ten. Bekanntlich herrscht bey den Katholiken die Gewohnheit, denjenigen für einen echten und thätigen Christen zu halten, der solche Gebräuche und Gebete fleißig und ruhig wie- derholt, denjenigen hingegen, der gern etwas dabey denken möchte, der Zweifel hat, der Auskunft wünscht, vor dem Teufel zu warnen und ihn am Ende, wenn er in diesem Unglau- ben, wie sie es nennen, beharret, zu verdam- men. Diese für den Verstand so harte Maß- regel, lassen sich die Bauern in Polen, die gemeinen Bürger, die niedrigern Edelleute, die nicht in die große Welt kommen, gefallen, und unter diesen Klassen herrscht, in Absicht der Religion, noch die allertiefste Unwissenheit; aber nicht so unter den höhern Klassen, die, sobald sie ihre französischen Philosophen zu le- sen und zu verstehen anfangen, in Sprüngen zu den Socinianern und Atheisten übergehen. Der lächelnde Vortrag jener Schriftsteller gefällt ihnen besser, als die ernsthaften, weder Geist noch Herz beschäftigenden, zum Auswendig-
ten. Bekanntlich herrſcht bey den Katholiken die Gewohnheit, denjenigen fuͤr einen echten und thaͤtigen Chriſten zu halten, der ſolche Gebraͤuche und Gebete fleißig und ruhig wie- derholt, denjenigen hingegen, der gern etwas dabey denken moͤchte, der Zweifel hat, der Auskunft wuͤnſcht, vor dem Teufel zu warnen und ihn am Ende, wenn er in dieſem Unglau- ben, wie ſie es nennen, beharret, zu verdam- men. Dieſe fuͤr den Verſtand ſo harte Maß- regel, laſſen ſich die Bauern in Polen, die gemeinen Buͤrger, die niedrigern Edelleute, die nicht in die große Welt kommen, gefallen, und unter dieſen Klaſſen herrſcht, in Abſicht der Religion, noch die allertiefſte Unwiſſenheit; aber nicht ſo unter den hoͤhern Klaſſen, die, ſobald ſie ihre franzoͤſiſchen Philoſophen zu le- ſen und zu verſtehen anfangen, in Spruͤngen zu den Socinianern und Atheiſten uͤbergehen. Der laͤchelnde Vortrag jener Schriftſteller gefaͤllt ihnen beſſer, als die ernſthaften, weder Geiſt noch Herz beſchaͤftigenden, zum Auswendig-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0088"n="78"/>
ten. Bekanntlich herrſcht bey den Katholiken<lb/>
die Gewohnheit, denjenigen fuͤr einen echten<lb/>
und thaͤtigen Chriſten zu halten, der ſolche<lb/>
Gebraͤuche und Gebete fleißig und ruhig wie-<lb/>
derholt, denjenigen hingegen, der gern etwas<lb/>
dabey denken moͤchte, der Zweifel hat, der<lb/>
Auskunft wuͤnſcht, vor dem Teufel zu warnen<lb/>
und ihn am Ende, wenn er in dieſem Unglau-<lb/>
ben, wie ſie es nennen, beharret, zu verdam-<lb/>
men. Dieſe fuͤr den Verſtand ſo harte Maß-<lb/>
regel, laſſen ſich die Bauern in Polen, die<lb/>
gemeinen Buͤrger, die niedrigern Edelleute, die<lb/>
nicht in die große Welt kommen, gefallen, und<lb/>
unter dieſen Klaſſen herrſcht, in Abſicht der<lb/>
Religion, noch die allertiefſte Unwiſſenheit;<lb/>
aber nicht ſo unter den hoͤhern Klaſſen, die,<lb/>ſobald ſie ihre franzoͤſiſchen Philoſophen zu le-<lb/>ſen und zu verſtehen anfangen, in Spruͤngen<lb/>
zu den Socinianern und Atheiſten uͤbergehen.<lb/>
Der laͤchelnde Vortrag jener Schriftſteller gefaͤllt<lb/>
ihnen beſſer, als die ernſthaften, weder Geiſt<lb/>
noch Herz beſchaͤftigenden, zum Auswendig-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[78/0088]
ten. Bekanntlich herrſcht bey den Katholiken
die Gewohnheit, denjenigen fuͤr einen echten
und thaͤtigen Chriſten zu halten, der ſolche
Gebraͤuche und Gebete fleißig und ruhig wie-
derholt, denjenigen hingegen, der gern etwas
dabey denken moͤchte, der Zweifel hat, der
Auskunft wuͤnſcht, vor dem Teufel zu warnen
und ihn am Ende, wenn er in dieſem Unglau-
ben, wie ſie es nennen, beharret, zu verdam-
men. Dieſe fuͤr den Verſtand ſo harte Maß-
regel, laſſen ſich die Bauern in Polen, die
gemeinen Buͤrger, die niedrigern Edelleute, die
nicht in die große Welt kommen, gefallen, und
unter dieſen Klaſſen herrſcht, in Abſicht der
Religion, noch die allertiefſte Unwiſſenheit;
aber nicht ſo unter den hoͤhern Klaſſen, die,
ſobald ſie ihre franzoͤſiſchen Philoſophen zu le-
ſen und zu verſtehen anfangen, in Spruͤngen
zu den Socinianern und Atheiſten uͤbergehen.
Der laͤchelnde Vortrag jener Schriftſteller gefaͤllt
ihnen beſſer, als die ernſthaften, weder Geiſt
noch Herz beſchaͤftigenden, zum Auswendig-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/88>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.