ringer, und steht hinter dem Klostergebäude der Theatiner.
Das sogenannte Exercitien-Haus (wobey dem Leser kein Exercierhaus ein- fallen darf) ist ebenfalls ein Gebäude von Um- fang, dessen Stiftung man für älter halten sollte, als sie ist. Die Kaiserin Amalia, Karls des Siebenten Gemalin, eine gottes- fürchtige Fürstin, legte es an und besuchte und bewohnte es, um ihre frommen Uebungen darin abzuwarten. Ehedem war es nur Stan- despersonen, Geistlichen und Studenten, die bußfertige Bewegungen fühlten, erlaubt, die- selben durch Gebet und Züchtigung des Leibes darin zu befriedigen; gegenwärtig aber werden Reumüthige aus allen Ständen darin aufge- nommen, und auf drey Tage, während wel- cher sie keine Gemeinschaft mit der Welt ha- ben, mit Wohnung und Tisch umsonst verse- hen. Man nennt solche Patienten Meditan- ten, und diesen kranken Seelenzustand selbst Meditiren, ziemlich unangemessen, wie mir
ringer, und ſteht hinter dem Kloſtergebaͤude der Theatiner.
Das ſogenannte Exercitien-Haus (wobey dem Leſer kein Exercierhaus ein- fallen darf) iſt ebenfalls ein Gebaͤude von Um- fang, deſſen Stiftung man fuͤr aͤlter halten ſollte, als ſie iſt. Die Kaiſerin Amalia, Karls des Siebenten Gemalin, eine gottes- fuͤrchtige Fuͤrſtin, legte es an und beſuchte und bewohnte es, um ihre frommen Uebungen darin abzuwarten. Ehedem war es nur Stan- desperſonen, Geiſtlichen und Studenten, die bußfertige Bewegungen fuͤhlten, erlaubt, die- ſelben durch Gebet und Zuͤchtigung des Leibes darin zu befriedigen; gegenwaͤrtig aber werden Reumuͤthige aus allen Staͤnden darin aufge- nommen, und auf drey Tage, waͤhrend wel- cher ſie keine Gemeinſchaft mit der Welt ha- ben, mit Wohnung und Tiſch umſonſt verſe- hen. Man nennt ſolche Patienten Meditan- ten, und dieſen kranken Seelenzuſtand ſelbſt Meditiren, ziemlich unangemeſſen, wie mir
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ringer, und ſteht hinter dem Kloſtergebaͤude
der Theatiner.
Das ſogenannte Exercitien-Haus
(wobey dem Leſer kein Exercierhaus ein-
fallen darf) iſt ebenfalls ein Gebaͤude von Um-
fang, deſſen Stiftung man fuͤr aͤlter halten
ſollte, als ſie iſt. Die Kaiſerin Amalia,
Karls des Siebenten Gemalin, eine gottes-
fuͤrchtige Fuͤrſtin, legte es an und beſuchte und
bewohnte es, um ihre frommen Uebungen
darin abzuwarten. Ehedem war es nur Stan-
desperſonen, Geiſtlichen und Studenten, die
bußfertige Bewegungen fuͤhlten, erlaubt, die-
ſelben durch Gebet und Zuͤchtigung des Leibes
darin zu befriedigen; gegenwaͤrtig aber werden
Reumuͤthige aus allen Staͤnden darin aufge-
nommen, und auf drey Tage, waͤhrend wel-
cher ſie keine Gemeinſchaft mit der Welt ha-
ben, mit Wohnung und Tiſch umſonſt verſe-
hen. Man nennt ſolche Patienten Meditan-
ten, und dieſen kranken Seelenzuſtand ſelbſt
Meditiren, ziemlich unangemeſſen, wie mir
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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 3, [H. 5 u. H. 6]. Berlin, 1795, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise03_1795/231>, abgerufen am 28.11.2024.
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