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Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663].

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Selb-gespräch.
Erde gebogenem Gesicht/ außgestreckten Armen/ zusammen gefalte-
nen Händen/ flehentlichen Geberden und zerknirschtem Geist für dein
H. Angesicht getreten/ und habe meine Seufftzen/ so ich dir vorzutra-
gen mir vorgenommen/ kaum außschütten können. Ach mein HErr!
ich habe mehr gesündiget/ als ich dir bekennen kan: du kanst aber auch
mehr verzeihen/ als ich übertreten. Warumb wollest du dann dich we-
gern/ meine Seele auß dieser Dienstbarkeit herauß zu reissen? Was
were sonst deine Barmhertzigkeit/ wann ich kein Sünder were? Sin-
temaln/ wo keine Sünde ist/ da kan auch deine Barmhertzigkeit keine
statt haben; nicht darumb/ daß jene so groß/ sondern daß diese so über-
schwenglich ist. Weist du dann nicht/ O du getreuer Hirt/ daß ich auch
unter deine Schaafe gehöre? Jch bin zwar sehr in der Jrre gegan-
gen/ und habe wol verdienet/ daß du dich meiner nichts annehmest.
Du wirst aber nicht zugeben/ daß meine Boßheit deine Gütigkeit
übertreffe/ dann ob ich schon ein verirrtes und nichtswerthes Schaaf
bin/ so bist und bleibest du doch der rechte gute und getreue Hirt. Was
Gewin wirst du daran haben/ wann ich solte verloren haben? Wann
du mich aber suchest/ heylest und erhältest/ so wird der Gewin zu-
gleich dein und mein seyn. Woltestu dann solches dir noch mir nicht
gönnen? Alles/ womit ich Abtrünniger dich erzürnet/ das kommet ei-
nig und allein von mir her: diesen Sinn aber/ wodurch ich meinen
Jrrthumb erkenne und bereue/ habe ich von dir. Wollest demnach die-
sen geringen Anfang der Busse dir gefallen lassen/ und meine Hoff-
nung und Glauben also vermehren/ daß sie mir beyde den Weg zu dir
bahnen mögen: daß ich dich suche/ biß ich dich finde: nach dir je mehr
und mehr Verlangen trage/ biß ich dich sehen werde/ und du mich von
dieser Erden zu dir in den Himmel auffnehmen wirst/ da der höchste
Friede herrschet/ und ewige Ruhe zu finden ist.

Aber/ was mag es doch wol seyn/ das mich von dieser Betrachtung
unvermerckt abführet? Jn dem bey dieser Morgenstunde der Hirt
seine Heerde auff die liebliche Auen treibet/ in sein Horn bläset/ und
bey solchem Thon seines armseligen geringen Standes vergisset:
Wann er mit Lust siehet/ wie der geile Bock auff der Weyde hin und
wider springet/ und die außgemolckene Kühe ihre Euter wider voll
machen: Wann er sich auff seinen Hirtenstab lehnet/ und nach dem-
selbigen kein Verlangen träget/ was er nicht hat; so erneueren sich in
dessen meine Sorgen/ und schwebe ich zwischen Forcht und Hoffnung
in lauter eyteln Gedancken. Jch erinnere mich anjetzo deß Psalmens/
worinne der Königliche Prophet David seines Staats Beschaffen-
heit beschreibet/ und in solche Wort außbricht: O daß ich Taubenflü-
gel hätte/ daß ich flöge/ und etwo bliebe! Warumb wünschet ihme der
heilige Mann die Flügel einer einfältigen Tauben/ nicht aber eines

