Sohn des Aphareus, erhob sich unwillig von seinem Sitze und sprach: "Bei den Göttern, sind wir als Weiber¬ knechte hierher gekommen, und, anstatt uns an den Mars zu wenden, rufen wir die Venus an? Soll der Anblick von Habichten und Tauben uns vom Kampfe abhalten? Wohl, so vergesset den Krieg und gehet hin, schwache Jungfrauen zu betrügen." So sprach er zornig, viele Helden murrten leise. Aber Jason entschied für Argos, das Schiff ward am Ufer angebunden und die Helden harreten der Rückkehr ihres Boten.
Aeetes hatte unterdessen außerhalb seines Pallastes eine Versammlung der Kolchier gehalten. Er erzählte ihnen von der Ankunft der Fremdlinge, ihrem Begehren und dem Untergang, den er ihnen bereitet hätte. Sobald die Stiere den Führer umgebracht hätten, wollte er einen ganzen Wald ausreißen und das Schiff mit sammt den Männern verbrennen. Auch seinen Enkeln, die diese Abentheurer herbeigeführt hätten, dachte er eine schreck¬ liche Strafe zu.
Mittlerweile ging Argos seine Mutter mit bittenden Worten an, daß sie ihre Schwester Medea zur Beihülfe bereden möchte. Chalciope selbst hatte Mitleid mit den Fremdlingen gefühlt, aber nicht gewagt, dem grimmigen Zorn ihres Vaters entgegenzutreten. So kam ihr die Bitte des Sohns erwünscht und sie versprach ihren Bei¬ stand.
Medea selbst lag in unruhigem Schlummer auf ih¬ rem Lager und sah einen ängstigenden Traum. Ihr war, als hätte der Held sich schon zu dem Kampfe mit den Stieren angeschickt. Er hatte aber diesen Kampf nicht um des goldenen Vließes willen unternommen, sondern
Sohn des Aphareus, erhob ſich unwillig von ſeinem Sitze und ſprach: „Bei den Göttern, ſind wir als Weiber¬ knechte hierher gekommen, und, anſtatt uns an den Mars zu wenden, rufen wir die Venus an? Soll der Anblick von Habichten und Tauben uns vom Kampfe abhalten? Wohl, ſo vergeſſet den Krieg und gehet hin, ſchwache Jungfrauen zu betrügen.“ So ſprach er zornig, viele Helden murrten leiſe. Aber Jaſon entſchied für Argos, das Schiff ward am Ufer angebunden und die Helden harreten der Rückkehr ihres Boten.
Aeetes hatte unterdeſſen außerhalb ſeines Pallaſtes eine Verſammlung der Kolchier gehalten. Er erzählte ihnen von der Ankunft der Fremdlinge, ihrem Begehren und dem Untergang, den er ihnen bereitet hätte. Sobald die Stiere den Führer umgebracht hätten, wollte er einen ganzen Wald ausreißen und das Schiff mit ſammt den Männern verbrennen. Auch ſeinen Enkeln, die dieſe Abentheurer herbeigeführt hätten, dachte er eine ſchreck¬ liche Strafe zu.
Mittlerweile ging Argos ſeine Mutter mit bittenden Worten an, daß ſie ihre Schweſter Medea zur Beihülfe bereden möchte. Chalciope ſelbſt hatte Mitleid mit den Fremdlingen gefühlt, aber nicht gewagt, dem grimmigen Zorn ihres Vaters entgegenzutreten. So kam ihr die Bitte des Sohns erwünſcht und ſie verſprach ihren Bei¬ ſtand.
Medea ſelbſt lag in unruhigem Schlummer auf ih¬ rem Lager und ſah einen ängſtigenden Traum. Ihr war, als hätte der Held ſich ſchon zu dem Kampfe mit den Stieren angeſchickt. Er hatte aber dieſen Kampf nicht um des goldenen Vließes willen unternommen, ſondern
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Sohn des Aphareus, erhob ſich unwillig von ſeinem Sitze
und ſprach: „Bei den Göttern, ſind wir als Weiber¬
knechte hierher gekommen, und, anſtatt uns an den Mars
zu wenden, rufen wir die Venus an? Soll der Anblick
von Habichten und Tauben uns vom Kampfe abhalten?
Wohl, ſo vergeſſet den Krieg und gehet hin, ſchwache
Jungfrauen zu betrügen.“ So ſprach er zornig, viele
Helden murrten leiſe. Aber Jaſon entſchied für Argos,
das Schiff ward am Ufer angebunden und die Helden
harreten der Rückkehr ihres Boten.
Aeetes hatte unterdeſſen außerhalb ſeines Pallaſtes
eine Verſammlung der Kolchier gehalten. Er erzählte
ihnen von der Ankunft der Fremdlinge, ihrem Begehren
und dem Untergang, den er ihnen bereitet hätte. Sobald
die Stiere den Führer umgebracht hätten, wollte er einen
ganzen Wald ausreißen und das Schiff mit ſammt den
Männern verbrennen. Auch ſeinen Enkeln, die dieſe
Abentheurer herbeigeführt hätten, dachte er eine ſchreck¬
liche Strafe zu.
Mittlerweile ging Argos ſeine Mutter mit bittenden
Worten an, daß ſie ihre Schweſter Medea zur Beihülfe
bereden möchte. Chalciope ſelbſt hatte Mitleid mit den
Fremdlingen gefühlt, aber nicht gewagt, dem grimmigen
Zorn ihres Vaters entgegenzutreten. So kam ihr die
Bitte des Sohns erwünſcht und ſie verſprach ihren Bei¬
ſtand.
Medea ſelbſt lag in unruhigem Schlummer auf ih¬
rem Lager und ſah einen ängſtigenden Traum. Ihr
war, als hätte der Held ſich ſchon zu dem Kampfe mit
den Stieren angeſchickt. Er hatte aber dieſen Kampf nicht
um des goldenen Vließes willen unternommen, ſondern
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/154>, abgerufen am 24.11.2024.
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