinaus ins Meer; ihre Flotte, welche des Königes Sohn Abſyrtus befehligte, glich einer unabſehbaren Vogelſchaar, welche die Luft verdunkelnd über die See dahin ſchwirrt. In die Segel der Argonauten blies der günſtigſte Wind, denn Juno's Wille war es, daß die Kolchierin Medea ſo bald als möglich das Verderben in des Pelias Haus bringen ſollte. Schon mit der dritten Morgenröthe banden ſie das Schiff beim Fluſſe Halys am Ufer der Paphlagonen an. Hier brachten ſie auf Medea's Geheiß der Göttin Hekate, die ſie gerettet hatte, ein Opfer. Da fiel ihrem Führer und auch andern Helden bei, daß der alte Wahrſager Phineus ihnen zur Rückfahrt auf einem neuen Wege gerathen hatte, der Gegenden aber war Kei¬ ner kundig. Nun belehrte ſie Argos, der Sohn des Phri¬ xus, der es aus Prieſterſchriften wußte, daß ſie nach dem Iſterfluſſe ſteuern ſollten, deſſen Quellen fern in den rhipäiſchen Bergen murmeln und der das Füllhorn ſei¬ ner Waſſer zur Hälfte ins joniſche, zur andern Hälfte ins ſiciliſche Meer ergießt. Als Argos dieß gerathen, erſchien die breite Himmelsfurche eines Regenbogens in der Richtung, in welcher ſie fahren ſollten, und der gün¬

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Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/175>, abgerufen am 27.11.2024.