mächti-
N n n

Selb-geſpraͤch.
Erde gebogenem Geſicht/ außgeſtreckten Armen/ zuſammen gefalte-
nen Haͤnden/ flehentlichen Geberden und zerknirſchtem Geiſt fuͤr dein
H. Angeſicht getreten/ und habe meine Seufftzen/ ſo ich dir vorzutra-
gen mir vorgenommen/ kaum außſchuͤtten koͤnnen. Ach mein HErꝛ!
ich habe mehr geſuͤndiget/ als ich dir bekennen kan: du kanſt aber auch
mehr verzeihen/ als ich uͤbertreten. Warumb wolleſt du dann dich we-
gern/ meine Seele auß dieſer Dienſtbarkeit herauß zu reiſſen? Was
were ſonſt deine Barmhertzigkeit/ wann ich kein Suͤnder were? Sin-
temaln/ wo keine Suͤnde iſt/ da kan auch deine Barmhertzigkeit keine
ſtatt haben; nicht darumb/ daß jene ſo groß/ ſondern daß dieſe ſo uͤber-
ſchwenglich iſt. Weiſt du dann nicht/ O du getreuer Hirt/ daß ich auch
unter deine Schaafe gehoͤre? Jch bin zwar ſehr in der Jrre gegan-
gen/ und habe wol verdienet/ daß du dich meiner nichts annehmeſt.
Du wirſt aber nicht zugeben/ daß meine Boßheit deine Guͤtigkeit
uͤbertreffe/ dann ob ich ſchon ein verirꝛtes und nichtswerthes Schaaf
bin/ ſo biſt und bleibeſt du doch der rechte gute und getreue Hirt. Was
Gewin wirſt du daran haben/ wann ich ſolte verloren haben? Wann
du mich aber ſucheſt/ heyleſt und erhaͤlteſt/ ſo wird der Gewin zu-
gleich dein und mein ſeyn. Wolteſtu dann ſolches dir noch mir nicht
goͤnnen? Alles/ womit ich Abtruͤnniger dich erzuͤrnet/ das kommet ei-
nig und allein von mir her: dieſen Sinn aber/ wodurch ich meinen
Jrꝛthumb erkenne und bereue/ habe ich von dir. Wolleſt demnach die-
ſen geringen Anfang der Buſſe dir gefallen laſſen/ und meine Hoff-
nung und Glauben alſo vermehren/ daß ſie mir beyde den Weg zu dir
bahnen moͤgen: daß ich dich ſuche/ biß ich dich finde: nach dir je mehr
und mehr Verlangen trage/ biß ich dich ſehen werde/ und du mich von
dieſer Erden zu dir in den Himmel auffnehmen wirſt/ da der hoͤchſte
Friede herꝛſchet/ und ewige Ruhe zu finden iſt.

Aber/ was mag es doch wol ſeyn/ das mich von dieſer Betrachtung
unvermerckt abfuͤhret? Jn dem bey dieſer Morgenſtunde der Hirt
ſeine Heerde auff die liebliche Auen treibet/ in ſein Horn blaͤſet/ und
bey ſolchem Thon ſeines armſeligen geringen Standes vergiſſet:
Wann er mit Luſt ſiehet/ wie der geile Bock auff der Weyde hin und
wider ſpringet/ und die außgemolckene Kuͤhe ihre Euter wider voll
machen: Wann er ſich auff ſeinen Hirtenſtab lehnet/ und nach dem-
ſelbigen kein Verlangen traͤget/ was er nicht hat; ſo erneueren ſich in
deſſen meine Sorgen/ und ſchwebe ich zwiſchen Forcht und Hoffnung
in lauter eyteln Gedancken. Jch erinnere mich anjetzo deß Pſalmens/
worinne der Koͤnigliche Prophet David ſeines Staats Beſchaffen-
heit beſchreibet/ und in ſolche Wort außbricht: O daß ich Taubenfluͤ-
gel haͤtte/ daß ich floͤge/ und etwo bliebe! Warumb wuͤnſchet ihme der
heilige Mann die Fluͤgel einer einfaͤltigen Tauben/ nicht aber eines

