Schupp, Johann Balthasar: Schrifften. Hrsg. v. Anton Meno Schupp. [Hanau], [1663].Von der Einbildung. Freunde/ noch das Vaterland einigen Nutzen darvon nicht habennoch geniessen. Wir sind curios über frembde/ und was uns für den Füssen/ achten und wissen wir wenig. Jn meiner Jugend habe ich einen Schneider gekennet/ der auß M m ij
Von der Einbildung. Freunde/ noch das Vaterland einigen Nutzen darvon nicht habennoch genieſſen. Wir ſind curios uͤber frembde/ und was uns fuͤr den Fuͤſſen/ achten und wiſſen wir wenig. Jn meiner Jugend habe ich einen Schneider gekennet/ der auß M m ij
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Von der Einbildung.
Freunde/ noch das Vaterland einigen Nutzen darvon nicht haben
noch genieſſen. Wir ſind curios uͤber frembde/ und was uns fuͤr den
Fuͤſſen/ achten und wiſſen wir wenig.
Jn meiner Jugend habe ich einen Schneider gekennet/ der
hatte Rom/ das Capitolium, S. Marcus Platz zu Venedig/ die Ge-
daͤchtnuͤß-Saͤulen in Egypten/ die Kirche zu S. Lauretto, den Feuer-
ſpeyenden Berg Ætna geſehen/ als er nach Gieſſen kam/ flickte er mir
meine alte Hoſen/ meine Mutter aber gabe ihme nicht mehr/ als
dem der ſein Tage nicht weiter als Heſſenland kommen. Auff ſolches
alles antwortete mir Pancratius, denn ſo war ſein Name/ und ſagte/
er verſtuͤnde wol/ daß dieſes nicht mein gruͤndlicher Ernſt/ ſondern
nur auß Schertz von mir angefuͤhret wuͤrde. Dann ſagt er/ wolteſtu
denn alle peregrinationen und Beſuchung frembder Laͤnder ver-
werffen/ was wolteſtu die Uffſchneider vertragen/ dieſen oder jenen
examiniren und heimlich fangen/ wo oder in welchem Wirtzhauſe
er logiret geweſen/ was dieſe oder jene Stadt vor ein ſonderliches
Ken- und Merckzeichen/ wo man in die Stadt gienge? Wenn einer
nun alſo gefraget/ und er nicht weis zu antworten/ ſo hat er deſſen
groſſen Schimpff und Spott/ du aber legeſt damit groſſen Ruhm
und Ehre ein. Denn lieber iſt das nicht ein groſſes Stuͤck Aca
demiſcher Weißheit/ daß man wiſſe/ daß das Roſtocker Bier
beſſer als das Naumburgiſche? Nach dem er nun ſolches mit ziem-
lich ſchwerer und ſtamlender Zunge außgekecket/ entſchlieff er mit
ſeinen andern Geſellen auff der gemachten Streue. Bald wurde ich
eines Magiſters gewahr/ der ziemlich alt und betaget/ in einem
zerlumpten Mantel/ zerriſſenen Hoſen und zerlapten Schuhen
einher gienge: Saß und ſtuͤtzete den Arm unter den Kopff/ und gril-
liſirte uͤberauß ſehr/ wie die luſtige Melancholici zuthun pflegen/ weñ
ſie Calender uff die Franckfurter Meß machen. Der ſtunde geſchwind
auff/ trug ein Arm voll Holtz zuſammen/ und machet ein Feuer: darein
warff er den Plutarchum, Plinium, Livium, den Cicero und an-
dere ſeine Buͤcher/ daß dieſe mit der Flammen aufffuhren. Deſſen ich
mich denn ſehr verwunderte und ſprach/ hey lieber Mann/ was fuͤr
eine Thorheit koͤmt dich an? Warum wuͤteſtu alſo in die gute Buͤcher
und verſtorbene Leute? Dieweil ſagt er/ ſie mir eine Urſache alles
Ungluͤcks ſind. Denn in deme ich dieſelbe gleichſam Tag und Nacht
leſe und durchblettere/ und gerne wolte zu einem Dienſte
kommen/ iſt es doch alles umbſonſt und vergebens/ flehe
ich meine Patronen an (welche ich nicht rahte/ daß man
ſie unter die Heiligen zehle:) ſind ſie unerbitlich. Jch bitte
und ſchreye/ ich weiß nicht wenn an/ das man mich doch wolte
auß
M m ij
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