Pommern vergleicht, die ein gewisses schwer- fälliges, ich möchte sagen melancholisches, We- sen verrathen. Die Schlesier nähern sich in Sprache und Humor mehr den Anwohnern des Rheins und anderer Weinländer, dahingegen die Kinder der genannten Provinzen sich mehr den Westphälingern und Holländern anschlie- ßen. Diese leichtere Gemüthsstimmung der Schlesier hat denn auch ihre natürlichen Fol- gen. Der Umgang der geringern Klassen un- ter einander ist aufgeweckt, lustig, geräuschvoll; sie tanzen, spielen allerley Jnstrumente, haben Volkslieder -- eine unerhörte Erscheinung in den eigentlich-brandenburgischen Provinzen, wo zu Hause und in den Krügen geistliche Lie- der gesungen und alle übrige Schelmlieder genannt werden. Unter den gemeinen Schle- siern findet man sogar eine Art von Galante- rie, welche unter ihren vorhin genannten Lands- leuten unerhört ist, die nur heirathen, um zu heirathen, deren Bräute gar kläglich heulen, wenn die Ringe gewechselt werden, mit einem
Pommern vergleicht, die ein gewiſſes ſchwer- faͤlliges, ich moͤchte ſagen melancholiſches, We- ſen verrathen. Die Schleſier naͤhern ſich in Sprache und Humor mehr den Anwohnern des Rheins und anderer Weinlaͤnder, dahingegen die Kinder der genannten Provinzen ſich mehr den Weſtphaͤlingern und Hollaͤndern anſchlie- ßen. Dieſe leichtere Gemuͤthsſtimmung der Schleſier hat denn auch ihre natuͤrlichen Fol- gen. Der Umgang der geringern Klaſſen un- ter einander iſt aufgeweckt, luſtig, geraͤuſchvoll; ſie tanzen, ſpielen allerley Jnſtrumente, haben Volkslieder — eine unerhoͤrte Erſcheinung in den eigentlich-brandenburgiſchen Provinzen, wo zu Hauſe und in den Kruͤgen geiſtliche Lie- der geſungen und alle uͤbrige Schelmlieder genannt werden. Unter den gemeinen Schle- ſiern findet man ſogar eine Art von Galante- rie, welche unter ihren vorhin genannten Lands- leuten unerhoͤrt iſt, die nur heirathen, um zu heirathen, deren Braͤute gar klaͤglich heulen, wenn die Ringe gewechſelt werden, mit einem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0229"n="219"/>
Pommern vergleicht, die ein gewiſſes ſchwer-<lb/>
faͤlliges, ich moͤchte ſagen melancholiſches, We-<lb/>ſen verrathen. Die Schleſier naͤhern ſich in<lb/>
Sprache und Humor mehr den Anwohnern des<lb/>
Rheins und anderer Weinlaͤnder, dahingegen<lb/>
die Kinder der genannten Provinzen ſich mehr<lb/>
den Weſtphaͤlingern und Hollaͤndern anſchlie-<lb/>
ßen. Dieſe leichtere Gemuͤthsſtimmung der<lb/>
Schleſier hat denn auch ihre natuͤrlichen Fol-<lb/>
gen. Der Umgang der geringern Klaſſen un-<lb/>
ter einander iſt aufgeweckt, luſtig, geraͤuſchvoll;<lb/>ſie tanzen, ſpielen allerley Jnſtrumente, haben<lb/>
Volkslieder — eine unerhoͤrte Erſcheinung in<lb/>
den eigentlich-brandenburgiſchen Provinzen,<lb/>
wo zu Hauſe und in den Kruͤgen geiſtliche Lie-<lb/>
der geſungen und alle uͤbrige <hirendition="#g">Schelmlieder</hi><lb/>
genannt werden. Unter den gemeinen Schle-<lb/>ſiern findet man ſogar eine Art von Galante-<lb/>
rie, welche unter ihren vorhin genannten Lands-<lb/>
leuten unerhoͤrt iſt, die nur heirathen, um zu<lb/>
heirathen, deren Braͤute gar klaͤglich heulen,<lb/>
wenn die Ringe gewechſelt werden, mit einem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[219/0229]
Pommern vergleicht, die ein gewiſſes ſchwer-
faͤlliges, ich moͤchte ſagen melancholiſches, We-
ſen verrathen. Die Schleſier naͤhern ſich in
Sprache und Humor mehr den Anwohnern des
Rheins und anderer Weinlaͤnder, dahingegen
die Kinder der genannten Provinzen ſich mehr
den Weſtphaͤlingern und Hollaͤndern anſchlie-
ßen. Dieſe leichtere Gemuͤthsſtimmung der
Schleſier hat denn auch ihre natuͤrlichen Fol-
gen. Der Umgang der geringern Klaſſen un-
ter einander iſt aufgeweckt, luſtig, geraͤuſchvoll;
ſie tanzen, ſpielen allerley Jnſtrumente, haben
Volkslieder — eine unerhoͤrte Erſcheinung in
den eigentlich-brandenburgiſchen Provinzen,
wo zu Hauſe und in den Kruͤgen geiſtliche Lie-
der geſungen und alle uͤbrige Schelmlieder
genannt werden. Unter den gemeinen Schle-
ſiern findet man ſogar eine Art von Galante-
rie, welche unter ihren vorhin genannten Lands-
leuten unerhoͤrt iſt, die nur heirathen, um zu
heirathen, deren Braͤute gar klaͤglich heulen,
wenn die Ringe gewechſelt werden, mit einem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, H. 4. Berlin, 1795, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0202_1795/229>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.