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[929/0971] Selb-geſpraͤch. Erde gebogenem Geſicht/ außgeſtreckten Armen/ zuſammen gefalte- nen Haͤnden/ flehentlichen Geberden und zerknirſchtem Geiſt fuͤr dein H. Angeſicht getreten/ und habe meine Seufftzen/ ſo ich dir vorzutra- gen mir vorgenommen/ kaum außſchuͤtten koͤnnen. Ach mein HErꝛ! ich habe mehr geſuͤndiget/ als ich dir bekennen kan: du kanſt aber auch mehr verzeihen/ als ich uͤbertreten. Warumb wolleſt du dann dich we- gern/ meine Seele auß dieſer Dienſtbarkeit herauß zu reiſſen? Was were ſonſt deine Barmhertzigkeit/ wann ich kein Suͤnder were? Sin- temaln/ wo keine Suͤnde iſt/ da kan auch deine Barmhertzigkeit keine ſtatt haben; nicht darumb/ daß jene ſo groß/ ſondern daß dieſe ſo uͤber- ſchwenglich iſt. Weiſt du dann nicht/ O du getreuer Hirt/ daß ich auch unter deine Schaafe gehoͤre? Jch bin zwar ſehr in der Jrre gegan- gen/ und habe wol verdienet/ daß du dich meiner nichts annehmeſt. Du wirſt aber nicht zugeben/ daß meine Boßheit deine Guͤtigkeit uͤbertreffe/ dann ob ich ſchon ein verirꝛtes und nichtswerthes Schaaf bin/ ſo biſt und bleibeſt du doch der rechte gute und getreue Hirt. Was Gewin wirſt du daran haben/ wann ich ſolte verloren haben? Wann du mich aber ſucheſt/ heyleſt und erhaͤlteſt/ ſo wird der Gewin zu- gleich dein und mein ſeyn. Wolteſtu dann ſolches dir noch mir nicht goͤnnen? Alles/ womit ich Abtruͤnniger dich erzuͤrnet/ das kommet ei- nig und allein von mir her: dieſen Sinn aber/ wodurch ich meinen Jrꝛthumb erkenne und bereue/ habe ich von dir. Wolleſt demnach die- ſen geringen Anfang der Buſſe dir gefallen laſſen/ und meine Hoff- nung und Glauben alſo vermehren/ daß ſie mir beyde den Weg zu dir bahnen moͤgen: daß ich dich ſuche/ biß ich dich finde: nach dir je mehr und mehr Verlangen trage/ biß ich dich ſehen werde/ und du mich von dieſer Erden zu dir in den Himmel auffnehmen wirſt/ da der hoͤchſte Friede herꝛſchet/ und ewige Ruhe zu finden iſt. Aber/ was mag es doch wol ſeyn/ das mich von dieſer Betrachtung unvermerckt abfuͤhret? Jn dem bey dieſer Morgenſtunde der Hirt ſeine Heerde auff die liebliche Auen treibet/ in ſein Horn blaͤſet/ und bey ſolchem Thon ſeines armſeligen geringen Standes vergiſſet: Wann er mit Luſt ſiehet/ wie der geile Bock auff der Weyde hin und wider ſpringet/ und die außgemolckene Kuͤhe ihre Euter wider voll machen: Wann er ſich auff ſeinen Hirtenſtab lehnet/ und nach dem- ſelbigen kein Verlangen traͤget/ was er nicht hat; ſo erneueren ſich in deſſen meine Sorgen/ und ſchwebe ich zwiſchen Forcht und Hoffnung in lauter eyteln Gedancken. Jch erinnere mich anjetzo deß Pſalmens/ worinne der Koͤnigliche Prophet David ſeines Staats Beſchaffen- heit beſchreibet/ und in ſolche Wort außbricht: O daß ich Taubenfluͤ- gel haͤtte/ daß ich floͤge/ und etwo bliebe! Warumb wuͤnſchet ihme der heilige Mann die Fluͤgel einer einfaͤltigen Tauben/ nicht aber eines maͤchti- N n n

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Zitationshilfe: Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663], S. 929. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schupp_schriften_1663/971>, abgerufen am 25.11.2024.