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Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795.

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Daß dieß ehrfurchtsvolle Benehmen der
Großen gegen einander, und der Geringern
gegen die Großen, aus keiner reinen Quelle
komme, sieht man unter andern daran, daß
die ärgsten Feinde, wenn sie einander treffen,
ohne Ausnahme einander eben so behandeln,
und daß die Bauern, wenn sie ihr Herr hat
kantschuen lassen, eben so sich ihm zu Füßen
legen und sie ihm küssen.

Für den König haben die Polen, wenn
man ihr unterwürfiges Benehmen für Ernst
nimmt, eine unbegränzte Ehrfurcht; aber es
fließt in der That weder aus Achtung für seine
Würde, noch aus einem allgemeinen Gefühl
für Feinheit und Höflichkeit her. Man sieht
dieß daran, daß sie sich oft in einem schmutzi-
gen und nachlässigen Anzuge in seinen Vorzim-
mern zeigen; sich streiten, zanken, Arm in
Arm auf und ab rennen; sich schneutzen, räus-
pern und lachen, wie es die Natur giebt, und
durch das alles ein Geräusch machen, das man
sonst nur an öffentlichen Orten hört, wo der

Wein

Daß dieß ehrfurchtsvolle Benehmen der
Großen gegen einander, und der Geringern
gegen die Großen, aus keiner reinen Quelle
komme, ſieht man unter andern daran, daß
die aͤrgſten Feinde, wenn ſie einander treffen,
ohne Ausnahme einander eben ſo behandeln,
und daß die Bauern, wenn ſie ihr Herr hat
kantſchuen laſſen, eben ſo ſich ihm zu Fuͤßen
legen und ſie ihm kuͤſſen.

Fuͤr den Koͤnig haben die Polen, wenn
man ihr unterwuͤrfiges Benehmen fuͤr Ernſt
nimmt, eine unbegraͤnzte Ehrfurcht; aber es
fließt in der That weder aus Achtung fuͤr ſeine
Wuͤrde, noch aus einem allgemeinen Gefuͤhl
fuͤr Feinheit und Hoͤflichkeit her. Man ſieht
dieß daran, daß ſie ſich oft in einem ſchmutzi-
gen und nachlaͤſſigen Anzuge in ſeinen Vorzim-
mern zeigen; ſich ſtreiten, zanken, Arm in
Arm auf und ab rennen; ſich ſchneutzen, raͤus-
pern und lachen, wie es die Natur giebt, und
durch das alles ein Geraͤuſch machen, das man
ſonſt nur an oͤffentlichen Orten hoͤrt, wo der

Wein
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[222/0232] Daß dieß ehrfurchtsvolle Benehmen der Großen gegen einander, und der Geringern gegen die Großen, aus keiner reinen Quelle komme, ſieht man unter andern daran, daß die aͤrgſten Feinde, wenn ſie einander treffen, ohne Ausnahme einander eben ſo behandeln, und daß die Bauern, wenn ſie ihr Herr hat kantſchuen laſſen, eben ſo ſich ihm zu Fuͤßen legen und ſie ihm kuͤſſen. Fuͤr den Koͤnig haben die Polen, wenn man ihr unterwuͤrfiges Benehmen fuͤr Ernſt nimmt, eine unbegraͤnzte Ehrfurcht; aber es fließt in der That weder aus Achtung fuͤr ſeine Wuͤrde, noch aus einem allgemeinen Gefuͤhl fuͤr Feinheit und Hoͤflichkeit her. Man ſieht dieß daran, daß ſie ſich oft in einem ſchmutzi- gen und nachlaͤſſigen Anzuge in ſeinen Vorzim- mern zeigen; ſich ſtreiten, zanken, Arm in Arm auf und ab rennen; ſich ſchneutzen, raͤus- pern und lachen, wie es die Natur giebt, und durch das alles ein Geraͤuſch machen, das man ſonſt nur an oͤffentlichen Orten hoͤrt, wo der Wein

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Zitationshilfe: Schulz, Friedrich: Reise eines Liefländers. Bd. 2, [H. 3]. Berlin, 1795, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schulz_reise0201_1795/232>, abgerufen am 27.11.2024.