gung der Freude, des Zorns, des Schmerzes, so hört man nichts als helle Töne; ist er ver- liebt, sagt er seiner Geliebten schöne Sachen, so weiß er diesen hellen Tönen eine unbe- schreibliche Weichheit mitzutheilen, aber sie wer- den sogleich pfeifend, kreischend und schneidend, sobald irgend ein heftiges Gefühl aus ihm spricht. Wenn die Beugungen der natürlichen deutschen Stimme langsam, kaum merkbar, sich erheben oder sinken, so hüpfen die Beu- gungen der polnischen ungefähr so, wie wenn ein deutscher unter Lachen etwas erzählt.
Die polnische weibliche Stimme ist der rein- ste Diskant, den man hören kann; sie ist der zartesten Beugungen fähig und wendet sie eben so häufig an, als die männliche. Eine Polin eine rührende Geschichte erzählen, einem Lieb- haber zärtliche Dinge sageu, beym Solicitieren ihre Klagen und Bitten vortragen hören, ist ein wahrer Genuß fürs Ohr, abgesehen von ihrem Anstand und von ihren reizvollen Be- wegungen. Der harte Alto-Ton, welcher auf
Viertes Heft. D
gung der Freude, des Zorns, des Schmerzes, ſo hoͤrt man nichts als helle Toͤne; iſt er ver- liebt, ſagt er ſeiner Geliebten ſchoͤne Sachen, ſo weiß er dieſen hellen Toͤnen eine unbe- ſchreibliche Weichheit mitzutheilen, aber ſie wer- den ſogleich pfeifend, kreiſchend und ſchneidend, ſobald irgend ein heftiges Gefuͤhl aus ihm ſpricht. Wenn die Beugungen der natuͤrlichen deutſchen Stimme langſam, kaum merkbar, ſich erheben oder ſinken, ſo huͤpfen die Beu- gungen der polniſchen ungefaͤhr ſo, wie wenn ein deutſcher unter Lachen etwas erzaͤhlt.
Die polniſche weibliche Stimme iſt der rein- ſte Diskant, den man hoͤren kann; ſie iſt der zarteſten Beugungen faͤhig und wendet ſie eben ſo haͤufig an, als die maͤnnliche. Eine Polin eine ruͤhrende Geſchichte erzaͤhlen, einem Lieb- haber zaͤrtliche Dinge ſageu, beym Solicitieren ihre Klagen und Bitten vortragen hoͤren, iſt ein wahrer Genuß fuͤrs Ohr, abgeſehen von ihrem Anſtand und von ihren reizvollen Be- wegungen. Der harte Alto-Ton, welcher auf
Viertes Heft. D
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0059"n="49"/>
gung der Freude, des Zorns, des Schmerzes,<lb/>ſo hoͤrt man nichts als helle Toͤne; iſt er ver-<lb/>
liebt, ſagt er ſeiner Geliebten ſchoͤne Sachen,<lb/>ſo weiß er dieſen hellen Toͤnen eine unbe-<lb/>ſchreibliche Weichheit mitzutheilen, aber ſie wer-<lb/>
den ſogleich pfeifend, kreiſchend und ſchneidend,<lb/>ſobald irgend ein heftiges Gefuͤhl aus ihm<lb/>ſpricht. Wenn die Beugungen der natuͤrlichen<lb/>
deutſchen Stimme langſam, kaum merkbar,<lb/>ſich erheben oder ſinken, ſo huͤpfen die Beu-<lb/>
gungen der polniſchen ungefaͤhr ſo, wie wenn<lb/>
ein deutſcher unter Lachen etwas erzaͤhlt.</p><lb/><p>Die polniſche weibliche Stimme iſt der rein-<lb/>ſte Diskant, den man hoͤren kann; ſie iſt der<lb/>
zarteſten Beugungen faͤhig und wendet ſie eben<lb/>ſo haͤufig an, als die maͤnnliche. Eine Polin<lb/>
eine ruͤhrende Geſchichte erzaͤhlen, einem Lieb-<lb/>
haber zaͤrtliche Dinge ſageu, beym Solicitieren<lb/>
ihre Klagen und Bitten vortragen hoͤren, iſt<lb/>
ein wahrer Genuß fuͤrs Ohr, abgeſehen von<lb/>
ihrem Anſtand und von ihren reizvollen Be-<lb/>
wegungen. Der harte Alto-Ton, welcher auf<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Viertes Heft. D</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[49/0059]
gung der Freude, des Zorns, des Schmerzes,
ſo hoͤrt man nichts als helle Toͤne; iſt er ver-
liebt, ſagt er ſeiner Geliebten ſchoͤne Sachen,
ſo weiß er dieſen hellen Toͤnen eine unbe-
ſchreibliche Weichheit mitzutheilen, aber ſie wer-
den ſogleich pfeifend, kreiſchend und ſchneidend,
ſobald irgend ein heftiges Gefuͤhl aus ihm
ſpricht. Wenn die Beugungen der natuͤrlichen
deutſchen Stimme langſam, kaum merkbar,
ſich erheben oder ſinken, ſo huͤpfen die Beu-
gungen der polniſchen ungefaͤhr ſo, wie wenn
ein deutſcher unter Lachen etwas erzaͤhlt.
Die polniſche weibliche Stimme iſt der rein-
ſte Diskant, den man hoͤren kann; ſie iſt der
zarteſten Beugungen faͤhig und wendet ſie eben
ſo haͤufig an, als die maͤnnliche. Eine Polin
eine ruͤhrende Geſchichte erzaͤhlen, einem Lieb-
haber zaͤrtliche Dinge ſageu, beym Solicitieren
ihre Klagen und Bitten vortragen hoͤren, iſt
ein wahrer Genuß fuͤrs Ohr, abgeſehen von
ihrem Anſtand und von ihren reizvollen Be-
wegungen. Der harte Alto-Ton, welcher auf
Viertes Heft. D
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/59>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.