Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel- ches die Alte einige Tropfen Unschlitt tröpfelte und solchergestalt ihr Endchen Licht befestigte, mit der Vertröstung, daß sie mir bald einen Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach- te. Es war rund umher mit uralter Täfeley bekleidet. Ein paar hohe, mit Eisen beschla- gene, feste Schränke standen an den Seiten, und zwischen ihnen hingen mehrere schwarz geräucherte Gemälde, worauf ich unter andern einen gefesselten armen Sünder, und ein jüng- stes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt, erblickte. Am obern Ende des Tisches, vor ei- nem Lehnsessel, stand ein Todtenkopf, und über demselben hing der Griff zu einer Klin- gel herab. Kurz, ich befand mich, was man schon errathen haben wird, auf dem Rath- hause, in der Gerichtsstube, auf dem Lehn- stuhle des Bürgermeisters von Oberwiesenthal. Ein Abendessen, das zu diesen Umgebungen paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam-
Fünftes Heft. D
Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel- ches die Alte einige Tropfen Unſchlitt troͤpfelte und ſolchergeſtalt ihr Endchen Licht befeſtigte, mit der Vertroͤſtung, daß ſie mir bald einen Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach- te. Es war rund umher mit uralter Taͤfeley bekleidet. Ein paar hohe, mit Eiſen beſchla- gene, feſte Schraͤnke ſtanden an den Seiten, und zwiſchen ihnen hingen mehrere ſchwarz geraͤucherte Gemaͤlde, worauf ich unter andern einen gefeſſelten armen Suͤnder, und ein juͤng- ſtes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt, erblickte. Am obern Ende des Tiſches, vor ei- nem Lehnſeſſel, ſtand ein Todtenkopf, und uͤber demſelben hing der Griff zu einer Klin- gel herab. Kurz, ich befand mich, was man ſchon errathen haben wird, auf dem Rath- hauſe, in der Gerichtsſtube, auf dem Lehn- ſtuhle des Buͤrgermeiſters von Oberwieſenthal. Ein Abendeſſen, das zu dieſen Umgebungen paßte, und ein Nachtlager in einer Bettkam-
Fuͤnftes Heft. D
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Mitte war ein Kruzifix aufgepflanzt, auf wel-
ches die Alte einige Tropfen Unſchlitt troͤpfelte
und ſolchergeſtalt ihr Endchen Licht befeſtigte,
mit der Vertroͤſtung, daß ſie mir bald einen
Leuchter bringen wolle. Das Gemach zitterte
bey jedem Schritte, den ich auf und ab mach-
te. Es war rund umher mit uralter Taͤfeley
bekleidet. Ein paar hohe, mit Eiſen beſchla-
gene, feſte Schraͤnke ſtanden an den Seiten,
und zwiſchen ihnen hingen mehrere ſchwarz
geraͤucherte Gemaͤlde, worauf ich unter andern
einen gefeſſelten armen Suͤnder, und ein juͤng-
ſtes Gericht, von der Dreyfaltigkeit gehegt,
erblickte. Am obern Ende des Tiſches, vor ei-
nem Lehnſeſſel, ſtand ein Todtenkopf, und
uͤber demſelben hing der Griff zu einer Klin-
gel herab. Kurz, ich befand mich, was man
ſchon errathen haben wird, auf dem Rath-
hauſe, in der Gerichtsſtube, auf dem Lehn-
ſtuhle des Buͤrgermeiſters von Oberwieſenthal.
Ein Abendeſſen, das zu dieſen Umgebungen
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/57>, abgerufen am 24.11.2024.
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