Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

eine bürgerliche Mahlzeit -- gern gefallen,
und übersieht es einmal, wenn sich nach
Tische Leib und Seele auf dem Graben
in Wien ein wenig schwerer und verdroßner
finden lassen, als unter den Linden in Ber-
lin? Und warum möchte wohl selbst ein Dres-
dener, (der geistigste Esser in Deutschland) gern
bekennen, daß ein Rostbratl, oder ein Reh-
rückl
, oder ein wildes Aenterl zum Abend-
essen in Wien, einem Putterpämmchen
von Lokowitzer Brot in Dresden doch
vorzuziehen sey?

Diese Erscheinungen bey den Bewohnern
dreyer Städte, die in Deutschland für die
mäßigsten gelten, deuten doch offenbar dahin,
daß sie es den Wienern in der Eßlust leicht
nachthun würden, wenn die Natur und ihre
Großen sie eben so reichlich versorgten? Ge-
stehen wir nur, daß der Mensch von Natur
mehr Hang zum Essen, als zum Arbeiten,
mehr Lust zum Verdauen, als zum Denken
hat; und daß man sich den abgeschmackten

eine buͤrgerliche Mahlzeit — gern gefallen,
und uͤberſieht es einmal, wenn ſich nach
Tiſche Leib und Seele auf dem Graben
in Wien ein wenig ſchwerer und verdroßner
finden laſſen, als unter den Linden in Ber-
lin? Und warum moͤchte wohl ſelbſt ein Dres-
dener, (der geiſtigſte Eſſer in Deutſchland) gern
bekennen, daß ein Roſtbratl, oder ein Reh-
ruͤckl
, oder ein wildes Aenterl zum Abend-
eſſen in Wien, einem Putterpaͤmmchen
von Lokowitzer Brot in Dresden doch
vorzuziehen ſey?

Dieſe Erſcheinungen bey den Bewohnern
dreyer Staͤdte, die in Deutſchland fuͤr die
maͤßigſten gelten, deuten doch offenbar dahin,
daß ſie es den Wienern in der Eßluſt leicht
nachthun wuͤrden, wenn die Natur und ihre
Großen ſie eben ſo reichlich verſorgten? Ge-
ſtehen wir nur, daß der Menſch von Natur
mehr Hang zum Eſſen, als zum Arbeiten,
mehr Luſt zum Verdauen, als zum Denken
hat; und daß man ſich den abgeſchmackten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <floatingText>
          <body>
            <div n="1">
              <p><pb facs="#f0461" n="189"/>
eine bu&#x0364;rgerliche Mahlzeit &#x2014; gern gefallen,<lb/>
und u&#x0364;ber&#x017F;ieht es einmal, wenn &#x017F;ich nach<lb/>
Ti&#x017F;che Leib und Seele <hi rendition="#g">auf dem Graben</hi><lb/>
in Wien ein wenig &#x017F;chwerer und verdroßner<lb/>
finden la&#x017F;&#x017F;en, als <hi rendition="#g">unter den Linden</hi> in Ber-<lb/>
lin? Und warum mo&#x0364;chte wohl &#x017F;elb&#x017F;t ein Dres-<lb/>
dener, (der gei&#x017F;tig&#x017F;te E&#x017F;&#x017F;er in Deut&#x017F;chland) gern<lb/>
bekennen, daß ein <hi rendition="#g">Ro&#x017F;tbratl</hi>, oder ein <hi rendition="#g">Reh-<lb/>
ru&#x0364;ckl</hi>, oder ein <hi rendition="#g">wildes Aenterl</hi> zum Abend-<lb/>
e&#x017F;&#x017F;en in Wien, einem <hi rendition="#g">Putterpa&#x0364;mmchen</hi><lb/>
von <hi rendition="#g">Lokowitzer Brot</hi> in Dresden doch<lb/>
vorzuziehen &#x017F;ey?</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e Er&#x017F;cheinungen bey den Bewohnern<lb/>
dreyer Sta&#x0364;dte, die in Deut&#x017F;chland fu&#x0364;r die<lb/>
ma&#x0364;ßig&#x017F;ten gelten, deuten doch offenbar dahin,<lb/>
daß &#x017F;ie es den Wienern in der Eßlu&#x017F;t leicht<lb/>
nachthun wu&#x0364;rden, wenn die Natur und ihre<lb/>
Großen &#x017F;ie eben &#x017F;o reichlich ver&#x017F;orgten? Ge-<lb/>
&#x017F;tehen wir nur, daß der Men&#x017F;ch von Natur<lb/>
mehr Hang zum E&#x017F;&#x017F;en, als zum Arbeiten,<lb/>
mehr Lu&#x017F;t zum Verdauen, als zum <choice><sic>Denke&#xFFFC;</sic><corr>Denken</corr></choice><lb/>
hat; und daß man &#x017F;ich den abge&#x017F;chmackten<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[189/0461] eine buͤrgerliche Mahlzeit — gern gefallen, und uͤberſieht es einmal, wenn ſich nach Tiſche Leib und Seele auf dem Graben in Wien ein wenig ſchwerer und verdroßner finden laſſen, als unter den Linden in Ber- lin? Und warum moͤchte wohl ſelbſt ein Dres- dener, (der geiſtigſte Eſſer in Deutſchland) gern bekennen, daß ein Roſtbratl, oder ein Reh- ruͤckl, oder ein wildes Aenterl zum Abend- eſſen in Wien, einem Putterpaͤmmchen von Lokowitzer Brot in Dresden doch vorzuziehen ſey? Dieſe Erſcheinungen bey den Bewohnern dreyer Staͤdte, die in Deutſchland fuͤr die maͤßigſten gelten, deuten doch offenbar dahin, daß ſie es den Wienern in der Eßluſt leicht nachthun wuͤrden, wenn die Natur und ihre Großen ſie eben ſo reichlich verſorgten? Ge- ſtehen wir nur, daß der Menſch von Natur mehr Hang zum Eſſen, als zum Arbeiten, mehr Luſt zum Verdauen, als zum Denken hat; und daß man ſich den abgeſchmackten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/461
Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/461>, abgerufen am 25.11.2024.