er soll der Sohn des Sonnengottes und deswegen mit übermenschlicher Macht begabt seyn; unzählige Kolcher¬ stämme beherrscht er, und das Vließ hütet ein entsetzli¬ cher Drache." Manche der Helden wurden bei diesem Berichte bleich. Peleus jedoch, einer von ihnen, erhub sich und sprach: "Glaube nicht, daß wir dem Kolcher¬ könige unterliegen müssen; auch wir sind Göttersöhne! Giebt er uns das Vließ nicht in Güte, so werden wir es ihm seinen Kolchiern zum Trotz entreissen!" So sprachen sie mit einander noch länger beim reichlichen Mahle. Am andern Morgen schifften sich die Söhne des Phrixus, gekleidet und gestärkt, mit ihnen ein, und die Fahrt ging vorüber. Nachdem sie einen Tag und eine Nacht gerudert, sahen sie die Spitzen des Kaukasusgebir¬ ges über die Meeresfläche hervorragen. Als es schon dunkelte, hörten sie ein Geräusch über ihren Häuptern: es war der Adler des Prometheus, der seinem Fraß ent¬ gegen hoch über das Schiff dahin flog; und doch war sein Flügelschlag so mächtig, daß alle Segel von ihm wie im Winde sich bewegten. Denn es war ein Riesenvogel und er schlug die Luft mit seinen Flügeln wie mit großen Segeln. Bald darauf hörten sie aus der Ferne das tiefe Stöhnen des Prometheus, in dessen Leber der Vogel schon wühlte. Nach einiger Zeit verhallten die Seufzer und sie sahen den Adler wieder hoch über sich durch die Lüfte zurückrudern.
Noch in derselben Nacht gelangten sie ans Ziel und in die Mündung des Flusses Phasis. Freudig kletterten sie an den Segelstangen empor und tackelten das Schiff ab; dann trieben sie es mit den Rudern in das breite Bett des Stromes, dessen Wellen vor der gewaltigen
er ſoll der Sohn des Sonnengottes und deswegen mit übermenſchlicher Macht begabt ſeyn; unzählige Kolcher¬ ſtämme beherrſcht er, und das Vließ hütet ein entſetzli¬ cher Drache.“ Manche der Helden wurden bei dieſem Berichte bleich. Peleus jedoch, einer von ihnen, erhub ſich und ſprach: „Glaube nicht, daß wir dem Kolcher¬ könige unterliegen müſſen; auch wir ſind Götterſöhne! Giebt er uns das Vließ nicht in Güte, ſo werden wir es ihm ſeinen Kolchiern zum Trotz entreiſſen!“ So ſprachen ſie mit einander noch länger beim reichlichen Mahle. Am andern Morgen ſchifften ſich die Söhne des Phrixus, gekleidet und geſtärkt, mit ihnen ein, und die Fahrt ging vorüber. Nachdem ſie einen Tag und eine Nacht gerudert, ſahen ſie die Spitzen des Kaukaſusgebir¬ ges über die Meeresfläche hervorragen. Als es ſchon dunkelte, hörten ſie ein Geräuſch über ihren Häuptern: es war der Adler des Prometheus, der ſeinem Fraß ent¬ gegen hoch über das Schiff dahin flog; und doch war ſein Flügelſchlag ſo mächtig, daß alle Segel von ihm wie im Winde ſich bewegten. Denn es war ein Rieſenvogel und er ſchlug die Luft mit ſeinen Flügeln wie mit großen Segeln. Bald darauf hörten ſie aus der Ferne das tiefe Stöhnen des Prometheus, in deſſen Leber der Vogel ſchon wühlte. Nach einiger Zeit verhallten die Seufzer und ſie ſahen den Adler wieder hoch über ſich durch die Lüfte zurückrudern.
Noch in derſelben Nacht gelangten ſie ans Ziel und in die Mündung des Fluſſes Phaſis. Freudig kletterten ſie an den Segelſtangen empor und tackelten das Schiff ab; dann trieben ſie es mit den Rudern in das breite Bett des Stromes, deſſen Wellen vor der gewaltigen
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er ſoll der Sohn des Sonnengottes und deswegen mit
übermenſchlicher Macht begabt ſeyn; unzählige Kolcher¬
ſtämme beherrſcht er, und das Vließ hütet ein entſetzli¬
cher Drache.“ Manche der Helden wurden bei dieſem
Berichte bleich. Peleus jedoch, einer von ihnen, erhub
ſich und ſprach: „Glaube nicht, daß wir dem Kolcher¬
könige unterliegen müſſen; auch wir ſind Götterſöhne!
Giebt er uns das Vließ nicht in Güte, ſo werden wir
es ihm ſeinen Kolchiern zum Trotz entreiſſen!“ So
ſprachen ſie mit einander noch länger beim reichlichen
Mahle. Am andern Morgen ſchifften ſich die Söhne des
Phrixus, gekleidet und geſtärkt, mit ihnen ein, und die
Fahrt ging vorüber. Nachdem ſie einen Tag und eine
Nacht gerudert, ſahen ſie die Spitzen des Kaukaſusgebir¬
ges über die Meeresfläche hervorragen. Als es ſchon
dunkelte, hörten ſie ein Geräuſch über ihren Häuptern:
es war der Adler des Prometheus, der ſeinem Fraß ent¬
gegen hoch über das Schiff dahin flog; und doch war ſein
Flügelſchlag ſo mächtig, daß alle Segel von ihm wie im
Winde ſich bewegten. Denn es war ein Rieſenvogel und
er ſchlug die Luft mit ſeinen Flügeln wie mit großen
Segeln. Bald darauf hörten ſie aus der Ferne das tiefe
Stöhnen des Prometheus, in deſſen Leber der Vogel ſchon
wühlte. Nach einiger Zeit verhallten die Seufzer und
ſie ſahen den Adler wieder hoch über ſich durch die Lüfte
zurückrudern.
Noch in derſelben Nacht gelangten ſie ans Ziel und
in die Mündung des Fluſſes Phaſis. Freudig kletterten
ſie an den Segelſtangen empor und tackelten das Schiff
ab; dann trieben ſie es mit den Rudern in das breite
Bett des Stromes, deſſen Wellen vor der gewaltigen
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/144>, abgerufen am 24.11.2024.
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