Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

einen treulosen Ehebrecher und ließ sich von seinem Eifer
so weit verleiten, daß er ihr das Anerbieten machte, den
Bastard, der das Erbe der Erechthiden unrechtmäßiger¬
weise an sich bringen würde, aus dem Wege zu räumen.
Kreusa glaubte sich von ihrem Gatten und von ihrem
früheren Geliebten, dem Gott Apollo, verlassen, und
betäubt von ihrem Kummer, lieh sie den frevelhaften
Anschlägen des Greisen allmählig ihr Ohr und machte
ihn auch zum Vertrauten ihres Verhältnißes zu dem
Gott.

Als Xuthus mit Ion, in welchem er unbegreiflicher¬
weise einen Sohn gefunden zu haben meinte, den Tempel
des Gottes verlassen hatte, begab er sich mit ihm nach
dem doppelten Gipfel des Berges Parnassus, wo der Gott
Bacchus nicht weniger heilig, als Apollo selbst, von
den Delphiern verehrt und mit seinem wilden Orgien¬
dienste von den Frauen gefeiert wird. Nachdem er hier
ein Trankopfer ausgegossen zum Danke für den gefunde¬
nen Sohn, errichtete Ion im Freien mit Hülfe der Die¬
ner, die ihn begleitet hatten, ein herrliches und geräumi¬
ges Zelt, das er mit schön gewirkten Teppichen bedeckte,
die er aus Apollo's Tempel hatte herbeischaffen lassen.
In dem Zelte wurden lange Tafeln ausgestellt und mit
silbernen Schüsseln voll köstlicher Speisen und goldenen
Bechern voll des edelsten Weines, belastet, dann sandte
der Athener Xuthus seinen Herold in die Stadt Delphi
und lud sämmtliche Einwohner ein, an seiner Freude Theil
zu nehmen. Bald füllte sich das große Zelt mit bekränz¬
ten Gästen und sie tafelten in Herrlichkeit und Freude.
Beim Nachtische trat ein alter Mann, dessen sonderbare
Gebärden den Gästen zur Belustigung dienten, mitten in

einen treuloſen Ehebrecher und ließ ſich von ſeinem Eifer
ſo weit verleiten, daß er ihr das Anerbieten machte, den
Baſtard, der das Erbe der Erechthiden unrechtmäßiger¬
weiſe an ſich bringen würde, aus dem Wege zu räumen.
Krëuſa glaubte ſich von ihrem Gatten und von ihrem
früheren Geliebten, dem Gott Apollo, verlaſſen, und
betäubt von ihrem Kummer, lieh ſie den frevelhaften
Anſchlägen des Greiſen allmählig ihr Ohr und machte
ihn auch zum Vertrauten ihres Verhältnißes zu dem
Gott.

