Nacht über auf die Rückkehr der Boreassöhne warteten, theilte ihnen der alte König Phineus zum Danke von den Früchten seiner Wahrsagergabe mit. Vor allen Din¬ gen, lautete seine Rede, werdet ihr in einem Engpasse des Meeres die Symplegaden begegnen; dies sind zwei steile Felseninseln, deren unterste Wurzeln nicht bis zum Meeresboden reichen, sondern die in der See schwim¬ men; oft treiben sie einander entgegen, und dann schwillt die Meeresflut in der Mitte mit fürchterlichem Toben an. Wollet ihr nicht mit Mann und Maus zerquetscht werden, so rudert zwischen ihnen durch, so schnell wie eine Taube fliegt. Dann werdet ihr ans Gestade der Mariandyner kommen, wo der Eingang zur Unterwelt ist. An vielen andern Vorgebirgen, Flüssen und Küsten fahret ihr dann vorüber, an Frauenstädten der Amazo¬ nen, am Lande der Chalyber, die in ihres Angesichtes Schweiß das Eisen aus der Erde graben. Endlich wer¬ det ihr zur Kolchischen Küste gelangen, wo der Phasis seinen breiten Strudel ins Meer sendet. Hier werdet ihr die gethürmte Burg des Königes Aeetes erblicken; hier hütet der schlaflose Drache das Goldvließ, das über dem Wipfel des Eichbaums ausgebreitet hängt.
Die Helden hörten dem Greise nicht ohne Grauen zu und wollten eben weiter fragen, als sich die Söhne des Boreas aus den Lüften in ihre Mitte herniedersenk¬ ten und den König mit der tröstlichen Botschaft der Iris erfreuten.
Nacht über auf die Rückkehr der Boreasſöhne warteten, theilte ihnen der alte König Phineus zum Danke von den Früchten ſeiner Wahrſagergabe mit. Vor allen Din¬ gen, lautete ſeine Rede, werdet ihr in einem Engpaſſe des Meeres die Symplegaden begegnen; dies ſind zwei ſteile Felſeninſeln, deren unterſte Wurzeln nicht bis zum Meeresboden reichen, ſondern die in der See ſchwim¬ men; oft treiben ſie einander entgegen, und dann ſchwillt die Meeresflut in der Mitte mit fürchterlichem Toben an. Wollet ihr nicht mit Mann und Maus zerquetſcht werden, ſo rudert zwiſchen ihnen durch, ſo ſchnell wie eine Taube fliegt. Dann werdet ihr ans Geſtade der Mariandyner kommen, wo der Eingang zur Unterwelt iſt. An vielen andern Vorgebirgen, Flüſſen und Küſten fahret ihr dann vorüber, an Frauenſtädten der Amazo¬ nen, am Lande der Chalyber, die in ihres Angeſichtes Schweiß das Eiſen aus der Erde graben. Endlich wer¬ det ihr zur Kolchiſchen Küſte gelangen, wo der Phaſis ſeinen breiten Strudel ins Meer ſendet. Hier werdet ihr die gethürmte Burg des Königes Aeetes erblicken; hier hütet der ſchlafloſe Drache das Goldvließ, das über dem Wipfel des Eichbaums ausgebreitet hängt.
Die Helden hörten dem Greiſe nicht ohne Grauen zu und wollten eben weiter fragen, als ſich die Söhne des Boreas aus den Lüften in ihre Mitte herniederſenk¬ ten und den König mit der tröſtlichen Botſchaft der Iris erfreuten.
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Nacht über auf die Rückkehr der Boreasſöhne warteten,
theilte ihnen der alte König Phineus zum Danke von
den Früchten ſeiner Wahrſagergabe mit. Vor allen Din¬
gen, lautete ſeine Rede, werdet ihr in einem Engpaſſe
des Meeres die Symplegaden begegnen; dies ſind zwei
ſteile Felſeninſeln, deren unterſte Wurzeln nicht bis zum
Meeresboden reichen, ſondern die in der See ſchwim¬
men; oft treiben ſie einander entgegen, und dann ſchwillt
die Meeresflut in der Mitte mit fürchterlichem Toben
an. Wollet ihr nicht mit Mann und Maus zerquetſcht
werden, ſo rudert zwiſchen ihnen durch, ſo ſchnell wie
eine Taube fliegt. Dann werdet ihr ans Geſtade der
Mariandyner kommen, wo der Eingang zur Unterwelt
iſt. An vielen andern Vorgebirgen, Flüſſen und Küſten
fahret ihr dann vorüber, an Frauenſtädten der Amazo¬
nen, am Lande der Chalyber, die in ihres Angeſichtes
Schweiß das Eiſen aus der Erde graben. Endlich wer¬
det ihr zur Kolchiſchen Küſte gelangen, wo der Phaſis
ſeinen breiten Strudel ins Meer ſendet. Hier werdet
ihr die gethürmte Burg des Königes Aeetes erblicken;
hier hütet der ſchlafloſe Drache das Goldvließ, das über
dem Wipfel des Eichbaums ausgebreitet hängt.
Die Helden hörten dem Greiſe nicht ohne Grauen
zu und wollten eben weiter fragen, als ſich die Söhne
des Boreas aus den Lüften in ihre Mitte herniederſenk¬
ten und den König mit der tröſtlichen Botſchaft der Iris
erfreuten.
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Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/137>, abgerufen am 27.11.2024.
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