Als Xuthus mit Ion, in welchem er unbegreiflicher¬
weiſe einen Sohn gefunden zu haben meinte, den Tempel
des Gottes verlaſſen hatte, begab er ſich mit ihm nach
dem doppelten Gipfel des Berges Parnaſſus, wo der Gott
Bacchus nicht weniger heilig, als Apollo ſelbſt, von
den Delphiern verehrt und mit ſeinem wilden Orgien¬
dienſte von den Frauen gefeiert wird. Nachdem er hier
ein Trankopfer ausgegoſſen zum Danke für den gefunde¬
nen Sohn, errichtete Ion im Freien mit Hülfe der Die¬
ner, die ihn begleitet hatten, ein herrliches und geräumi¬
ges Zelt, das er mit ſchön gewirkten Teppichen bedeckte,
die er aus Apollo's Tempel hatte herbeiſchaffen laſſen.
In dem Zelte wurden lange Tafeln ausgeſtellt und mit
ſilbernen Schüſſeln voll köſtlicher Speiſen und goldenen
Bechern voll des edelſten Weines, belaſtet, dann ſandte
der Athener Xuthus ſeinen Herold in die Stadt Delphi
und lud ſämmtliche Einwohner ein, an ſeiner Freude Theil
zu nehmen. Bald füllte ſich das große Zelt mit bekränz¬
ten Gäſten und ſie tafelten in Herrlichkeit und Freude.
Beim Nachtiſche trat ein alter Mann, deſſen ſonderbare
Gebärden den Gäſten zur Beluſtigung dienten, mitten in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0101" n="75"/>
einen treulo&#x017F;en Ehebrecher und ließ &#x017F;ich von &#x017F;einem Eifer<lb/>
&#x017F;o weit verleiten, daß er ihr das Anerbieten machte, den<lb/>
Ba&#x017F;tard, der das Erbe der Erechthiden unrechtmäßiger¬<lb/>
wei&#x017F;e an &#x017F;ich bringen würde, aus dem Wege zu räumen.<lb/>
Kr<hi rendition="#aq">ë</hi>u&#x017F;a glaubte &#x017F;ich von ihrem Gatten und von ihrem<lb/>
früheren Geliebten, dem Gott Apollo, verla&#x017F;&#x017F;en, und<lb/>
betäubt von ihrem Kummer, lieh &#x017F;ie den frevelhaften<lb/>
An&#x017F;chlägen des Grei&#x017F;en allmählig ihr Ohr und machte<lb/>
ihn auch zum Vertrauten ihres Verhältnißes zu dem<lb/>
Gott.</p><lb/>
          <p>Als Xuthus mit Ion, in welchem er unbegreiflicher¬<lb/>
wei&#x017F;e einen Sohn gefunden zu haben meinte, den Tempel<lb/>
des Gottes verla&#x017F;&#x017F;en hatte, begab er &#x017F;ich mit ihm nach<lb/>
dem doppelten Gipfel des Berges Parna&#x017F;&#x017F;us, wo der Gott<lb/>
Bacchus nicht weniger heilig, als Apollo &#x017F;elb&#x017F;t, von<lb/>
den Delphiern verehrt und mit &#x017F;einem wilden Orgien¬<lb/>
dien&#x017F;te von den Frauen gefeiert wird. Nachdem er hier<lb/>
ein Trankopfer ausgego&#x017F;&#x017F;en zum Danke für den gefunde¬<lb/>
nen Sohn, errichtete Ion im Freien mit Hülfe der Die¬<lb/>
ner, die ihn begleitet hatten, ein herrliches und geräumi¬<lb/>
ges Zelt, das er mit &#x017F;chön gewirkten Teppichen bedeckte,<lb/>
die er aus Apollo's Tempel hatte herbei&#x017F;chaffen la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
In dem Zelte wurden lange Tafeln ausge&#x017F;tellt und mit<lb/>
&#x017F;ilbernen Schü&#x017F;&#x017F;eln voll kö&#x017F;tlicher Spei&#x017F;en und goldenen<lb/>
Bechern voll des edel&#x017F;ten Weines, bela&#x017F;tet, dann &#x017F;andte<lb/>
der Athener Xuthus &#x017F;einen Herold in die Stadt Delphi<lb/>
und lud &#x017F;ämmtliche Einwohner ein, an &#x017F;einer Freude Theil<lb/>
zu nehmen. Bald füllte &#x017F;ich das große Zelt mit bekränz¬<lb/>
ten Gä&#x017F;ten und &#x017F;ie tafelten in Herrlichkeit und Freude.<lb/>
Beim Nachti&#x017F;che trat ein alter Mann, de&#x017F;&#x017F;en &#x017F;onderbare<lb/>
Gebärden den Gä&#x017F;ten zur Belu&#x017F;tigung dienten, mitten in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[75/0101] einen treuloſen Ehebrecher und ließ ſich von ſeinem Eifer ſo weit verleiten, daß er ihr das Anerbieten machte, den Baſtard, der das Erbe der Erechthiden unrechtmäßiger¬ weiſe an ſich bringen würde, aus dem Wege zu räumen. Krëuſa glaubte ſich von ihrem Gatten und von ihrem früheren Geliebten, dem Gott Apollo, verlaſſen, und betäubt von ihrem Kummer, lieh ſie den frevelhaften Anſchlägen des Greiſen allmählig ihr Ohr und machte ihn auch zum Vertrauten ihres Verhältnißes zu dem Gott. Als Xuthus mit Ion, in welchem er unbegreiflicher¬ weiſe einen Sohn gefunden zu haben meinte, den Tempel des Gottes verlaſſen hatte, begab er ſich mit ihm nach dem doppelten Gipfel des Berges Parnaſſus, wo der Gott Bacchus nicht weniger heilig, als Apollo ſelbſt, von den Delphiern verehrt und mit ſeinem wilden Orgien¬ dienſte von den Frauen gefeiert wird. Nachdem er hier ein Trankopfer ausgegoſſen zum Danke für den gefunde¬ nen Sohn, errichtete Ion im Freien mit Hülfe der Die¬ ner, die ihn begleitet hatten, ein herrliches und geräumi¬ ges Zelt, das er mit ſchön gewirkten Teppichen bedeckte, die er aus Apollo's Tempel hatte herbeiſchaffen laſſen. In dem Zelte wurden lange Tafeln ausgeſtellt und mit ſilbernen Schüſſeln voll köſtlicher Speiſen und goldenen Bechern voll des edelſten Weines, belaſtet, dann ſandte der Athener Xuthus ſeinen Herold in die Stadt Delphi und lud ſämmtliche Einwohner ein, an ſeiner Freude Theil zu nehmen. Bald füllte ſich das große Zelt mit bekränz¬ ten Gäſten und ſie tafelten in Herrlichkeit und Freude. Beim Nachtiſche trat ein alter Mann, deſſen ſonderbare Gebärden den Gäſten zur Beluſtigung dienten, mitten in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/101
Zitationshilfe: Schwab, Gustav: Die schönsten Sagen des klassischen Alterthums. Bd. 1. Stuttgart, 1838, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schwab_sagen01_1838/101>, abgerufen am 25.11.2024.